Frau Grolitsch ist verschwunden

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Über Jahre hinweg führten Altnazis eine rechtsextreme Organisation im Annenviertel: Das „Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes“ mit Vereinssitz in der Strauchergasse. Deren Chefideologin Lisbeth Grolitsch, Bund Deutscher Mädel (BDM)-Führerin und schillernde Gallionsfigur in rechtsextremen Kreisen, konnte unbehelligt ihre Arbeit als Präsidentin verrichten. Jetzt ist das ewiggestrige BDM-Mädel nicht mehr aufzufinden. Verzogen, verstorben, eingebunkert? Eine Spurensuche.

„Frau Grolitsch? Die wohnt schon lange nicht mehr hier. Die hat im zweiten Stock gewohnt, aber ist schon seit längerer Zeit nach Deutschland verzogen“, erklingt es blechern aus der Sprechanlage. Die Türe öffnen und Fragen zu Grolitsch beantworten, das will niemand. In einem unauffälligen Mehrparteienhaus in der Strauchergasse hat die 1922 geborene Grolitsch gelebt – unbeachtet von der Öffentlichkeit. Bis auf einige Artikel beherzter Antifaschisten und einem Radiobeitrag auf Radio Helsinki kamen der Verein und Grolitsch fast nie in steirischen Medien vor.

Weiße Türen, rote Sternsingersprüche, braune Fußmatte.
Weiße Wohnungstüren, rote Sternsingersprüche, braune Fußmatten – im zweiten Stock hat Grolitsch das Büro des DKÖ geführt. Tut sie es noch immer?

Grolitsch, ehemalige Gau-Unterführerin des Bund Deutscher Mädel, ist Mitgründerin rechtsradikaler Organisationen, wie zum Beispiel des „Freundeskreis Ulrich von Hutten“, und Präsidentin des „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes“ (DKEG). Jenes Amt hatte sie zumindest bis Februar 2012 inne. Nach Rücksprache mit der hierfür zuständigen Polizei-Dienststelle hat Grolitsch ihre Funktionsperiode noch nicht verlängert.

2012 meinte ein Verfassungsschutz-Beamter, der bei einem Prozess wegen NS-Wiederbetätigung als Zeuge aussagte, Grolitsch sei „eine führende Figur in der steirischen Rechtsextremen-Szene“. Sie übernimmt unverändert die Weltanschauung des nationalsozialistischen Regimes, ihre Tätigkeiten verstoßen klar gegen das Verbotsgesetz. Dennoch wurde Grolitsch nie verurteilt – Anzeigen gegen sie wurden stets zurückgenommen.

Ein Buch von Grolitsch, das 2002 in Graz erschienene Werk „Notwende – Aufsätze, Reden und Schriften im Kampf um eine neue Ordnung in Kultur, Geschichte und Politik aus lebensgesetzlichem Denken“ wurde im Februar 2011 auf den Index gesetzt. Im Buch lässt Grolitsch ihrer unverhohlenen Hitler-Verehrung freien Lauf: „Adolf Hitlers Kampf galt der Wiederherstellung des Lebensrechtes des Deutschen Volkes unter anderen Völkern. Diesem Ziel hat er (…) gedient, unter Bereitstellung aller genialen Fähigkeiten seiner Persönlichkeit.“ Seltsam, dass die Staatsanwaltschaft Graz 2004 keine Anhaltspunkte für mutmaßliche Verstöße gegen das Verbotsgesetz gesehen hat.

Beim Tag der Jugend 1938 in Nürnberg: BDM-Mädchen jubeln Hitler zu. Von Grolitsch gibt es keine Fotos, wenig weiß man über sie
Beim Tag der Jugend 1938 in Nürnberg: BDM-Mädchen jubeln Hitler zu. Von Grolitsch gibt es keine Fotos, wenig weiß man über sie

Andreas Peham, Rechtsextremismusexperte des Dokumentationsarchivs Österreichischer Widerstand, charakterisiert das Kulturwerk als „österreichisch-deutsche neonazistische Kader-Organisation mit kulturpolitisch-ideologischer Aufgabenstellung und hitleristischer Ausrichtung“. Bedeutung erlangte das DKEG durch das Versenden von neonazistischem Propagandamaterial und durch die Organisierung der sogenannten Gästewochen.

Jährlich treffen sich rund 150 Mitglieder an geheimen Orten in Deutschland, bei den Treffen begrüßen einander nicht nur Altnazis, sondern auch bekannte Neonazi-Größen. Grolitsch tritt dort als Veranstalterin und Eröffnungsrednerin auf. „Ansonsten wissen wir leider relativ wenig über sie. Fast alles bezüglich ihrer Herkunft und Vergangenheit im Nationalsozialismus ist im Dunkeln, auch ein Foto gibt es nicht“, meint Peham.

