Links und rechts des Gartentors ranken Kletterrosen in die Höhe. Sie treffen sich in der Mitte und bilden eine Art Torbogen. Davor steht eine Telefonzelle, die man an diesem mit Pflanzen bewachsenen Ort nicht vermutet. Grasbüschel zwängen sich durch die Risse in den Steinplatten des Weges. Der Pfad bis zur Türe des Hauses ist holprig. Von den Pflanzen in den Blumenkisten an dessen Rand sind durch die Finsternis der Nacht nur die Silhouetten erkennbar. Am Ende des Weges leuchtet ein Security den eintreffenden Personen mit einer Taschenlampe ins Gesicht und öffnet danach die behäbige Eisentüre. In Feierlaune treten die Leute ein.
Der Weg zu einer Nacht im Niesenberger, bald ist er für seine Gäste Geschichte. Freitag und Samstag ladet die Niese zur zweitägigen Abschiedsfeier, Sonntagfrüh wird der letzte Schritt am verwinkelten Mainfloor im Keller getanzt sein. Danach schließt sie für immer ihre Pforten. Mit ihr wird nicht nur ein Club zusperren, in dem Nächte zu elektronischer Musik durchgefeiert wurden, sondern früher oder später auch ein Kulturzentrum, das mit seinen Proberäumen und Studios ein wichtiger Ort für lokale Künstler ist, um sich auszutauschen und gemeinsam zu experimentieren. Ziel des Projekts war es immer, einen Raum für Kreativität zu schaffen. Im dazugehörigen Garten kann jeder anpflanzen, der sich an der Gemeinschaft beteiligt. Gemeinsames Werkeln und Tischtennisspielen stehen dort regelmäßig am Programm. In den Büroräumen neben dem Club arbeiten die Organisatoren des Elevate-Festivals sowie Grafiker und Webdesigner.
„Es ist ein Projekt, das abgeschlossen ist. Dass es jetzt früher ist als geplant – ich hätte noch gerne bis Anfang 2014 weitergemacht – ist nicht allzu schlimm und vielleicht sogar besser für mich“, erzählt Matthias Maurer, Obmann des Vereins zur Förderung von Produktion&Präsentation. Vor vier Jahren gründete er zusammen mit Jörn Grocholl das Niesenberger. Wehmut scheint sich bei ihm in Grenzen zu halten, wenn er daran denkt, dass bald das letzte Fest im Club gefeiert ist. Sein Blick wirkt nach vorne gerichtet. Maurer hat bereits ein Nachfolgeprojekt im Kopf und ist auf der Suche nach dem passenden Ort dafür. „Es gibt ein paar Optionen. Ich muss aber erst sondieren, ob sich eine davon im Herbst konkretisiert.“ Es hänge von der Finanzierung ab, ob er ein neues Kulturzentrum eröffnen kann. Er steige nämlich mit roten Zahlen aus dem Niesenberger-Projekt aus und wisse nicht, ob es ihm gelingt, Geld für ein neues Projekt aufzustellen.
Die Schulden verursache vor allem der Zeitpunkt, an dem man dicht machen muss. Die Bau- und Anlagenbehörde besteht darauf, dass der Club Ende Juli zusperrt: „Dadurch bleiben einige Rückzahlungen offen. Ursprünglich waren die Veranstaltungen bis Anfang 2014 geplant. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten wir voraussichtlich den Kredit und alle offenen Rechnungen abzahlen können“, so Maurer.
Dabei könnte das Loch im Budget noch größer sein. Nach einer Razzia am 3. Mai sah es so aus, als müsste das Niesenberger schon vor der Sommerpause zusperren. Feuerwehr, Polizei und Vertreter der Bau- und Anlagenbehörde marschierten auf, weil der Club widerrechtlich als Vereinslokal geführt wird. „Das Niesenberger war nicht mehr als Verein, sondern gewinnorientiert tätig und hat sich mit einer Gewerbeberechtigung ausstatten lassen“, erklärt Walter Walch von der Bau- und Anlagenbehörde, warum der Club von seiner Abteilung überprüft wurde. Weil die Räume im Club nicht gewährleisten, dass „niemand belästigt oder gefährdet wird“, verlangt die Behörde eine gewerbliche Betriebsanlagengenehmigung. Um die Auflagen dafür zu erfüllen, müssten die Betreiber viel Geld in die Hand nehmen. Zu viel, denn die Kosten sind für Maurer und Grocholl nicht erschwinglich. Also kündigte Maurer den Mietvertrag.
