„Das Bedürfnis ist einfach Lebendigkeit“

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Ein Gespräch mit Mario Rampitsch, dem Inhaber der Design- und Kommunikationsagentur „EN GARDE“, über die Entwicklung des Lendwirbels, den Stellenwert von Kunst in Graz und warum er nicht auf Facebook ist. Kurzärmelig und entspannt unterhält sich der Grazer an einem heißen Juni-Nachmittag mit der Annenpost – ungekünstelt und ohne Zeitdruck, mal nachdenklich, mal voller Begeisterung.

 

„EN GARDE“ ist  sozusagen Mitbegründer des Lendwirbels: Bist du zufrieden mit der Richtung, in die er sich entwickelt?

Sehr. Erst gestern Abend ist wer zu mir gekommen, der den Lendwirbel von Anfang an kennt und hat gesagt: „Ich bin so froh, dass der Lendwirbel noch immer nicht aus ist. Weil es jeden Tag einfach so super ist.“ Der hat begriffen, worum es in Wirklichkeit geht: sich das Leben zu gestalten und nicht auf die dicke Party zu warten.

Der Ansturm auf den Lendwirbel zeigt ein Bedürfnis und ich glaube, dieses Bedürfnis ist einfach Lebendigkeit. Nicht jeder in seinen vier Wänden, sondern dass es ein freieres Leben in der Stadt und die Straße als Ort der Begegnung gibt. Der Lendwirbel zeigt komprimiert, dass das Miteinander ganz cool funktioniert.

So gesehen kann er gar nicht zu groß werden, oder?

Genau. Ich glaube, es geht einfach um Freiheit, oder? Und wie man für sich selber seinen Lebensraum gestaltet. Bewegungen in die Richtung gibt es ja überall – der Lendwirbel ist das Grazer Phänomen. Eigentlich wäre es egal, wenn er den Lend-Schwerpunkt verlieren würde – es wäre sogar schön, wenn ein bisschen eine Kultur daraus entsteht. Die Frage ist jetzt, was die ganze Community daraus macht. Ich habe heuer schon mitgekriegt, wie manche sagen: „Eine Frechheit, dass da nichts mehr organisiert wird!“. Da frage ich mich aber: Wer stellt den Anspruch, dass irgendwer irgendwas organisieren muss?

Im Gespräch mit Mario Rampisch
Mario Rampitsch auf der Dachterrasse von EN GARDE mitten im Lendviertel

Projekte wie der Lendwirbel und die Annenviertel-Map oder auch Unternehmen wie „EN GARDE“ machen das Annenviertel attraktiv und verstärken die Gentrifizierung. Wie stehst du dazu?

Mit dem Gentrifizierungsprozess mancher Großstädte kann man das in Lend nicht vergleichen. Was ich vor allem bei dem Annenviertel-Thema merke ist, dass es um Interkulturalität geht. Auch bei den Migranten oder sozial Benachteiligten, die im Viertel ansässig sind, gibt es auf jeden Fall einige, die sich daran beteiligt haben.

Bei einer aufgehängten Annenviertel-Map hat allerdings ein Anrainer zum Beispiel „Scheiß Multikulti. Lend ist Österreich“ hingeschrieben. Aber überrascht hat es mich nicht, in der Welt gibt es eben beides: Kritiker und diejenigen, die zu verbinden versuchen.

Grundsätzlich denke ich mir, was gibt es Schöneres, als wenn etwas Eingeschlafenes oder Verstaubtes wieder freigelegt und aufgewertet wird? Tragisch find‘ ich es, wenn gute Substanz vernichtet und dann billige, lieblose Substanz errichtet wird.

Vor zwei Jahren hast du im Rahmen der Verleihung des „City of design“-Titels gemeint, Graz fehle noch  viel für eine Designstadt, weil die Bewegung nicht von den Kreativen ausgehe. Wie siehst du das heute?

