Seit Anfang Dezember kann man in verschiedenen Grazer Gastronomiebetrieben Essensmarken für Obdachlose kaufen. Mit dem BEST FOOD GRILL am Hauptbahnhof nimmt auch ein Betrieb im Annenviertel an dieser Aktion teil.
Das Prinzip ist einfach:
Beim Besuch in einem der teilnehmenden Betriebe können Mahlzeiten in Form von Essensmarken erworben werden. Diese Marken sollen dann an Bedürftige in der ganzen Stadt verteilt werden.
Die Umsetzung? Sie erweist sich schwieriger als gedacht.
„He Fräulein, hätten’s an Euro für mich?“, werde ich am Bahnhof angesprochen. Abgelaufene Turnschuhe, müde Augen, Bierfahne – und ich freue mich. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, meine Dönermarke vom BEST FOOD GRILL (BFG) an den Mann oder die Frau zu bringen, geht nun die Initiative von einem Obdachlosen selbst aus. Ich erkläre dem Mann vor mir das Prinzip, biete ihm an, ihn zum Essen zu begleiten – und erfahre erneut Ablehnung. „Sans ma ned bös, aber a Bier wär ma lieber“, erklärt er mir. Dabei wäre genau das die Intention der Aktion, zu verhindern, dass Spenden für Alkohol oder Drogen ausgegeben werden.
Mustafa Durmuş, Vorsitzmitglied der Sektion Mur (Themensektion der SPÖ Graz), die das Projekt ins Leben gerufen hat, erzählt von den Schwierigkeiten im Gebiet rund um den Grazer Hauptbahnhof: „Viele der Obdachlosen dort sind alkoholabhängig. Gerade deshalb ist es hier wichtig, dass man den Bedürftigen eine Alternative zum Alkohol gibt.“
Bei den anderen teilnehmenden Betrieben, bei Imbiss Seidler am Hauptplatz, Kapadokya Kebap und BOX Eat&Go am Jakominiplatz, läuft das Projekt anders an. „Kapadokya ist ein Selbstläufer und die Würstelbude funktioniert überhaupt am besten“, so Durmuş.
Zum Vergleich: Beim BFG in der Kepplerstraße wurden seit 1. Dezember sechs Dönermarken verkauft und zwei eingelöst. Im Kapadokya, wo die Aktion bereits letztes Jahr im Dezember das erste Mal anlief, wurden bis Mitte Dezember bereits mehr als 30 Marken verkauft.
Wo liegt also das Problem?
„Vermutlich wissen noch zu wenige Leute von dieser Initiative“, meint Abdulkadir Parlak, Filialleiter im BFG. „Es wäre vielleicht besser, wenn es das Angebot nicht nur in der Adventzeit gäbe, sondern das ganze Jahr.“ Eine warme Mahlzeit wird von Menschen, die auf der Straße leben, schließlich nicht nur im Dezember gebraucht.
Die SpenderInnen kostet es oft Überwindung, sich selbst jemanden zu suchen, der dieses Angebot auch annimmt. Die Marke gibt den Bedürftigen die Möglichkeit, Essen wie jeder andere auch zu bestellen. Daher müssen sie nicht als BittstellerInnen auftreten, trotzdem wird das Angebot oft abgewiesen. Warum? Weil die Karten verschenkt werden, und die Obdachlosen oft das Gefühl haben, Almosen zu erhalten.
Hier gibt es andere Lösungsideen: in Städten, in denen das Konzept, im Gegensatz zu Graz schon als fixer Teil des Alltags etabliert ist, werden die Getränke etwa mit Strichlisten auf Kreidetafeln notiert. So ist im Vorhinein ersichtlich, ob es bereits bezahlte Getränke oder Speisen für Bedürftige gibt.
Die Idee stammt ursprünglich aus Neapel, wo es den Caffè sospeso, zu Deutsch „aufgeschobener Kaffee“, bereits seit dem Ende des 19. Jahrhundert gibt. Ursprünglich nur ein lokaler Brauch, breitete sich das Konzept über die Jahre in ganz Europa aus. Die Initiative Sospeso-Bohnuskaffe brachte dieses Konzept bereits 2013 nach Österreich. So viele verschiedene Speisen, wie in Graz im Moment angeboten werden, gibt es jedoch sonst in Österreich nirgends. In Graz wurde dieses Projekt im Dezember 2014 sehr spontan für die Dauer eines Monats gestartet, allerdings nur in Kooperation mit dem Kapadokya. Über das Projekt wurde österreichweit in wichtigen Medien berichtet, etwa in Der Presse, Der Tiroler Tageszeitung und Der Kurier. Auch 2015 ist der mediale Anklang groß. Nachdem das Projekt im letzten Jahr großen Erfolg hatte und über das ganze Jahr 352 Marken verkauft werden konnten, wurde das Angebot heuer auf mehrere Unternehmen erweitert. Mustafa Durmuş blickt optimistisch in die Zukunft: „Ende Dezember werden wir mit den Betreibern der Lokale über den Verlauf der Aktion sprechen, aber nachdem es so gut ankommt, ist eine Fortsetzung auf jeden Fall nicht ausgeschlossen.“