Der letzte Annentalk in diesem Jahr thematisierte den Jihad und die Radikalisierung von Jugendlichen. Im islamischen Kulturverein LIGA diskutierten Emina Saric und Magdy Elleisy.
Regelmäßigen BesucherInnen des islamischen Kulturvereins LIGA bot sich ein ungewöhnliches Bild, als unmittelbar nach dem Abendgebet großteils junge Menschen in den Gebetsraum strömten. Mit einem so großen Andrang hat wohl niemand gerechnet. Während die Gäste ihre Jacken aufhängen und erste neugierige Blicke durch den Raum schweifen lassen, stellen diejenigen die hier gerade noch gebetet haben zusätzliche Stühle bereit. Magdy Elleisy ruft durch den Raum: „Liebe Damen, Kopftücher zu tragen ist heute keine Pflicht. Wenn aber jemand möchte, dann stellen wir gerne welche bereit.”
„Wann ziehst du in den Krieg? lautete das Thema des Annentalks, der am 3. Dezember in der Neubaugasse über die Bühne – also, über den Gebetsteppich – ging. Die Annentalks entstanden beim Lendwirbel 2014 und wurden vom damaligen Team der Annenpost konzipiert. Sie beleuchten für das Viertel relevante Themen und finden an unterschiedlichen, jeweils charakteristischen Orten statt. Für den Veranstaltungsort hat sich Organisatorin und Moderatorin Anna Drusko bewusst entschieden: „Ich wollte es in einem muslimischen Rahmen machen”, sagt die Journalismus-Studierende. „Da geht´s ums Authentische.”
Der Jihad wird falsch interpretiert
Anna spricht mit Emina Saric von der frauenspezifischen Beratungsstelle DIVAN und dem islamischen Religionslehrer Magdy Elleisy. Gleich zu Beginn stellt Elleisy klar, dass Jihad nicht nur als „heiliger Krieg” zu verstehen sei. Vielmehr gehe es dabei um alltägliche Anstrengung, das Kämpfen mit und gegen sich selbst. Er halte seine SchülerInnen dazu an, Jihad zu betreiben, indem sie ihre Schulaufgaben erledigen und mehr lernen als ihre Klassenkollegen. Das Wort Jihad würde von vielen – auch MuslimInnen – oft fehlinterpretiert. Mit dem Begriff „heiliger Krieg” konnte Elleisy, als er nach Österreich kam, nichts anfangen. „Das steht nirgends im Koran, der Prophet hat auch nie davon geredet”, stellt er fest und ergänzt: „Krieg war nie heilig, wird nie heilig, das wurde erfunden von dem Urban. Wer war Urban? Ein Papst!”
Unsichere und unzufriedene Jugendliche als leichte Opfer
Für Emina Saric erklärt sich die Anziehungskraft, die der „Islamische Staat” auf manche Jugendliche ausübt, so: „Viele junge Menschen wenden sich von der Gesellschaft ab und suchen nach etwas anderem, wenn sie nicht zufrieden sind.” Die vom IS gemachten Versprechungen würden dann sehr leicht verführen. Besonders Mädchen suchten in diesem Alter nach Stabilität und Zugehörigkeit. In der frauenspezifischen Beratungsstelle DIVAN sei bisher erst ein Fall von Radikalisierung eingegangen – ein Mädchen, das angeblich in den Krieg ziehen wollte. Laut Saric habe man das Gespräch gesucht. „Ich glaube, dass die Prävention ganz wichtig ist. Das heißt: reden, reden, reden.”
Auch Magdy Elleisy sucht das Gespräch mit Jugendlichen, die mit dem IS sympathisieren. Diese Tendenzen bemerke er an einigen Fragen, die sie typischerweise stellen würden. Wenn ein Junge zum Beispiel das Freitagsgebet kritisiere, sei das ein Warnzeichen. Im vergangenen Schuljahr habe es einen Jugendlichen gegeben, der „Schwierigkeiten hatte”. Elleisy berichtet, wie er den Buben in die Moschee eingeladen und mit ihm über Jihad und Scharia gesprochen hatte. Er habe ihm den Imam vorgestellt, der wegen seiner Witze und seines „tiefen Lachens” oft bei konservativen Muslimen für Verwunderung sorgen würde.
Ein Problem sieht Elleisy beim „Nachholen”. So nennt er es, wenn einE MuslimIn anfängt, nach einer weniger religiösen Zeit in seinem Leben plötzlich das Versäumte „nachzuholen”. Diese Leute seien oft mit der offenen Einstellung der Moschee nicht zufrieden und würden die Gemeinde als „Muslime light” betrachten.
Auf die Fragen, ob der Jihad auch im Annenviertel Einzug gehalten habe oder wie man präventiv gegen Radikalisierung ankomme, bot der Annentalk nur wenig konkrete oder überraschende Antworten. Deutlich wurde allerdings eines: So einig sich die Anwesenden dabei waren, wie wichtig Aufklärung und Gespräche bei der Deradikalisierung sind, so deutlich gingen die Meinungen bei anderen Themen auseinander. Dass Saric und Elleisy bei der Frage „Kopftuch tragen – ja oder nein” unterschiedliche Meinungen vertreten, liegt nahe. Als Elleisy aber die Rolle der Frau in der Familie anspricht, kochen die Gemüter kurz hoch. Seiner Ansicht nach sind Frauen wichtiger als Männer. Die Begründung: eine Familie könne zwar ohne Vater, aber nicht ohne Mutter existieren.