Langsam kommen die Spenden an. Copyright by Amira Ulbl.

Hilfe für den Balkan

Lesezeit: 5 Minuten

Mitte Mai kam es in Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina zu einer der schlimmsten Hochwasserkatastrophen seit knapp einem Jahrhundert. Zahlreiche Menschen haben ihr Zuhause verloren und sind jetzt in Notunterkünften untergebracht. Durch die steigenden Temperaturen, steigt auch die Gefahr vor Seuchen, die in den betroffenen Gebieten ausbrechen könnten. Landminen aus vergangenen Kriegen wurden wieder an die Oberfläche gespült, stellen eine enorme Lebensgefahr und Einschränkung für die Bevölkerung dar. Hilfe wird dringend benötigt! Wir haben uns mit den Menschen getroffen, die hinter den Hilfsaktionen stehen, die versuchen Mensch und Land zu retten.

Spontane Hilfaktionen

Als Amira Ulbl, selbstständige Frisörin, am Morgen des 16. Mai ihre Facebook Timeline nach Neuigkeiten durchforstete, entdeckte sie die ersten Fotos der Hochwasserkatastrophe in ihrem Heimatland Bosnien. Sofort war ihr klar, dass sie den betroffenen Menschen helfen wollte und startete auf der sozialen Plattform einen Spendenaufruf. Innerhalb weniger Stunden wurde ihr Posting immer weiter geteilt und verbreitete sich. Dazu erstellte sie die offene Gruppe „Graz – Pomoc Bosni i Herzegovini“ (Graz hilft Bosnien und Herzegowina), die mittlerweile über 900 Mitglieder zählt.
„Die Leute haben so viel gespendet, dass ich kurzerhand die Organisation ‚Land in Sicht‘ gegründet habe“, erzählt Ulbl. Die Organisation ist innerhalb weniger Stunden entstanden, für genauere Planung blieb da keine Zeit. Die eingetroffenen Spenden wurden zunächst in Ulbls Friseursalon gelagert, ehe alles in die Helmut List Halle geführt wurde. Erst knapp eine Woche später schaffte Ulbl es, ihre Organisation bei der Polizei anzumelden: „Aber es war kein Problem. Die Polizei hat verstanden, dass wir erst jetzt dazu kommen.“

Amira Ulbl hat innerhalb weniger Stunden eine Hilfsorganisation gegründet.
Amira Ulbl hat innerhalb weniger Stunden eine Hilfsorganisation gegründet.

Neben Amira Ulbl ist Emir Hadziomerovic – ein Bosnier, der in Graz studiert – der zweite Kopf von „Land in Sicht“. Auch er wurde über Facebook auf die Spendenaktion von Ulbl aufmerksam und beteiligte sich vor allem aus persönlichen Gründen an der Arbeit der Organisation. „Meine Familie ist besonders stark betroffen. Viele Verwandte haben alles verloren“, bedauert Hadziomerovic. Deshalb wartete er nicht lange und fuhr mit den gesammelten Spenden, ein paar Freunden und Ulbl bereits am Dienstag vergangene Woche das erste Mal nach Tuzla. Die Stadt selbst ist nicht so stark überflutet wie angrenzende Orte und Dörfer. „Teilweise sind die Häuser am Land wie vom Erdboden verschluckt“, beschreibt der Student die trostlose Lage in Bosnien. „Die Menschen sind in die Nachbardörfer evakuiert worden oder wohnen jetzt in öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen oder Sporthallen“, ergänzt Ulbl. Sie hatte Glück – ihre Heimatstadt und Familie sind nicht betroffen.

Für jede erhaltene Spende muss unterschreiben werden.
Für jede erhaltene Spende muss unterschreiben werden. © Amira Ulbl.

Da Anfangs auf der Facebook Gruppe nur auf Bosnisch geschrieben wurde, haben sich hauptsächlich Bosnische StudentInnen der Organisation angeschlossen. „Es ist wirklich wie ein Traum. So viele Menschen bieten ihre Hilfe an“, freut sich Ulbl stolz über die zahlreichen SpenderInnen. Und so konnten die beiden Leiter von „Land in Sicht“ bereits am Samstag, den 24. Mai, wieder mit vier Kleinbussen nach Tuzla aufbrechen. „Wir sind neun Stunden pro Richtung gefahren und haben dort nur die Spenden übergeben. Zuhause in Österreich waren wir komplett fertig“, erzählt Ulbl von der Reise. Hadziomerovic fährt mittlerweile zwei Mal pro Woche zu seiner Familie nach Bosnien zu, um sie so gut wie möglich zu unterstützen.

Momentan haben seine betroffenen Verwandten Unterschlupf bei anderen Familienmitgliedern gefunden. Er glaubt aber, dass ein Großteil seiner Familie nach dem Hochwasser fortgehen wird: „Meine Oma und meine Eltern werden zwar auf jeden Fall bleiben und ihre Häuser wieder aufbauen, aber meine Tante zum Beispiel möchte flüchten.“ Bosnien sei ohnehin schon vor der Katastrophe in Not gewesen. Es gab Aufstände und es wurde versucht, die Regierung stürzen. Hadziomerovic glaubt nicht, an eine finanzielle Unterstützung vom Staat an die Menschen. Dafür sei das Budget viel zu knapp. Das Land kämpft vor allem mit Korruption und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Gegen diese Probleme wurde bisher aber nur wenig unternommen.

