Dem Hauptbahnhof gegenüber findet man innerhalb von nur 200 Metern drei Spielsalons beziehungsweise Wettcafés

Kampf gegen die stille Sucht

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Spielautomaten sind im Annenviertel zuhauf anzutreffen. Das „kleine Glücksspiel“ boomt. Eine Gesetzesnovelle im kommenden Jahr könnte das Stadtbild jedoch gehörig auf den Kopf stellen.

Dem Hauptbahnhof gegenüber findet man innerhalb von nur 200 Metern drei Spielsalons beziehungsweise Wettcafés
Dem Hauptbahnhof gegenüber findet man innerhalb von nur 200 Metern drei Spielsalons beziehungsweise Wettcafés

Mittlerweile ist es dunkel geworden, in Dauerschleife laufen blinkende Herzen und Schriftzüge über die Werbetafeln des Nachtclubs. Die Worte locken mit vielfältigen Angeboten in die Etablissements, an denen an diesem Abend eine Gruppe aus interessiertem Fachpublikum vorbeischlendert. Häufig sind im Inneren auch Automaten aufgestellt – eine Symbiose aus Sexarbeit und Glücksspiel. Das schwarze Gebäude mit Herzen und Kleeblättern wirkt jetzt selbst wie ein überdimensionaler einarmiger Bandit. Das kleine Glücksspiel, wenn alles vom Zufall abhängt und um vermeintlich geringe Beträge gespielt wird, ist das größte Problem im Kampf gegen die Spielsucht. „In fast jeder Bar hier steht ein Automat, aber wenn ich Bar sage, meine ich, naja, halt nicht wirklich eine Bar.“ Ali Özbaş vom Verein JUKUS leitet an diesem Abend den Streifzug zu den Glücksspiel-Hot-Spots der Gegend, sein Ziel ist der Griesplatz. Es ist der Abschluss eines Fachtages, den die Fachstelle für Glücksspielsucht Steiermark in Kooperation mit JUKUS auf die Beine gestellt hat. Zentrales Thema war die Gesetzesnovelle im kommenden Jahr. „Geld ist Freiheit. Wenn es kalt ist, suchen sich Menschen warme Plätze und träumen von der Freiheit“, meint Özbaş auf dem Weg über die Radetzkybrücke hinein in den Gries.

Auch in den Nachtclubs der Bezirke sind derzeit noch Einzelautomaten zu finden - jedoch nicht mehr lange
Auch in den Nachtclubs der Bezirke sind derzeit noch Einzelautomaten zu finden – jedoch nicht mehr lange

Umbruch in der Glücksspielbranche
Vor einem Spielsalon am Griesplatz kommt die Frage auf, ob man denn so einfach in die Lokale hineinkomme. „Ja sicher, in dem da gibt’s fünf Automaten und einen Geldwechsel auch“, meldet sich ein älterer Herr zu Wort. Ab 2016 wird sich die Zahl der Automaten in der Steiermark drastisch reduzieren. Einzelautomaten sollen bald der Vergangenheit angehören, sie werden von kleinen Salons mit bis zu 50 Automaten ersetzt. Der Betrieb des kleinen Glücksspiels, das Spiel an Automaten, ist in Zukunft drei Lizenznehmern vorbehalten, jeder von ihnen darf maximal 337 Automaten in der Steiermark aufstellen. Die Zahl von derzeit etwa 3000 Geräten wird sich somit um etwa zwei Drittel reduzieren. Allein rund um die Annenstraße findet man heute noch etwa 30 Geräte, viele Gelegenheiten, die zum schnellen Spielchen zwischendurch verleiten.  Eine der Lizenzen geht voraussichtlich an Admiral, eine Tochter des Novomatic-Konzerns. Genaue Abstände müssen eingehalten werden, zu bestimmten Einrichtungen wie Schulen, aber auch zum nächsten Spielsalon. Doch vermutlich erst Mitte 2016 werden die Lizenznehmer offiziell. Das Aufstellen neuer Geräte ist in dieser Zeit illegal, alte müssten eigentlich abgebaut werden. Damit bewegt sich das kleine Glücksspiel insgesamt außerhalb des gesetzlichen Rahmens, bis im kommenden Jahr Entscheidungen getroffen und Genehmigungen erteilt sind. In der Steiermark sollte es bis dahin kein kleines Glücksspiel geben – soweit in der Theorie.

