Der Platz heute - ein Ort der Begegnung.

Grätzlkunde: Der Platz mit drei Namen

Lesezeit: 4 Minuten

Schon mal gefragt, woher die Straßen und Plätze im Annenviertel eigentlich ihre Namen haben? Die Grätzlkunde ist wieder da und geht diesen Fragen auf den Grund! Diesmal geht es um einen Platz mit gleich drei Namen. Warum der Platz der Freiwilligen Schützen auch Platz der Begegnung oder Platz der Widerstandskämpferinnen heißt und was dahinter steckt.

Der Platz, den keiner wollte

Historisch betrachtet ist der Platz der Freiwilligen Schützen kein „natürlicher“ Platz. Und das kann man noch heute gut sehen. Sind Plätze von Anfang an architektonisch geplant, passen sie normalerweise perfekt ins Stadtbild. Hier sieht das ein wenig anders aus. Eine bunte und begrünte Oase, umgeben von regem Verkehr – passend aber doch unpassend. Zunächst errichtete Mathias von Schäffenburg auf dem heutigen Platz 1679 das Gebäude, in dem sich nun die Volksschule und Neue Mittelschule St. Andrä befindet. Damals wurde es als Waisenhaus genutzt. Im Laufe der Jahre wurde das Gebäude mit Hilfe von Stiftungen mehrmals erweitert und umgebaut, sodass in den 1760ern schließlich über 100 Kinder dort ein Heim fanden.

Der Platz der Begegnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (c) Grazmuseum
Der Platz zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (c) GrazMuseum

Die Waisen mussten jedoch am 11. April 1766 in die Färbergasse übersiedeln und das Haus für  Soldaten räumen. Aus dem Waisenhaus wurde eine Kaserne. Daher rührt auch ihr damaliger Name – Waisenhauskaserne. Ein Teil der Soldaten fand auch in einem direkt an die Feuerbachgasse angrenzenden Nebengebäude, der kleinen Waisenhauskaserne, Platz. Anfang des 20. Jahrhunderts riss man diese ab, den nun entstandenen Platz widmete man den freiwilligen Schützen für ihre Verdienste während des 1. Weltkrieges. Ins Stadtbild passte er aber nie so recht hinein. „Das Problem mit solchen Plätzen ist, dass niemand weiß, wozu sie genutzt werden sollen“, so der Sozialpädagoge und Sozialhistoriker Joachim Hainzl.

Ein Straßennahme zum Gedenken an den Krieg.
Ein Platzname zum Gedenken an den Krieg.

Projekt „Wohlfühlen“

Seit damals hat sich der Platz der Freiwilligen Schützen stark verändert – seinen letzten großen Wandel erlebte er durch ein Schulprojekt der NMS St. Andrä vor zwei Jahren. Als er auch seinen zweiten Namen – Platz der Begegnung – erhielt. Um den Platz befanden sich Parkplätze, sowohl für Kunden des angrenzenden „Bad zur Sonne“ als auch Privatparkplätze. Es herrschte starkes Verkehrsaufkommen, die Fahrzeuge fuhren viel zu schnell – auch direkt vor dem Eingang der VS und NMS St. Andrä. „Täglich passierten rund 1600 Schüler diese Verkehrsfalle. Daher sahen Eltern und Lehrer dringenden Handlungsbedarf“, erzählt Lilli Rabitsch, Lehrerin an der NMS St. Andrä und Leiterin des damaligen Projekts. Aus diesem Grund riefen Rabitsch und ihre Kollegin Liz Pulko im Dezember 2009 das Projekt „Wohlfühlen“ mit einer Ausstellung von selbstgemalten Bildern der SchülerInnen im Rathaus ins Leben. Dieses Projekt war zugleich ein Beitrag zum 2008 gestarteten Bezirksprojekt „Gesunder Bezirk Gries – Ein Bezirk zum Wohlfühlen“. Auch der damalige Stadtrat Wolfgang Riedler (SPÖ) unterstützte das Projekt.

Das Projekt mit dem alles Begann.
Das Projekt mit dem alles Begann.

Im Jänner 2010 brachten Lilli Rabtisch, Liz Pulko und die SchülerInnen der damaligen 4A-Klasse einen Antrag zur Umgestaltung des Platzes der Freiwilligen Schützen beim Grazer Gemeinderat ein. Darin wünschten sich die SchülerInnen unter anderem einen komplett autofreien Platz vor der Schule, Begrünung und die farbliche Gestaltung des Generatorhauses sowie der Poller zur Feuerbachgasse.

Ideen der Umgestaltung

Die Umgestaltung startete im Juni 2011. Dabei bemalten die SchülerInnen die insgesamt 34 Betonpoller mit den Nationalflaggen ihrer Herkunftsländer. Die Flaggen sollten die kulturelle Vielfalt der NMS St. Andrä und des Bezirks Gries widerspiegeln. Der Graffittikünstler Neo besprühte das Generatorhaus in der Platzmitte mit kunterbunten Figuren und Steckdosen und brachte deutlich mehr Farbe ins Spiel. Anstelle der Parkplätze traten nun Bäume und Sitzmöglichkeiten, die Passanten und Anrainer zum Verweilen einladen sollen.

