Die Tür geht auf und man hört Lachen und Kinderstimmen, die angeregt miteinander sprechen. Großzügige Räume stehen den Kindern hier zur Verfügung, in denen sie tun und lassen können, was sie wollen. Hier, im Interkulturellen Bildungsgarten, werden wichtige Erfahrungen gesammelt, Freundschaften geknüpft und verschiedene Kulturen kennengelernt. Nevenko Bucan hat mit uns gesprochen und uns einen Blick hinter die Kulissen des „Bildungsgartens“ gewährt. Er erzählt, wie sie gemeinsam mit den Kindern die traditionelle Adventszeit begehen, den Alltag gemeinsam meistern und versuchen Toleranz gegenüber den unterschiedlichen Kulturen zu schaffen.
„Bei uns ist alles anders“
1991 wurde der Verein „Interkultureller Mehrsprachiger Kindergarten“ gegründet. Ein Jahr später wurde in der Steiermark eine Gruppe mit zwölf Kindern eröffnet, darunter sechs österreichische. 1995 wurde eine zweite Gruppe eröffnet unter der Begleitung von drei MitarbeiterInnen aus drei Ländern. Der „Bildungsgarten“ unterscheidet sich nicht nur durch seinen Namen von anderen Kindergärten. Der Alltag wird im Interkulturellen Bildungsgarten untypisch gestaltet: Es gibt kein fixes Programm für die Kinder. Sie können das tun, was sie interessiert, wo ihre Stärken liegen. Oder sie machen das, was ihnen eben Spaß und Freude bereitet. Die Bildungspädagogen werden als Begleiter gesehen, die den Kindern helfen, wenn es nötig ist, ihnen aber den Freiraum lassen, den sie brauchen um eigenständig Erfahrungen zu sammeln. „Es beruht alles auf Freiwilligkeit“, erklärt Nevenko.
„Für diese Kinder würde ich mein Leben lassen“
Nevenko kommt ursprünglich aus Kroatien und hat dort das Studium der Politikwissenschaften sowie Journalismus erfolgreich abgeschlossen. Dennoch hat er den Beruf des Bildungspädagogen gewählt. „Es ist kein Beruf, es ist eine Berufung“, meint Nevenko. Der zentrale Begriff, der ihn dazu bewegt hat von Beginn an am Bildungsgarten mitzuwirken, ist „Freiheit“. Mit seiner Arbeit als Bildungspädagoge habe er einen Beruf gefunden, der für ihn Sinn macht. „Für diese Kinder würde ich mein Leben lassen“, sagt Nevenko.
Advent im Multi-Kulti-Kindergarten
Ob das christliche Weihnachtsfest, das islamische Fest Seker Bayrami oder das jüdische Schawuot-wenn der Wunsch von Seiten der Eltern oder der Kinder kommt, wird jedes Fest gefeiert. Weniger aus religiösen Gründen, sondern aus Respekt dem Land und der Kultur des Kindes gegenüber. Diese Feste werden aber nur gefeiert, wenn Kinder aus den jeweiligen Religionen oder Kulturen da sind und die Eltern das initiieren. Dennoch sagt Nevenko klar: „Die österreichische Tradition steht im Mittelpunkt, weil das unser Zuhause ist.“ So hat er heuer zum ersten Mal aus einem Nikolaus-Bilderbuch vorgelesen. Unter freiem Himmel lauschten die Kinder, am Lagerfeuer sitzend, der Geschichte des Heiligen Nikolaus.
Aber ganz bewusst wird darauf geachtet, dass es nicht zu sehr ins Religiöse abdriftet. „Es soll beim Kindlichen bleiben. Wo die Augen groß werden: Ein Wunder! Man muss ihnen noch irgendwie beibringen, dass es Wunder gibt. Wunder passieren noch“, glaubt Nevenko.
Den Spagat zwischen Tradition und Toleranz schafft der „Bildungsgarten“ damit, dass man zum Beispiel nicht den Martinsumzug feiert, sondern ein Lichterfest. Man will damit versuchen die Tradition zu bewahren aber gleichzeitig neu zu interpretieren. Mit Feuer, Kerzen und Lichtinstallationen will man den finsteren Winter erhellen.
„Ich bin Kroate, na und?“
Nevenko hat schon vieles in seinem Leben gesehen. Er hat mit eigenen Augen gesehen, wie Menschen im Krieg zu Tieren wurden, er hat in Wien bei der Botschaft gearbeitet und diverse Redaktionen von Zeitungen von innen gesehen.
Er ist sich ganz sicher, dass Rassismus, Nationalismus und religiöser Fanatismus mit der Schule bzw. mit der institutionellen Erziehung kommt. „Die Welt der Erwachsenen können wir nicht mehr ändern. Aber die Welt können wir schon ändern, wenn die Kinder anders aufwachsen“, erklärt Nevenko.
Er will genau das mit seiner Arbeit als Bildungspädagoge erreichen: die Welt der Kinder zum Besseren verändern.
Das Ziel des Bildungsgartens erklärt er mir ganz einfach: „Für uns hier ist es ganz selbstverständlich, dass einer ein Spanier, einer ein Deutsch-Brasilianer und ein anderer ein Russe ist. Ich bin Kroate, na und?“
Wie man auch im Alltag Interkulturalität und Toleranz leben kann, erklärt er mit einem seiner persönlichen Grundsätze: „Man muss einfach alles in Frage stellen, was dich bewegt. Glaub‘ nie, was du denkst.“ Das versucht er auch den Kindern beizubringen: kritische, tolerante und selbstständige Erwachsene zu werden. Das versucht er mit seinem Beispiel, seiner Freude und seiner Freundschaft zu den Kindern.