Seit über 35 Jahren betätigt sich Südwind in der Entwicklungspolitik und Bildungsarbeit. Wir haben die Regionalstelle Steiermark in der Annenstraße besucht und die Mitarbeiter gefragt, was sie so vom Annenviertel halten.
„Unser Ansatz ist es, den Menschen die Perspektive des Globalen Südens näher zu bringen“, erklärt Gerhard Adam, Regionalstellenleiter in Graz, die Aufgabe des Vereins Südwind wie auch die Namensgebung. Der „Wind“ stehe dabei für die Schlagkraft des Vereins: „Es bläst jetzt was daher und wir sind der politische Player, mit dem man rechnen muss.“
In der öffentlichen Wahrnehmung ist derzeit aber nur ein Luftzug zu spüren. Themen wie Steuerreform, Asyl und Arbeitslosigkeit dominieren Österreich und die Entwicklungspolitik muss sich die Frage stellen, welchen Stellenwert sie in der Gesellschaft hat. Adam schätzt diesen durch seine tägliche Arbeit hoch ein, seine privaten Erfahrungen sehen aber anders aus. „Wenn ich den Namen Südwind erwähne, der in der österreichischen entwicklungspolitischen Szene ein großer ist, sagen die Leute: ‚Kenn ich nicht.‘“ Im politischen Diskurs rücke das Thema seit Sebastian Kurz‘ Amtsantritt als Außenminister aber stärker ins Bewusstsein. Die breit angelegte Diskussion um die österreichische Asylpolitik verfolgt der Verein indirekt. „Es ist als NGO sinnvoller, sich auf seine Kernthemen zu konzentrieren. Diese sind bei uns Globales Lernen, der Globale Süden und Kampagnen.“
Abhängig und demokratisch
Zahlreiche dieser Kampagnen machten Südwind in den 80er- und 90er-Jahren zu einem durchaus bekannten Namen. Heute beschäftigt die Agentur rund 60 Mitarbeiter in ganz Österreich, sieben arbeiten in der Annenstraße. Über dem Annenhofkino befindet sich die Regionalstelle Steiermark, die Gerhard Adam seit 2013 leitet – oder, wie er sagt, koordiniert. „Wir haben eine sehr flache Hierarchie. Es gibt Teamsitzungen, in denen wir Dinge demokratisch beschließen und ich koordiniere diesen Prozess.“ Ohne Umschweife erklärt er, dass man sehr stark von den Geldgebern abhängig sei. „Wir definieren uns zwar als NGO, haben aber nur ein kleines Fundraising und sind daher auf die öffentlichen Gelder angewiesen.“ Ein Viertel des Kapitals wird durch EU-Projekte finanziert, doppelt so viel durch die Austrian Development Agency. Nur selten kommt es vor, dass Projektanträge abgelehnt werden. „Wir haben jetzt über 35 Jahre Erfahrung, die meisten werden angenommen.“ In der Zusammenarbeit mit dem Bundesverein hingegen sei man immer auf einen Konsens bedacht. Obwohl als GmbH organisiert, könne man Südwind nicht mit einem Unternehmen vergleichen. Das beste Beispiel dafür liefert Adam, als er auf die Frage, wie stark man vom Bundesverein abhängig sei, antwortet: „Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt.“
Das derzeit größte Projekt erreichte im letzten Jahr etwas mehr Aufmerksamkeit – richtet es sich doch gegen das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Mit anderen Organisationen schloss sich Südwind zu einem breiten Bündnis zusammen, das nach einer Demo in Graz im Dezember bereits weitere Pläne hat. Die nächste große Aktion wird am 18. April, dem weltweiten TTIP-Aktionstag stattfinden. Dann darf man auch davon ausgehen, dass das Thema medial wieder stärker in Erscheinung tritt. „Es ist noch nichts fixiert. Aber die meisten, die beim letzten Mal dabei waren, werden wieder gemeinsam etwas machen“, verrät David Horvath, der die AktivistInnen koordiniert. Laut Adam funktioniert die Arbeit in diesem Netzwerk bereits sehr gut, aber man wolle in Graz in Zukunft noch präsenter sein. Die nächste Veranstaltung findet mit einer Kleidertauschparty im Spektral am 28. Jänner statt. Langfristig wünscht sich Adam eine größere Unabhängigkeit von den Fördergebern. „Aber diesen Wunsch wirst du von einer NGO immer hören.“