Ein neuer Name für den Platz der freiwilligen Schützen.
Ein neuer Name für den Platz der freiwilligen Schützen.

„Hinter der Umgestaltungsaktion verbarg sich die Idee, Interesse füreinander zu wecken, Respekt voreinander zu haben und gegenseitiges Verständnis zu zeigen“, wie aus dem Entwicklungskonzept der NMS St. Andrä hervorgeht. Entgegen aller Erwartungen waren die Meinungen zum Projekt durchaus positiv. „Sehr froh bin ich darüber, dass die Poller nicht ein einziges Mal beschmiert worden sind“, so Projektleiterin Rabitsch. Auch habe sie ihr Ziel erreicht, die Verkehrssituation auf und um den Platz deutlich zu verbessern.

Polarisierende Poller

Der Sozialhistoriker Joachim Hainzl, der sich intensiv mit dem Leben auf der rechten Murseite befasst, sieht den Erfolg des Projektes etwas nüchterner: „Fakt ist: Nicht alles, was geplant war, wurde auch umgesetzt. Die öffentlichen Parkplätze vor dem Schulgebäude, die unter anderem von Badegästen des gegenüberliegenden Bades zur Sonne genutzt wurden, fielen zwar weg, doch der angrenzende Privatparkplatz blieb bestehen. So passieren weiterhin Autos die Straße vor dem Schulgebäude – die Verkehrssituation ist damit nicht gänzlich entschärft worden“,  resümiert er.

Die bemalten Poller spalten die Meinungen.
Die bemalten Poller spalten die Meinungen.

Im Nachhinein betrachtet zieht Projektleiterin Lili Rabitsch eine durchwegs positive Bilanz: „Erstmals gab es eine Verkehrsinitiative, ohne dass bereits zuvor ein tödlicher Unfall passiert ist – so etwas gibt es selten.“ Der erhaltene Privatparkplatz sei zwar ein kleiner Wermutstropfen, den könne man aber durchaus verkraften. Vor allem durch die Umgestaltung sei der Platz viel freundlicher geworden und lade zum Verweilen ein.

Doch die kritischen Stimmen bleiben. Nicht nur Joachim Hainzl äußert Kritik am Platz der Begegnung, auch der Direktor der VS St. Andrä Alexander Loretto steht dem Projekt skeptisch gegenüber. Vor allem bei der Gestaltung der Poller stimmt er mit Hainzl überein: „Viele Kinder, oder deren Eltern, wurden aus ihren Heimatländern vertrieben oder mussten fliehen. Die bemalten Poller erinnern sie oft an ihre Vergangenheit in einem Land, das sie lieber vergessen würden.“

Noch ein dritter Name?

Gegen Ende des Vorjahres bekam der Platz mit den zwei Namen auch noch einen dritten – Platz der Widerstandskämpferinnen. Im Rahmen eines Kunstprojekts der Plattform „Kultur in Graz“ wurde ganz im Geheimen ein weiteres Schild am Platz angebracht. Dieses erinnert an jene Frauen, die im zweiten Weltkrieg aktiv in der gesamten Steiermark Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime leisteten – ein Gegensatz zu den kritisierten Pollern.

Drei Namen für einen einzigen Platz?
Drei Namen für einen einzigen Platz?

Auch als kultureller Schauplatz diente der Platz der freiwilligen Schützen schon lange vor dieser Aktion. Bereits zwei Mal nutzte ihn der Steirische Herbst, zuletzt im Jahr 2009, als ein Ausstellungs- und Informationspavillon für die Ausstellung „Kunst und öffentlicher Raum“ dort errichtet wurde. Auch stellte der bekannte Künstler Erwin Prosarnig einen seiner bunten Tische auf dem Platz auf und nutzte dadurch den öffentlichen Raum für seine Kunst.

Ganz egal ob Platz der freiwilligen Schützen, Platz der Begegnung oder Platz der Widerstandskämpferinnen – war er anfangs auch nicht geplant, so ist er heute aus dem Annenviertel nicht mehr wegzudenken. Vielleicht ist „Platz der Begegnung“ ja auch der passendste Name, denn vieles trifft auf diesem Platz aufeinander – unterschiedliche Geschichten, Menschen und Projekte. Ganz so, wie es in diesem Projekt geplant war.

Der Platz heute - ein Ort der Begegnung.
Der Platz heute – ein Ort der Begegnung.
von Pia Unger und Jessica Braunegger

Als leidenschaftliche Südsteirerin und angehende Journalistin interessiere ich mich fürs Verschlingen und Produzieren von Medien aller Art - nebenbei bin ich als freie Mitarbeiterin für "Die Woche" in Leibnitz tätig.

1 Comment

  1. Liebe Jessica,

    der artikel gefällt mir so gut, das ich fragen wollte ob ich ihn auf radio helsinki im zuge des projekts gries interkulturell zitieren darf… bzw. passagen davon raus vorlese.

    bitte um baldige rückmeldung, an meine email adresse – die sendung ist nächste woche donnerstag

    lg Su

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