In zwei Jahren wäre dieser ohnehin ausgelaufen. Die Frage, ob es das Niesenberger weiterhin geben würde, wenn es als reines Vereinslokal betrieben werden dürfte, stellt sich deshalb nicht. Denn auch dafür wären Investitionen nötig, um rechtliche Auflagen zu erfüllen.“Es gab seit geraumer Zeit Anrainerbeschwerden und die Behörde hat bereits geprüft, ob der Betrieb baurechtlichen Bestimmungen entspricht“, erklärt Walter Walch. Die Räume dürften also auch gegen das Baugesetz verstoßen. Es hätte daher auch einige Kosten verursacht, den Club auf Vereinsbasis weiterzuführen. Kosten, die es für eine zweijährige Laufzeit nicht wert sind, bezahlt zu werden.
Einzig eine Möglichkeit hätte es gegeben, weiterhin in der Niesenbergergasse zu tanzen. Die Club-Betreiber hatten das Angebot, das Gebäude zu kaufen – „zu einem sogar sehr fairen Preis“, wie Maurer erklärt. Doch weil das Geld dafür fehlte, wird das Kulturzentrum nun früher oder später abgerissen. „Juli letzten Jahres hat sich der Besitzer des Hauses dazu entschlossen, auf dem Grund Wohnhäuser zu bauen“, erzählt Matthias Maurer. Der Gemeinschaftsgarten, die Proberäume, die Tonstudios, das Lager, das Elevate-Büro und das Grafik-/Webdesignbüro bleiben jedoch vielleicht noch eine Zeit lang erhalten. Maurer und Grocholl verhandeln gerade mit dem Hausbesitzer.
Den Behörden schiebt Maurer die Schuld für das Aus des Clubs nicht in die Schuhe. Allerdings sei er verwundert gewesen, dass die Bau- und Anlagenbehörde nach vier Jahren plötzlich eingriff und eine Betriebsanlagengenehmigung verlangte. Immerhin könne man „so eine Location nicht vier Jahre lang führen, ohne dass die Behörde darüber Bescheid weiß, wie diese betrieben wird“. Doch er habe immer gewusst, dass es nur durch einen rechtlichen Graubereich gedeckt ist, einen Club als Vereinslokal zu führen. Dementsprechend sei er auch nicht wütend auf die Behörde: „Es war uns nie ein Anliegen, mit der Behörde einen Krieg zu führen.“
Maurer vermutet, dass die Razzia im Mai nur zustande gekommen ist, weil jemand mit einer Anzeige Druck auf die Behörde ausübte. Da er keine Beweise hat, beschuldige er aber auch in diesem Fall niemanden. Gerüchten, die besagen, dass ein Konkurrent für die Anzeige verantwortlich ist, entgegnet Maurer phlegmatisch: „Solche Sachen sollten einen einfach nicht interessieren, denke ich.“
Zum neuen Projekt selbst äußert sich der – bald ehemalige – Niesenberger-Betreiber nur vorsichtig. Erst müsse er einen passenden Standort finden und klären, ob sich das neue Projekt überhaupt finanzieren lasse. Klare Ideen, was er verglichen mit dem Niesenberger im neuen Kulturzentrum anders machen möchte, hat er dafür bereits. Es solle mehr Austausch unter den Künstlern stattfinden. Um das zu fördern, solle es vermehrt Jamnights und Workshops geben. Auch die vorhandene Fläche solle mehr auf gemeinsame Produktion ausgerichtet sein. „Der Club soll circa gleich groß sein wie das Niesenberger, aber wir möchten weitaus mehr Proberäume und Studios einrichten.“ Außerdem plane er, beim neuen Projekt mehr auf Tagesaktivitäten zu setzen. Mit dem neuen Kulturzentrum möchte er einen Ort schaffen, an dem Leute verstärkt ihre Freizeit verbringen. Um eine größere Grünfläche dabei zu haben, werde es deshalb wahrscheinlich dezentraler liegen als das Niesenberger. Außerdem solle der neue Club weniger konsumorientiert sein. Denn genau das habe ihm beim Niesenberger gegen Ende hin gestört: „Vorne kommen die Leute herein, hinten die Bierkisten und vorne gehen die betrunkenen Leute wieder hinaus – das kann nicht der einzige Zweck eines Clubs sein.“