Nach gut 13 Jahren überarbeitet Graz erstmals seine Suchtstrategien. In dieser Zeit hat sich im Annenviertel und in anderen Stadtteilen schon viel getan. Was kann und was muss sich jetzt noch ändern?
Um GrazerInnen, die von Opiaten oder Medikamenten abhängig, alkoholkrank oder pathologische Glücksspieler sind, zielgerichtet zu helfen, sind über die letzten Jahre eine ganze Reihe von spezialisierten Einrichtungen entstanden. Gerade auch im Annenviertel. Nun soll diese Hilfe durchaus neue Formen annehmen. Die Grundlage dafür wäre da: die neue Suchtstrategien der Stadt Graz, die Mitte November im Gemeinderat beschlossen wurden. Die letzte Strategie hatte Ulf Zeder; Drogenkoordinator der Stadt, im Jahr 2001 verfasst. Seitdem haben sich aber die Szene in Graz und ganz Österreich sowie vor allem auch die fachlichen Erkenntnisse zum Thema Sucht geändert. Auf diese Umstände haben die Verantwortlichen jetzt reagiert und heuer erstmals seit 13 Jahren die Suchtstrategien der Stadt überarbeitet.
Grundlage dafür bot eine vom Anton Proksch-Institut durchgeführte Delphi-Studie, in der ExpertInnen Grundlagen neu definieren und Lösungsansätze aufzeigen. Auch VertreterInnen aus Gewerbe und Wirtschaft waren beteiligt. Eine von vielen Möglichkeiten, die in der Studie aufgezeigt werden: Ein Teil der Einnahmen aus dem Glücksspielgeschäft könnte therapeutischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Immerhin sind laut aktuellen Zahlen zumindest tausend GrazerInnen glücksspielsüchtig. Meinungen aus der Forschung, von Gesundheitsstadträtin Lisa Rücker und von Roland Urban, Einrichtungsleiter des Kontaktladens in der Orpheumsgasse, gehen in Bezug auf die nötigen Änderungen konform.
Hilfe statt Krieg
„Bereits die Strategie von 2001 war sehr fortschrittlich“, betont Lisa Rücker im Gespräch mit der Annenpost. Daher werde diese als Grundlage angesehen. „Vor allem die Fachdiskussion hat sich geändert. Abstinenz ist nach heutigen Ansichten kein erstrangiges Ziel mehr“, darin sind sich Grünen-Stadträtin und Roland Urban einig. Das sollte auch der Zivilbevölkerung klar werden. „Eine drogenfreie Welt ist als Wunsch da, aber unrealistisch“, so Urban. In der neuen Strategie liest sich das etwa so: „Lösungsvorschläge wie Zwangsentzüge und Verelendungsverstärkung als ,ausstiegsmotivationserhöhender Druck´ oder Integrationsunterstützung nur für Abstinente und ähnliches mehr, gehören im allgemeinen der Vergangenheit an“. Ein radikaler „Krieg“ gegen Drogen und Süchtige würde eher Chancen verstellen als den Betroffenen wirklich helfen.
Im Bericht an den Gemeinderat, den Zeder bearbeitet hat, wird betont, wie wichtig es sei, dass Süchtige den Weg zurück in eine stabile Lebenssituation mitgestalten. Auch Eigenverantwortlichkeit müsse man stärken, damit Betroffene wieder zu einem Teil der Gesellschaft werden können. Ausbaufähig wären laut Roland Urban momentan noch Angebote wie Unterstützung in niederschwelliger Form oder die Möglichkeit, Ersatzmedikamente auch intravenös zu sich zu nehmen. Versuche, solche und ähnliche Systeme durchzusetzen, hat es einige gegeben, die Diskussion über einen möglichen Konsumraum für Graz zieht sich schon über Jahre. Woran die Umsetzung bis jetzt gescheitert ist, lässt sich nicht genau festmachen. Dass Drogenbesitz ein Offizialdelikt, also jedenfalls strafrechtlich zu verfolgen ist, ist einer der möglichen Gründe. Auch muss es Süchtigen nach Urban ermöglicht werden, zurück in ein geregeltes Leben zu finden – vor allem durch Arbeit. All das findet sich auch in der neuen Suchtstrategie wieder.
Viele Einrichtungen im Annenviertel
Gerade in den Bezirken am rechten Murufer ist seit 2001 einiges passiert. Zu den etwas neueren Projekten zählt die seit 2012 laufende „Schnittstelle Glücksspiel“ des Vereins JUKUS in der Annenstraße, in dem MigrantInnen im Bereich Verhaltenssucht unterstützt werden, außerdem die „Interdisziplinäre Kontakt- und Anlaufstelle“, kurz „IKA“, in der Papiermühlgasse 28, die als Drogenambulanz 2011 eröffnet wurde.
Am Mariahilferplatz können sich Menschen mit Substanzsüchten in der Vor- und Nachbetreuungsambulanz der Therapiestation „Walkabout“ Hilfe in Form von Informationsgesprächen, stationärer Vor- und Nachbetreuung und vielem mehr holen.
Auch einen Spritzenautomaten gibt es im Annenviertel. Er wird von der Mohren-Apotheke am Südtirolerplatz betrieben. In Notschlafstellen wie dem VinziTel oder der Arche38 finden abhängigen Menschen einen Schlafplatz. Konsumieren dürfen sie dort freilich nicht, auch wer gerade „high“ ist muss draußen bleiben.
Ein Schritt nach dem anderen
Wie es mit der Suchtstrategie weitergehen soll, ist für Rücker klar. Zunächst gilt es den Gemeinderäten ein reales Bild der Situation in Graz zu vermitteln. Erst dann könne man wirklich sinnvolle konkrete Maßnahmen entwickeln. Daher sind Bildungsreisen ein nächster wichtiger Schritt in Richtung Aufklärung. Die Entstigmatisierung der Suchterkrankung ist nicht nur im Gemeinderat ein Thema, sondern in der ganzen Gesellschaft und eines der großen Ziele der neuen Suchtstrategie. Dieser Punkt zählt auch zu den dringenden Anliegen von Urban, der jedoch bereits eine Besserung in der öffentlichen Auffassung erkennt: „Man sieht das Ganze schon weniger als moralische Verfehlung oder kriminelle Handlung, sondern mehr als krankheitswertige Störung oder Phänomen, das behandelt gehört.“