Ich glaub‘, es entwickelt sich sehr viel. Die FH [Joanneum mit dem Department „Medien & Design“, Anm.] trägt dazu natürlich viel bei. Der Titel hat den Raum aufgemacht, dass Design eine Bedeutung in der Stadt hat und sich dadurch mehr Menschen trauen, etwas zu tun – die Hemmschwelle ist geringer.

Mario Rampitsch in Nahaufnahme
Der EN GARDE-Mitbegründer im Gespräch mit der Annenpost

Hinter dem Designmonat stecken große wirtschaftliche Interessen – rückt die Kunst da in den Hintergrund?

Ja, Wirtschaft ist im Moment einfach sehr stark und Kunst hat allgemein wenig Raum. Weil Kunst uns immer zeigt, wo wir gesellschaftlich gerade stehen – und das wollen wir im Moment anscheinend nicht anschauen.

Vor allem die CIS [Creative Industries Styria, Anm.] scheint oft stärker im Vordergrund zu stehen als die KünstlerInnen.

Da frag‘ ich mich sowieso: Was tun Künstler in einem Designmonat?

Sagen wir Künstler im weiten Sinn, Kreative…

Kreative… ja, der Begriff Kreativwirtschaft zeigt das eigentlich: Da wird Kreativität dazu genutzt, um Profit zu generieren oder eine Stadt wirtschaftlich aufzupeppen. Wenn man seine Kreativität für die Wirtschaft zur Verfügung stellt, muss man damit rechnen, dass man teilweise in den Hintergrund tritt.

Das sagst das sehr kritisch – dabei lebst du auch davon.

Ja, zum Teil schon, aber ich sehe mein Schaffen in der Kreativwirtschaft nicht als Kunst. Damit würde ich die Aufgabe der Kunst stark schwächen. Die Kunst ist dazu da, der Gesellschaft einen Spiegel hinzuhalten.

Schafft sie das in Graz?

Nein, nicht mehr so leicht. Ich seh‘ im Moment keinen Raum für Kunst, eben weil der Fokus ganz stark auf Wirtschaft liegt. Den Raum muss man sich schaffen: durch Formate wie den Lendwirbel zum Beispiel.

Themenwechsel: Social Media bedeutet, ständig erreichbar zu sein. Wie schaffst du den Spagat zwischen Erreichbarkeit und Erholungspausen?

Ich bin bis heute auf keiner  einzigen Social Media-Plattform. Verweigerung ist oft einmal ein ganz guter Schritt.

Ihr seid eine Kommunikationsagentur und du bist nicht auf Facebook oder Google+?

Ja, somit kann man objektiver beurteilen, was da drinnen passiert und wofür das Tool da ist.

Verwendest du dafür den Account von jemand anderem?

Nein, es reichen die Gespräche mit den Menschen und was man über die Medien mitkriegt. Es redet ja eh ständig jeder darüber, das ist das Nervige. Denn wenn man sich ständig über die Oberflächlichkeit von Facebook unterhält, wird das direkte Gespräch auch oberflächlich.

Naja, das liegt in der Natur der Sache.

Genau, und das ist nicht so meine Natur. Social Media hat seine Bedeutung, aber ich selber muss da ja nicht mitspielen.

Mario Rampitsch, Lendplatz 40

[box]Mario Rampitsch hat 2006 mit einem Freund die Design- und Kommunikationsagentur „EN GARDE“ gegründet. Anfangs nur als Freelancer-Kollektiv gedacht, ist der Grazer heute Creative Director eines florierenden Unternehmens, obwohl er nie eine klassische Designer-Ausbildung absolviert hat. Rampitsch ist außerdem Teil des Elektro-Duos Le Tam Tam. [/box]

Als Au Pair in Turin, beim Roadtrip durch die USA oder im Grazer Alltag: Anna Enge hat eine Vorliebe für urbane Orte und Menschen. Besonders kreative Menschen und deren Arbeit faszinieren sie. Im Ressort "Kunst & Kultur" schreibt die gebürtige Grazerin über neue Filme, Ausstellungen und Veranstaltungen im Annenviertel.

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