Früher, davon sprechen vor allem die älteren Bewohner des Viertels gerne, sei die Annenstraße eine florierende Einkaufsstraße mit zahlreichen renommierten Geschäften gewesen. Hier einzukaufen galt als Erlebnis.
Von Jennifer Polanz und Max Sommer
Die Annenstraße – früher eine florierende Einkaufsstraße
Doch über die letzten Jahrzehnte hat das Entstehen großer Einkaufszentren außerhalb der Innenstadt, die Abwanderung der Traditionsgeschäfte und die Neuzuwanderung von Personen aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei das Bild der Straße verändert, welches von Kebapläden, Ein-Euro-Shops und allerhand anderen kleingewerblichen Betrieben geprägt ist. Doch wer genau schaut und in der Annenstraße auf Spurensuche geht, kann heute noch anhand einzelner historischer Relikte erahnen, was die damalige Flaniermeile wohl geboten haben mag.
Dazu gehört beispielsweise das „Eiserne Haus“, Teil des heutigen Grazer Kunsthauses, in dem vor allem die Camera Austria untergebracht ist. Einst war es ein nobles, zweistöckiges Kaffeehaus, dessen Obergeschoss vom Architekten Johann Withalm in der noch recht unbekannten Gusseisenskelett-Bauweise errichtet wurde. 1906 musste das dort ansässige Café Meran weichen; das gesamte Gebäude wurde von den Brüdern Lechner, zwei Unternehmern, umgebaut, und mit dem anschließenden Palais Thinnfeld verbunden. Aus deren kleinem Modewarengeschäft im Erdgeschoß entwickelte sich mit der Zeit ein großes Geschäftshaus, das 1931 vom Unternehmen Kastner&Öhler übernommen wurde, jedoch seinen alten Namen, „Brüder Lechner“, behielt. Im Laufe der Jahre veränderte sich das „Eiserne Haus“ durch bauliche Maßnahmen enorm, nur die eiserne Fassade blieb – mit Ausnahme der Westseite – gleich.
Das „Eiserne Haus“ – ehemals „Brüder Lechner“
An einer Fassade an der Kreuzung Vorbeckgasse und Annenstraße zeugt der Schriftzug der einst hoch innovativen Firma „Minerva Fernsehen Steirerfunk“ von den Anfängen des Radios in Europa. Die Geschäftsführung erkannte 1924 das enorme Potenzial der Radiogeräte, um das „Wundergerät“ entstand ein regelrechter Hype. Jenen Unternehmern, die über ausreichend Kapital und technisches Verständnis verfügten, öffnete sich ein neuer Markt, der zugleich heiß umkämpft war. Viele der Geschäfte verschwanden genau so schnell wie sie entstanden waren. Nur „Radiola“, so hieß das Unternehmen vor der Namensänderung in „Minerva Fernsehen Steirerfunk“, konnte durch seine Professionalität und Innovationsträchtigkeit bestehen.
„Minerva Fernsehen Steirerfunk“
In den darauffolgenden Jahren wuchs die Firma und konnte beinahe monopolistische Bedingungen schaffen – eine jährliche Produktion von 20.000 Stück unterstrich die Vorrangstellung am Absatzmarkt. Zu sehen ist heute nur noch der rote Schriftzug auf der gelben Häuserfassade, das Geschäft musste in den frühen 70er Jahren nach dem Tod des Gründers weichen.
Ebenfalls von einer technischen Neuheit geprägt waren die Anfänge des Annenhofkinos. Bevor 1897 der Betrieb mit einem sogenannten Kinematographen aufgenommen wurde, war das heutige Kino ein mechanisches Theater. In diesem wurden kurze Szenen mit Hilfe von hunderten Blechfiguren und Marionetten, manche mehr als zwei Meter hoch, dargestellt. Zunächst setzte der Betreiber Friedrich Gierke auf einen parallelen Betrieb von Theater und Kino – die gezeigten Filme waren extrem kurz, das Programm jedoch abwechslungsreich. Im Allgemeinen war die Handlung relativ unwichtig – allein die Darstellung von Szenen mit Hilfe bewegter Bilder war schon eine Sensation.
Am zwölften März 1905 hatte das Annenhofkino seine erste Versuchsvorstellung an jenem Standort, an dem sich das Kino heute noch befindet. Begeisterung und Kritik waren gleichermaßen stark vorhanden – die Medien berichteten über Jahrmarktzauber und das „Blendwerk der Kinematographen“. Vier Jahre später wurde das Kino feierlich unter dem Namen „Bioskoptheater Annenhof“ eröffnet, und es etablierte sich als größtes und elegantestes Kino Europas. Auch wenn die Annenstraße seither entschieden an Bedeutung verloren hat – das Annenhofkino spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die Freizeitgestaltung der Grazer.