Hilfe in Not. © Amira Ulbl
Hilfe in Not. © Amira Ulbl

Die Organisation hat ihr Lager mittlerweile in der Starhemberggasse 4 und wartet weiter auf Spenden: „Wir wollen weitermachen, denn es ist noch nicht vorbei“, appelliert Ulbl. Sobald wieder genügend Spenden eingetroffen sind, werden diese sofort an die BosnierInnen übergeben. Nachdem die Hochwasser-Opfer diese erhalten haben, müssen sie dies unterschreiben. Den SpenderInnen soll so gezeigt werden, dass die Hilfsgüter auch wirklich bei den Betroffenen ankommen.
„Land in Sicht“ wird sich auch an den Aufräumarbeiten beteiligen: „Jetzt kann ich zurückgeben, was mir gegeben wurde. Als ich 1992 nach Österreich gekommen bin, hatte ich nichts und stand auf der Straße. Mir haben enorm viele Leute geholfen“, erklärt Ulbl, woher sie ihre Energie für den enormen Aufwand nimmt.

Zusammenarbeit über Facebook

Auch bei den RosaLila PantherInnen hat man kurz nach der Katastrophe beschlossen, Sachspenden für die Hochwasseropfer in Bosnien-Herzegowina anzunehmen. Die Idee dazu kam der Leiterin der Migrationsgruppe, Lejla, spontan. „Nach zehn Minuten hatten wir bereits die erste Sachspende“, so Lejla. Dabei waren es nicht nur Mitglieder der RosaLila PantherInnen, die gespendet haben. Facebook wurde verwendet, um die Aktion publik zu machen. Somit war jeder eingeladen zu spenden, der helfen wollte. Insgesamt wurden zwölf volle Kisten mit Hygieneartikeln und Nahrung gesammelt. Mehr als sich Lejla jemals erwartet hätte.

Lejla Sarcevic und Amin Radwan haben beide Familie in den betroffenen Gebieten.
Lejla Sarcevic und Amin Radwan haben beide Familie in den betroffenen Gebieten.

Um die Spenden nach Bosnien-Herzegowina zu bringen, war man auf Hilfe angewiesen: „Ich habe herum gesucht und bin dann auf Amira Ulbl gestoßen.“ Die gebürtige Bosnierin hat die Spenden der PantherInnen entgegengenommen und in die betroffenen Gebiete gebracht. Vor allem das Internet und soziale Netzwerke spielten bei der Koordination und Organisation der Hilfsaktionen eine große Rolle. Das Publik-werden der Spendensammlung wurde stark beschleunigt, da SpenderInnen und VeranstalterInnen schnell in Kontakt treten konnten.

Die traurige Wahrheit

Lejla, selbst gebürtige Bosnierin, weiß um die direkten Probleme in ihrem Heimatland Bescheid. Vor allem über ihre Familie bekommt sie viel von der derzeitigen Situation mit, auch wenn diese noch nicht direkt von dem Hochwasser betroffen ist. Ihr Elternhaus steht auf einem kleinen Berg, das umliegende Tal wurde von den Wassermassen jedoch komplett zerstört: „Vom Staat gibt es absolut keine Hilfe. Jetzt stehen die Menschen vor den Trümmern ihres Lebens und man hat alles verloren. Eine Entschädigung von der Regierung wird es auch nicht geben. Das ist die traurige Wahrheit.“ Auch auf Hilfe seitens der EU wartet man derzeit vergeblich. Die Zahl der Arbeitslosen in Bosnien liegt derzeit inoffiziell bei über 50 Prozent. Laut Lejla sind die Menschen dort verzweifelt. Es würde so schnell auch keine Entschädigung für das krisengebeutelte Land geben.

Im Moment nehmen die PantherInnen keine Sachspenden mehr an. Da aber klar ist, dass die Menschen in Bosnien-Herzegowina noch lange nicht völlig versorgt sind, wird es demnächst weitere Aktionen geben. Auf Facebook würde kommuniziert, wann es wieder so weit sein werde. Lejla möchte sich demnächst persönlich ein Bild von der Lage machen und sehen, wo geholfen werden kann: „Ich habe vor in zwei Wochen hinunterzufahren, bei den Aufräumarbeiten zu helfen und zu schauen, was die Leute so brauchen.“

Langsam kommen die Spenden an. Copyright by Amira Ulbl.
Recht schnell kamen die Spenden an. © Amira Ulbl.

Die Geschichten dieser Menschen sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was gerade unternommen wird, um den Opfern am Balkan zu helfen. Am 1. Juni um 18.00 Uhr wird das Benefizkonzert „Music for the Balkan“ im Orpheum Graz stattfinden. Unter der Leitung des gebürtigen Bosniers Sandy Lopicic treten zahlreiche KünstlerInnen auf, um Spenden zu sammeln. Weiters rufen Grazer BürgerInnen und KünstlerInnen gemeinsam dazu auf, unseren Nachbarn zu zeigen, dass sie uns nicht egal sind. Am 15. Juni findet im Grazer Schauspielhaus ein Solidaritätsfest für den Balkan statt. Ein Fest für die ganze Familie, deren Eintritte und Spenden direkt an die Caritas übergeben werden. In der Starhemberggasse 4 werden weiterhin Spenden entgegengenommen. Benötigt werden vor allem Hygieneartikel und konserviertes Essen, aber auch Dinge wie Schaufeln und Desinfektionsmittel werden gebraucht, um überflutete Häuser wieder bewohnbar zu machen.

Von Theresa Hartlauer und Nora Partl

Geboren in Österreich. Aufgewachsen in Kenia. Wahlheimat: Teneriffa. Ich reise leidenschaftlich gerne und könnte nicht ohne Musik und Kaffee in den Tag starten. Wenn ich gestresst bin, fange ich an zu backen, was mich vor allem in den Prüfungszeiten bei meinen Kollegen sehr beliebt macht.

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