„Du hättest zuerst die Suppe essen sollen“, belehrt Hasan seinen Freund Nimet. „Jaja, ich weiß, ich war nunmal so durstig“, antwortet dieser genervt. Rafet lacht über die beiden Streithähne. Geschafft sitzen die drei türkischen Herren auf Gartenstühlen im Schatten, den das Haus hinter ihnen wirft. Die Sonne brennt auf den Asphalt des Innenhofes, ihre Hitze macht es selbst im Schatten unerträglich. Immer wieder zanken sich die drei und beginnen danach zu lachen – es sind fast schon kindliche Streitereien. Weil Nimet gestern Nacht drei Liter Wasser auf einmal getrunken hat, ging es ihm die ganze Nacht über schlecht. Seine beiden Freunde werfen ihm vor, dass er zuvor nicht eine Suppe gegessen hat, um den leeren Magen an die Flüssigkeit zu gewöhnen. Alle drei haben ausgetrocknete Lippen, tiefe Augenringe zieren ihre Lider. Nimets Augen sind rot, immer wieder wischt er sich mit den Fingern Tranenflüssigkeit weg. Ihm ist die Müdigkeit besonders anzusehen – und die Übelkeit der letzten Nacht. Wie seine beiden Freunde wirkt er aber nicht gequält. Immerhin setzen sie sich freiwillig dem Verzicht aus. Seit fast einem Monat essen und trinken Hasan, Rafet und Nimet nur in der Nacht und schlafen kaum. Tagsüber fasten sie – die drei Muslime begehen den Ramadan.
Rafet, Hasan und Nimet
Wie auch heute sitzen sie nach dem Gebet in der Moschee in der Josef-Huber-Gasse oft noch vor der Kantine zusammen. In ihr stehen weitere Gartenstühle. Ein Fernseher hängt an der Wand – es laufen türkische Nachrichten. Hinter der Theke steht ein Mann und schneidet Gemüse für das gemeinsame Essen in der Nacht. Von 20:43 Uhr bis 02:55 findet heute das nächtliche Fastenbrechen statt. Jeden Tag verschiebt sich die Zeitperiode um wenige Minuten nach hinten.
Auch außerhalb des Fastenmonats verbringen die Gläubigen viel Zeit in der Moschee. „Ich komme jeden Tag fünfmal hierher zum Beten“, erzählt Rafet. „Wenn wir nicht arbeiten müssen, beten wir auch immer hier“, sagen Nimet und Hasan. Für den Ramadan hat sich Rafet den ganzen Juli frei genommen. Hasan musste gestern zehn Stunden lang arbeiten. In der Auto-Produktion – ohne einen Schluck Wasser zu trinken. „Meine Kollegen haben mir Wasser angeboten, aber ich habe es nicht angenommen“, erzählt er stolz. Kann er nicht in die Josef-Huber-Gasse kommen, betet er an seinem Arbeitsplatz. Mit dieser Beharrlichkeit ist Hasan keine Ausnahme. Die meisten Gemeindemitglieder halten sich streng an die Glaubensvorschriften. „Circa 80 Prozent kommen sogar täglich fünfmal her, um zu beten“, erzählt der Imam der Moschee, Fevzi Karatas.
Seit 2008 ist er neben einem zweiten Mann Vorbeter in der Josef-Huber-Gasse. Die Moschee gibt es seit 18 Jahren. „Genauer gesagt ist es ein Gebetsraum“, so Karatas, denn „eine Moschee wird eigens als solche errichtet“. Das Haus in der Josef-Huber-Gasse war früher einmal eine Kohlenhandlung. Schritt für Schritt bauten ihre Gründer es in eine Moschee um. Luster an der Decke, eine blau gekachelte Gebetsnische für den Imam, weiße Holzvertäfelungen an der Wand und ein roter Spannteppich machen das ehemalige Geschäft zu einem Gebetsraum. Im Gegensatz zu innen, ist außen an jeder Stelle zu sehen, dass es sich um eigenes Handwerk handelt. Das Dunstabzugsrohr der Kantine ist auf Dachhöhe quer über den Innenhof zum gegenüberliegenden Haus, in dem die Frauen beten, verlegt. Von den Holzbalken an der Außenwand, zwischen denen es herausragt, blättert der Lack ab. Das Vordach des Frauengebetshauses bildet eine Plastikplane auf einem Holzvorbau. Immer wieder wird sie vom Wind hochgehoben und flattert auf und ab.
Die ganze Gemeinde sei sehr bemüht, das Haus so gut es geht instand zu halten, erzählt Karatas. Die Außenwand der Moschee ist frisch gestrichen. Von der ehemaligen Kohlenhandlung sei fast nichts mehr zu erkennen, so viel sei schon umgebaut worden. Dementsprechend groß seien auch die Gefühle, welche die Gemeindemitglieder mit dem Haus verbinden: „Wenn die Leute den Gebetsraum betreten, dann haben sie Herzklopfen, weil sie wissen, dass sie ihn mit ihren eigenen Händen errichtet haben.“
Und dennoch wird die Gemeinde früher oder später in eine neu errichtete Moschee umziehen. Die Union Islamischer Kulturzentren, so der Name des Vereins, plant den Bau einer Moschee in der Lazarettgasse. Anfang 2014 möchte man die Pläne dafür beim Bauamt einreichen, finanziert soll sie rein über Spendengelder werden. Umziehen möchte man hauptsächlich deshalb, weil der Gebetsraum langsam zu klein wird. Beim Freitagsgebet knien viele Gläubige im Freien, das Gebet des Imams wird mit Lautsprechern übertragen. „An die 500 Leute kommen immer zum Freitagsgebet“, erzählt Karatas.