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz taucht das DKEG nicht auf. Das österreichische Pendant, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, spricht im aktuellen Bericht ebenfalls nicht von Grolitsch und deren Verein. Eine Passage liest sich jedoch indirekt wie eine Beschreibung des DKEG: „Der rechtsextrem-revisionistische Szenebereich, dem vorwiegend Personen höheren Lebensalters angehören, pflegte (…) sein Gedankengut im eigenen Kreis und hinter verschlossenen Türen, ohne dass dies von der Bevölkerung wahrgenommen wurde.

Briefpapier von Grolitsch - mit dementsprechender Signatur. Mit freundlicher Genehmigung von Herwig Höller
Briefpapier von Grolitsch – mit dementsprechender Signatur. Mit freundlicher Genehmigung von Herwig Höller

Auch Grolitsch organisiert im Geheimen. Dennoch bekommt man in den unregelmäßig erscheinenden „Huttenbriefen“ zu lesen, wofür die (angebliche) Grazerin und ihre KameradInnen stehen: Verherrlichung Adolf Hitlers, glühender Antisemitismus und kontinuierliche Holocaustleugnung. „Mit dem militärischen Sieg über Deutschland im Zweiten Weltkrieg ist eine bereits eingeleitete Gesundung gegen das die Völker zerstörende Gift des Gleichheitswahnes verhindert worden“, schreibt Grolitsch 2007 in einem Huttenbrief, welcher in einer Auflage von 4.000 Stück erscheint.

Das letzte Lebenszeichen von Grolitsch findet sich in einer Ausgabe eines Huttenbriefes vom Juli 2013. Für das rechtsextreme Blatt schrieb sie den Artikel „Verraten und verkauft? Deutschland und Europa am Scheideweg“. Aus dem aktuellen Grundbuchauszug geht Grolitsch nicht als Wohnungseigentümerin hervor, die Telefonnummer, mit der sie im Jahr 2009 noch im Telefonbuch zu finden war, ist tot.

Der bekannte steirische Rechtsextreme Franz Radl, laut Staatsanwaltschaft ein „nationalsozialistischer Politiker, der (…) eine außerordentliche Gefährlichkeit hat“, arbeitete mehrmals in der Wohnung von Grolitsch. Der 2012 wegen NS-Wiederbetätigung angeklagte Neonazi verfügte laut damaliger Anklageschrift über einen Arbeitsplatz in der Wohnung. Grolitsch selbst schrieb damals ans Gericht, sie könne zum Verhandlungstermin nicht erscheinen, weil sie schon „über 80 Jahre alt“ sei und sich gerade im Ausland befände.

Cover eines Huttenbriefes. Die letzte Ausgabe kam im Juli 2013
Cover eines Huttenbriefes. Die letzte Ausgabe kam im Juli 2013
Ausgabe vom August 2012. Grolitsch schrieb den Leitartikel
Ausgabe vom August 2012. Grolitsch schrieb den Leitartikel

Ines Aftenberger, Historikerin, meinte 2010 in einem Interview mit Radio Helsinki: „Das Gefährliche am DKEG ist, dass sich diese Organisation zur Aufgabe gemacht hat, Nachwuchs für die neonazistische Szene zu finden und diese auch zu schulen.“

Dass sich Grolitsch nicht mehr in der Strauchergasse aufhält ist, trotz der Aussagen ehemaliger Nachbarn, nicht beweisbar. Das DKEG gibt es noch immer, auch Gästewochen werden nach wie vor abgehalten. Und somit wird auch ewiggestriges Gedankengut weiterhin ungestört weitergegeben und verbreitet – wie es die unauffindbare Präsidentin des DKEG über Jahre hinweg tun konnte.

Mit Dank für die Unterstützung während Recherchen an Andreas Peham (DÖW) und Herwig Höller.

1 Comment

  1. sehr beeindruckender und berührender sowie aufwühlender text – man kennt zwar die geschicht vom weltkrieg und den rechtextremen, aber immerwieder ist es fast ungreifbar, da es so weit weg ist und wir jungen menschen dies nicht mehr mitbekommen haben, ausser die erzählungen der großeltern.

    ich wünsche Österreich und Graz das sich das wahlergebniss der natzionalratswahl 13 nicht negative auswirkungen hat und die rechtextreme nie wieder so dominat wird wie damals.

    danke für den gut ausgearbeiteten text und die verlinkung von radio helsinki

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