Annentalk: Vom Recht auf ein Dach über dem Kopf

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© Paul Bernhard
Beim ersten Annentalk des Jahres wurde es auch einmal lauter. Franz Leber, Nana Pötsch und Leo Kühberger diskutierten mit Anna-Magdalena Druško über Gentrifizierung (v.l.n.r.). © Paul Bernhard
Graz wächst rasant, die Mietpreise steigen. Veränderungen sind gerade auch um den Lendplatz sichtbar. Das Grätzl wird hipper, schöner, sauberer. Profitieren alle BewohnerInnen davon? Wer wird verdrängt, wer muss weg – diese Fragen versuchte am Mittwoch ein Annentalk am Lendplatz zu beantworten. Dabei gingen die Wogen hoch.

Nana Pötsch kann sich kaum auf ihrem Sitz halten: „Da krieg ich einen Gitzi! Alle reden über Gentrifizierung, das ist so ein Pseudogedackel. Wirklich wahr“, macht die Sozialarbeiterin und Viertelaktivistin ihrer Empörung Luft. Es gehe vielmehr darum, sich mit den eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu solidarisieren, egal woher sie kommen: „Solidarität fällt nicht vom Himmel, die wird auch nicht ins Postkastl zugestellt.“

Wir befinden uns mitten im ersten Annentalk, einem Diskussionsformat der Annenpost in Kooperation mit dem Annenviertel-Verein. Pötsch ist eine von drei Diskussionsgästen in der Markthalle am Lendplatz. Auf grünen Retro-Fauteils neben ihr sitzen Franz Leber, Architekt beim Büro Pentaplan, und der Historiker Leo Kühberger. Zum Diskussionsthema passt auch das Motto des heurigen Lendwirbels: „Was bleibt im Lendeffekt?“ Ein Infragestellen, das zum Nachdenken anregt. (Die Annenpost Lendwirbel-Ausgabe hat sich mit dem Thema näher beschäftigt.)

Mehr öffentliche Unterstützung wünscht sich Ulrike Lerch. Ihren betagten Verwandten droht die Delogierung.
Mehr öffentliche Unterstützung wünscht sich Ulrike Lerch (links vorne). Ihren betagten Verwandten droht die Delogierung. © Paul Bernhard

Wohnsituation wird prekärer

In einer Sache sind sich die DiskutantInnen einig: Die Wohnsituation wird prekärer. Der „Druck wächst total in allen Preissegmenten“ (Pötsch), „arme Menschen können es sich nicht mehr leisten und müssen gehen“ (Kühberger). Einzig Architekt Leber sieht die Veränderung weniger dramatisch: Nur im Kulturhauptstadtjahr 2003 hätte es einen Sprung nach oben gegeben, seitdem stiegen die Mieten im Annenviertel gleich wie in den anderen Bezirken der Stadt.

Auch Ulrike Lerch ist vor Ort. Sie ist die Nichte der beiden 80-Jährigen, denen im März bereits die Räumung drohte – die Annenpost berichtete. Die Delogierung wurde gerade noch verhindert, der Streit mit dem Vermieter geht weiter. Dabei geht es allerdings weniger ums Finanzielle – die Lerchs hätten die Miete stets pünktlich bezahlt, beteuert die Nichte. Es geht auch um mehrere Fälle angeblicher Beschimpfung und „unleidlichen Verhaltens“ der Mieter. Ihre Tante und Onkel hätten sich „eigentlich nichts zu schulden kommen lassen“, sagt Lerch, und hofft auf öffentliche Unterstützung: „Es fehlt mir, dass das Volk aufspringt und sagt: So geht’s nicht, so kann man mit alten Leuten nicht umspringen.“

Einige im Publikum nicken in stillem Beifall, bevor die Moderatorin das Wort an Franz Leber übergibt. Aufwertung, sagt der Architekt, sei der klassische Kreislauf in der Stadt. Einen Aspekt sieht er besonders positiv: „Am stärksten ist das Rotlichtmilieu verdrängt worden.“ Und Fälle wie Familie Lerchs Mietstreit „hat es immer schon gegeben“. Seine Sitznachbarin Nana Pötsch schüttelt demonstrativ den Kopf.

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Architekt Franz Leber sieht in der Aufwertung des Stadtteils auch Positives. © Paul Bernhard

Bordelle „sterben aus“

Sie hat ihre Diplomarbeit über Prostitution geschrieben, sagt Pötsch, und erklärt: „Die Bordelle in der Stadt sterben aus, weil sich der Markt verändert hat.“ Das habe mit Gentrifizierung „weniger zu tun, als man denkt“. Was es im Bezug auf Verdrängung brauche, seien „Strategien auch über ideologische Grenzen hinweg. Von unten nach oben, nicht von der Politik.“

Leber hält dem entgegen, er wünscht sich mehr öffentliche Zuschüsse. Die Förderungen für sozialen Wohnbau sänken kontinuierlich, „im Gegenzug werden die Baukosten jedes Jahr mindestens drei bis fünf Prozent teurer.“ Günstiges Bauen werde dadurch erschwert.

Was man ad hoc gegen Verdrängung tun kann, fragt Moderatorin Anna-Magdalena Druško zum Schluss. Für Leo Kühberger, der auch im Bildungsverein der KPÖ tätig ist, lautet die Antwort: „Get organized!“ Das fange im eigenen Haus an. Man müsse sich gegenseitig helfen und versuchen „gegenzuhalten“. Denn: „Wir haben verdammt noch mal alle das Recht, in dieser Stadt zu leben und ein Dach über den Kopf zu haben.“

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Zusammengefasst: Video zum Annentalk „Wer muss weg?“

Kamera & Schnitt: Milla Annabith
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Reist am liebsten auf zwei Rädern, liest Zeitung, Non-Fiction und Reisepass, jongliert mit Buchstaben, Keulen und Drumsticks. Prinzipiell skeptisch-interessiert. Kaffeegourmet.

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