Zu gröberen Konflikten mit Nachbarn, denen die Gebete zu laut sind, komme es nicht. Zwar gebe es vereinzelt Beschwerden, so der Imam, doch dann versuche die Gemeinde auf die Leute zuzugehen, sie über die Moschee aufzuklären und mit ihnen eine Lösung zu finden. Vor dem Ramadan habe die Moschee einen Nachbar-Tag veranstaltet, zu dem auch Medienvertreter und die Polizei eingeladen waren. Denn die Gebetszeiten richten sich nach den Sonnenbewegungen, und dieses Jahr werde oft zu Mitternacht noch gebetet. „Wir haben um Verständnis gebeten und angeboten, dass Nachbarn, die sich gestört fühlen, bei uns melden mögen, damit wir das Problem dann gemeinsam lösen können“, sagt Karatas.
Dass die Moschee in der Josef-Huber-Gasse so offen auf Nicht-Mitglieder zugeht, liegt zu einem großen Teil an ihrem Imam. Karatas ist in Vorarlberg aufgewachsen und spricht daher gut Deutsch. Die Sprachbarriere zu überwinden, fällt ihm leicht. Andere Moscheen würden aufgrund fehlender Sprachkenntnisse die Sorge haben, falsch verstanden zu werden und seien deshalb verschlossener, erklärt Karatas. Dabei sei es so wichtig, auf die Menschen in der Umgebung zuzugehen. „Die wenigsten Leute wissen, was wir in einer Moschee genau machen. Sie haben Bilder im Kopf, die ihnen manche Medien liefern oder ihr Wissen ist veraltet. Wenn wir sie einladen und ihnen die Moschee zeigen, können wir Vorurteile abbauen.“ Die Schreckgespenster Terrorismus und Zwangsheirat können so aus den Köpfen der Leute vertrieben werden: „Das sind natürlich Klischees, die überhaupt nicht der Realität entsprechen. Wir würden keinem Lebewesen etwas zu Leide tun, nicht einmal einer Ameise.“
Fevzi Karatas hat in der Türkei Theologie und Statistik studiert
Vorurteile seien menschlich und keine Eigenheit österreichischer Mentalität, erklärt Karatas weiter. Er glaube nicht, dass Österreicher besonders intolerant gegenüber anderen Kulturen sind. Es sei viel mehr ein Zeichen unserer Zeit, dass sich Menschen immer weiter voneinander distanzieren. „Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir heute mehr Wohlstand in der Gesellschaft haben. Jeder ist nur mehr um sein Eigentum bedacht und das trennt uns voneinander.“ Außerdem, so der Imam, trage der technische Fortschritt dazu bei, dass Menschen nicht mehr aufeinander zugehen: „Früher war es einfacher, heute haben wir einen Fernseher, Internet und ein Smartphone, die uns davon abhalten, mit dem Nachbarn zu reden.“
Dass zumindest ein Imam in der Moschee Deutsch spricht, halte er für wichtig, erklärt Karatas. Immerhin würden viele Muslime auch aus anderen Ländern als der Türkei kommen und Deutsch als gemeinsame Sprache würde sie verbinden. Aber noch viel wichtiger sei es, dass ein Imam die österreichische Kultur kennt und versteht. Denn nur dann könne er auf Österreicher zugehen, ihnen den islamischen Glauben erklären und Vorurteile nehmen. „Eine Sprache zu lernen ist gut, aber die Kultur, das Denken zu lernen, ist noch wichtiger“, so Karatas. Außerdem sei eine der wichtigsten Aufgaben eines Imams nur mit Deutschkenntnissen gut zu erfüllen. Im Zuge der Seelsorge komme ein Imam oft in Situationen, in denen er gut Deutsch sprechen können muss. „In letzter Zeit fangen viel Jugendliche an, Drogen zu nehmen. Nachdem ich mit ihnen gesprochen habe, begleite ich sie dann zur Drogenberatung“, erzählt Karatas.
Junge Leute scheinen dem Imam ein besonderes Anliegen zu sein. Viele Eltern seien damit beschäftigt, das Leben der Familie zu finanzieren und würden vor lauter Arbeit kaum Zeit für ihre Kinder haben, erzählt er. Daher komme es oft zu Streit in den Familien. Die Kinder würden sich vernachlässigt fühlen und den ganzen Tag zu Hause sitzen. Seit er Imam in der Josef-Huber-Gasse ist, gibt es daher im Kulturzentrum in der Lazarettgasse eine Hortgruppe. Und gerade eben läuft ein Pilotprojekt, das Kindern, die über den Sommer in Österreich bleiben, einen Deutschkurs ermöglicht.
Die Kurse sind allerdings nicht gut besucht – viele Kinder sind mit ihren Eltern in der Türkei. Diejenigen Familien, die da geblieben sind, feiern am Donnerstag das Zuckerfest. Damit wird das Fasten gebrochen und der Ramadan abgeschlossen. In der Früh wird gemeinsam gebetet, danach teilt sich die Gemeinde in Gruppen auf und macht sich auf den Weg, um Bedürftige zu beschenken. Es folgt ein dreitägiges Fest. Bis dahin heißt es für Hasan, Nimet und Rafet noch Ausharren und ans Jahr 2027 denken, da ist Ramadan im Winter.