Das Annenviertel und der Bezirk Jakomini sind besonders stark betroffen
In den Bezirken Lend und Gries gibt es neben dem Bezirk Jakomini laut einer Standortanalyse im Rahmen des Projekts Schnittstelle Spielsucht besonders viele Automaten. Rund 60 Prozent des kleinen Glücksspiels finden in diesem Gebiet statt, obwohl lediglich 30 Prozent der Gesamtbevölkerung hier beheimatet sind. Gründe dafür sind unter anderem die leichte Erreichbarkeit und die hohe Anonymität. Der Lendplatz wird von ihnen umrahmt, am Bahnhofsgürtel findet man sie alle fünfhundert Meter. Nun müssen alte Betreiber schließen, selbst die Lizenznehmer sehen sich mit dem Problem der räumlichen Nähe ihrer Lokale konfrontiert. So wie jetzt wird es nicht bleiben. Die Glückspielgiganten müssen mit der begrenzten Anzahl an genehmigten Automaten haushalten, die Folge könnte eine leichte Abwanderung aus dem Annenviertel sein, um mehr Kapazitäten für andere Regionen in der Steiermark zurückzubehalten.

Bariş Koç betreut das Projekt Schnittstelle Spielsucht des Verein JUKUS und gibt sein Wissen gerne weiter
Bariş Koç betreut das Projekt Schnittstelle Spielsucht des Verein JUKUS und gibt sein Wissen gerne weiter

„Stellt doch einen Automaten in die Ecke“
Trotz der möglichen Entlastung für das Viertel bleibt die Suchtprävention ein wichtiges Anliegen der NGOs. Mit dem steirischen Gesundheitsförderungsprojekt Schnittstelle Spielsucht versucht der Verein  JUKUS, zwischen Präventionsstellen und Betroffenen zu vermitteln. Die ersten Überlegungen zu dieser Schnittstellenarbeit gab es 2011. „Damals kamen immer weniger junge Menschen ins Jugendzentrum Echo. Als meine Kollegen nachgefragt haben, was man tun könnte, kam ein erschreckender Kommentar eines Jungen“, erzählt Bariş Koç von den Anfängen. „Stellt doch einen Automaten in die Ecke, dann werdet ihr schon sehen, wie viele kommen.“ Er selbst ist seit 2014 Mitarbeiter der Schnittstelle. „Wir arbeiten nicht direkt mit den Betroffenen, wir statten Multiplikatoren mit Wissen aus. Oft sind gerade sozial Benachteiligte und Migranten von Spielsucht betroffen. Wir möchten den Präventionsstellen vermitteln, wie man am besten mit ihnen umgeht.“ Die Streifzüge durch das Viertel sind dabei eine von vielen Möglichkeiten, die Häufung von Spielstätten in gewissen Bereichen sichtbar zu machen. Am Ende des heutigen Streifzuges ist die Gruppe deutlich kleiner als noch im Dämmerlicht am Jakominiplatz. Es ist bitterkalt und viele haben sich ein warmes Plätzchen gesucht. Das verbliebene Dutzend klatscht zum Abschluss, an der Bushaltestelle Griesplatz zerstreuen sich alle in verschiedene Richtungen. „Das neue Gesetz scheint Verbesserungen zu bringen – endlich weniger Automaten“, meint ein junger Mann mit Brille und buntem Schal, gestreift wie ein Spieljeton, noch zu einer Dame. Stattdessen könnte der Trend zu den als „Geschicklichkeitsspiel“ deklarierten Sportwetten gehen.

Spielsucht ist eine stille Sucht, man sieht den Betroffenen ihre Probleme nicht sofort an. Umso wichtiger ist es, Bewusstsein für Missstände zu schaffen. „Erst einmal wird womöglich alles weiterlaufen wie bisher“, wagt Bariş Koç einen nüchternen Blick in die Zukunft. Einige Lokale könnten jedoch aus dem Stadtbild verschwinden. „Ich weiß nicht, ob es gleich so strenge Kontrollen geben wird.“ Doch deutliche Veränderungen zeichnen sich ab. Nicht bloß Automaten in der Annenstraße, Lend und Gries, sondern Geräte überall in der Steiermark sind mit ersten Januar kleines Glücksspiel ohne Genehmigung und Lizenz.

 

Update: Im Laufe des 14. Dezember 2015  wurden überraschend die Beschwerden rund um die Vergabe der drei Lizenzen zur Aufstellung von Glücksspielautomaten zurückgezogen – die Lizenznehmer, darunter Novomatik-Tochter Admiral, stehen damit offiziell fest. Diese Entwicklung war kaum abzusehen, bisher ging man davon aus, dass sich der Rechtsstreit bis Mitte 2016 hinziehen würde. Nun können die drei Lizenznehmer ihre Automaten ab Januar legal platzieren, dennoch müssen neue Richtlinien beachtet und Einzelautomaten entfernt werden. Die einarmigen Banditen der Lizenznehmer halten ohne die erwartete längerfristige Pause vom kleinen Glücksspiel Einzug in Spielsalons. Mehr Informationen

Realistin mit Hang zum Träumen, kreative und hartnäckige Annenpostlerin. Im Allgemeinen Liebhaberin des gedruckten Wortes. Zeichnet fast so gerne wie sie schreibt.

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