Definierung über ein aktives Viertel
Das Annenviertel liegt immer wieder im Tätigkeitsbereich von Südwind. „Wir haben immer wieder AktivistInnentreffen hier und haben mit rotor oder der Gemeinwohlökonomie kooperiert“, erzählt der Regionalstellenleiter. „Dort kommt dieses Netzwerk des Annenviertels sehr stark heraus.“ Bei konsumkritischen Spaziergängen, wo Konsumalternativen aufgezeigt werden, befinden sich viele Standorte im Annenviertel. Für mehr Projekte im Viertel reich einfach die Zeit nicht. Als „Annenviertler“ möchte Südwind aber demnächst dem Annenviertel-Verein beitreten. Das hat auch persönliche Gründe. Adam war vor seiner Tätigkeit bei Südwind viel unterwegs, hat in Mexiko und Bhutan gearbeitet, in Spanien seinen Master gemacht, aber immer Graz als seinen Lebensmittelpunkt betrachtet. Er sieht im Annenviertel vor allem den Wandel, den auch die Stadtpolitik vorangetrieben habe. Ihm fallen Kunstprojekte und Initiativen auf, aber auch leerstehende Geschäfte. Sorgen macht ihm die Gentrifizierung im Bezirk Lend. „Junge Leute können zwar in diesen ‚hippen‘ Stadtteil ziehen, aber da müssen auch die Wohnungspreise in Ordnung bleiben. So werden Randgruppen weiter nach außen gedrängt.“ So ginge die Vielfältigkeit des Viertels verloren. „Ich weiß nicht, wie man das am besten machen könnte. Auf jeden Fall würde ich es wirklich schön finden, wenn die Diversität erhalten bleibt.“
Ins selbe Horn bläst auch Kavita Sandhu, die als Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei Südwind arbeitet. Seit 15 Jahren kennt sie das Annenviertel und in den letzten Jahren gefällt es ihr immer besser. „Ich mag, dass sich hier Leute mit kreativem Potenzial ansiedeln. Und die große Diversität, die man hier sieht. Und das indische Lebensmittelgeschäft.“ Die versteckten Schätze der Annenstraße faszinieren sie. „Hier gibt es immer Plätze, wo man nicht mehr vermuten würde, dass es noch was gibt. Aber dann entdeckt man kleine Kostbarkeiten, wie einen afghanischen Imbiss, der mir nie aufgefallen ist.“ Ihrem Gefühl nach ist seit dem Umbau wieder mehr Bewegung in die Annenstraße gekommen. „Vorher wirkte es so ausgestorben, das ist jetzt besser. Aber die Straße sollte noch mehr belebt werden.“ Sie merkt auch, dass sich jetzt mehr Menschen in dem Stadtteil ansiedeln, was in anderen Grazer Gebieten nicht der Fall sei.
Was David Horvath am Annenviertel gefällt? „Das Nachtleben.“ Die Lokale hier findet er einfach „klassa“ als im Univiertel. Obwohl er auf der anderen Seite der Mur wohnt. „Ich werde aber irgendwann einmal im Lend oder Gries wohnen, weil ich es auf jeden Fall für eine interessante Gegend halte.“ Alle drei sind der Meinung, dass das Annenviertel mit seinem Zusammenleben verschiedener Kulturen ein Vorbild für andere Orte sein kann. „Hier findet ein wichtiger begleitender Prozess statt mit dem Büro der Nachbarschaften oder den Stadtviertelaktivitäten. Das ist hier wesentlich stärker als in anderen Grazer Stadtteilen“, empfindet Adam. „Menschen sollten sich über ihr Stadtviertel definieren statt über ihre Herkunft.“
Für Sandhu funktioniert das aktive Zusammenleben: „Es kann immer zu Konflikten kommen, wenn verschiedene Gruppen, die unterschiedliche Werte vertreten, zusammenkommen. Ich glaube, dass es hier aber in eine gute Richtung geht.“ Von außen wird das Annenviertel oftmals negativ beurteilt, für Adam hingegen hinkt die Realität der Darstellung noch ein wenig nach. „Die Annenstraße spiegelt das gut wider. Wenn man in eine Seitengasse geht oder in Bereiche, die vom ‚Upgrade‘ noch nicht profitieren konnten, ist schon noch das ‚alte‘ Annenviertel da, mit den Stereotypen, die dahinter stecken. Ich glaube, da muss man noch ein bisschen aufholen.“