Im November 2015 wird in der Synagoge Graz das erste Holocaust-Gedenkzentrum Österreichs eröffnet. Ein Gespräch mit den Verantwortlichen Ruth Kaufmann, Thomas Szammer, Uwe Kohlhammer und Nathalie Pollauf darüber, was geplant ist und warum dieser Schritt erst jetzt gesetzt wird.
Daniel und Bertl sind zwei ganz normale Burschen aus Graz. Sie gehen gerne ins Augartenbad, besuchen wie jeder andere in ihrem Alter die Schule. Und sie sind Juden. Die Geschichte der beiden Buben, von denen Daniel eine fiktive Figur ist, stellt so etwas wie den rote Faden dar, der durch das Holocaust-Gedenkzentrum in der Grazer Synagoge führen wird, das nächstes Jahr eröffnet werden soll. Ihre Geschichte beginnt in der Zeit vor 1938. “Man merkt, dass es im Laufe der Jahre immer enger wird für die zwei Buben. Ausgrenzung und Rassismus nehmen zu.“, erklärt Uwe Kohlhammer, der für das Design der Ausstellung verantwortlich ist. „Man fragt sich, wieso?“ Auf zwei Ebenen versucht die Ausstellung, die Frage nach dem Grund zu beantworten und die Geschichte des Holocaust besonders kinder- und jugendgerecht aufzuarbeiten.
Das Untergeschoss, das für Vergangenes steht, präsentiert den Lebensweg der beiden Buben, der für die fiktive Figur Daniel im Konzentrationslager endet, wo er ermordet wird. “Daniels Tod steht symbolisch für die vielen Opfer des Nationalsozialismus.“, erzählt Uwe Kohlhammer. Bertl hingegen, dessen Schicksal wahr ist, kann flüchten und überlebt den Holocaust. „Die Kinder sollen sich durch die Arbeit mit Einzelschicksalen mit den zwei Buben identifizieren können.“, so Ruth Kaufmann, Präsidentin des israelitischen Kultusvereins Graz.
Die Ausstellung im Obergeschoss soll für die Zukunft und für ein tolerantes Miteinander aller Religionen und Kulturen stehen. Ein Kieselstein wird an Daniel erinnern und so die beiden Ebenen miteinander verbinden. „Ein großes, buntes Netz an den Wänden der Synagoge soll den heutigen Kulturbegriff dem damaligen gegenüberstellen. Es gibt keine abgetrennten Stereotypen, sondern viele unterschiedliche Individuen.“, sagt Thomas Szammer, Bildungsbeauftragter des Vereins. „Das obere Stockwerk der Ausstellung ist sowohl das Ende, als auch der Anfang der Geschichte.“, fügte Uwe Kohlhammer hinzu.
Was die Motivation zur Einrichtung eines solchen Zentrums war? Besonders LehrerInnen und PädagogInnen haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie notwendig ein solches Zentrum wäre, um Schülern und Schülerinnern den Holocaust zu erklären. „Es besteht großes Interesse, angefangen von der Volksschule bis hin zur Oberstufe. Mit den Materialien, die wir jetzt zur Verfügung haben, ist es aber schwierig, den Holocaust zu erklären. Die Schüler haben oft Fragen, die wir in der Synagoge mit den Mitteln, die bereit stehen, nicht erklären können.“, sagt Nathalie Pollauf, verantwortlich für das Führungsmanagement des Vereins. „Es geht um Aufklärung. Wir haben bereits sehr viele positive Kommentare von PädagogInnen bekommen.“
Gerade Graz hat eine dunkle Vergangenheit, was den Umgang mit seiner jüdischen Gemeinde angeht. Anfeindungen und Beleidigungen standen schon vor dem eigentlichen Beginn des zweiten Weltkriegs und der Judenverfolgung an der Tagesordnung. „Genau vier Personen in Graz sollen überlebt haben, zumindest gibt es keine Daten über ihre Emigration.“, sagt Thomas Szammer. Laut Kohlhammer war Graz sogar die erste Stadt im dritten Reich, die sich als „judenfrei“ deklarierte. Bereits Ende 1938 waren alle Juden aus Graz vertrieben worden und über Wien in das KZ Dachau geschickt worden, allerdings schafften es auch Einige, sich zu verstecken und unterzutauchen. „Gerade diese erschreckenden Zahlen zeigen die Notwendigkeit eines solchen Projektes in Graz.“, fügt Szammer hinzu. „Es ist daher ein wunderschönes Zeichen, dass das erste Holocaust-Gedenkzentrum Österreichs in Graz stehen wird.“, sagt Ruth Kaufmann, die Tochter von „Bertl“, der heute 90 Jahre alt ist.
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