In der Nachrichtensendung „VON UNTEN“ auf Radio Helsinki versuchen die Sendungsmacher Journalismus mit Aktivismus zu verbinden. Ein Besuch im einzigen freien Radio von Graz.
Es ist kurz vor 17 Uhr. David, Imre, Dani und Marlies sind schon im Aufnahmestudio. An diesem Tag haben sie für ihr Nachrichtenmagazin „VON UNTEN“ besonders viele live eingesprochene Elemente geplant. Der eine oder andere Versprecher ist schon dabei. Dani und Marlies übernehmen die „Queer-Fem News“, sie berichten unter anderem über die Änderungen des Abtreibungsgesetzes in Spanien. Draußen vor der schalldichten Tür warten Sylvia und Irene auf ihr Zeichen. Sylvia hat einen Beitrag zur „Kleinen Farm“ produziert, Irene hat ein Interview mit den VeranstalterInnen des Literaturflohmarktes im Babenbergerhof geführt.
Erst tags zuvor war Imre bei der Eröffnung des Anhaltezentrums Vordernberg, was das Tagesthema schlechthin war. Die Pressesprecherin war nicht sehr erfreut, als er sich von der feierlichen Eröffnung entfernte und sich unter die Demonstranten vor dem Schubhaftzentrum mischte, um von dort Bericht zu erstatten. Doch ein Motto des Nachrichtenformats lautet nicht umsonst „Wir sind mit euch auf der Straße.“ „Manchen passt das halt nicht ins Konzept“, meint Imre.
Bei VON UNTEN ist der Name Programm, die Position des Nachrichtenmagazins ist selbsterklärend. „VON UNTEN berichtet über jene Themen, die sonst untergehen oder verdreht dargestellt werden“, erklärt Imre. Das Magazin, das seit Jänner einen neuen Sendeplatz hat und nun von Dienstag bis Donnerstag jeweils um 17 Uhr zu hören ist, ist bekannt für seine kritische Berichterstattung nahe am Aktionismus. Obwohl das halbstündige Magazin mit großem Produktionsaufwand verbunden ist, arbeiten hier fast alle ehrenamtlich. Einige sind Studenten, andere arbeiten nebenbei oder sind arbeitslos. Jeder hat andere Interessen und Themen, die er in der Sendung unterbringen möchte. So ergibt sich ein vielfältiger Mix an Themen, die das Magazin covert: Tierschutz, Feminismus, alternative Wirtschaft oder die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Faschismus.
Mit seiner thematischen Vielfalt ist „VON UNTEN“ auch ein gutes Beispiel für das restliche Programmangebot von Radio Helsinki: Sendungen über französische Kultur (Crème Fraîche) folgen da auf Programme für Kinder (Helsinkids) und Freunde der lateinamerikanischen Musik (Musica Latinoamericana) bis zu einem Magazin von in Graz „verstrickten“ Vereinen (In Graz verstrickt).
Auch die Sendungsmacher sind ganz verschiedene Persönlichkeiten. „Es finden sich Menschen unterschiedlicher Altersgruppen und Kulturen zusammen, was extrem bereichernd ist“, meint Karin Schuster, Programmrätin bei Radio Helsinki.
Da Radio Helsinki sich selbst als Ort des Austausches und der Vernetzung der Sendungsmacher versteht, wird der regelmäßige Dialog mit ihnen groß geschrieben. In vierteljährlich stattfindenden Radiogesprächen bittet der Sender die Sendungsmacher um ihre Meinung und Verbesserungsvorschläge.
Das Besondere an freien Radios ist, dass dort jeder Radio machen kann. „Bei freien Radios ist man als Zuhörer auch Sender, das heißt, man kann aktiv mitgestalten“, erklärt Schuster. Das Angebot, selbst Radio zu gestalten, nehmen viele wahr. Mittlerweile umfasst das Team zwischen 120 und 160 ehrenamtliche Mitarbeiter, die rund 100 unterschiedliche Sendungsformate produzieren. „Das Ziel ist, das Radio als eine breite Plattform darzustellen, wo Menschen mitgestalten können. Es soll nicht von oben gesendet, sondern Partizipation gelebt werden“, so Schuster.
Die Fertigkeiten, die es braucht, um einen Radiobeitrag zu produzieren, werden in Workshops vermittelt. Der zweitägige Basisworkshop, der je nach Anfragen ungefähr ein Mal im Monat stattfindet, behandelt sowohl inhaltliche Themen (die Prinzipien des freien Radios, medienrechtliche Grundsätze, Aufbau von Beiträgen) als auch die technischen Voraussetzungen (Umgang mit Aufnahmegeräten, Vorproduktion von Beiträgen). Danach geht es an die Produktion einer Probesendung, zu der der Programmrat Feedback gibt. Radio machen kann jeder. „Das Mischpult muss man zwar selbst bedienen, aber das ist nicht sehr kompliziert“, versichert auch Wolfgang Weritsch, Geschäftsführer bei Radio Helsinki.
In Österreich gibt es heute 14 freie Radios. Viele von ihnen waren ursprünglich Piratensender mit der Intention, das Monopol des ORF zu brechen. Sie besaßen keine Lizenzen und sendeten daher illegal. Erst mit der Zeit erhielten sie Sendelizenzen, einige Radiosender entwickelten sich zu kommerziellen Radios, andere wiederum, wie Radio Helsinki, zu freien Radios. Radio Helsinki ist nicht-kommerziell und unabhängig, das bedeutet dass es keine Werbung gibt, sondern nur durch Förderungen und Mitgliedsbeiträge finanziert wird, erklärt Weritsch.
[box style=“rounded“]Für Interessierte: Der Weg zu deiner eigenen Sendung auf Radio Helsinki[/box]