Was bei einem Rundgang durch ein Gebrauchtwarengeschäft alles zu Tage gefördert werden kann.
Der kleine Mann scheint den Sonnenschein zu genießen. Er ist voll ausgestattet für eine Bergwanderung – mit Lederhose, Hut und grellrotem Stoffhalstuch. Die Haare sind blond, die Frisur selbst sitzt perfekt, nur sein Blick wirkt ein wenig gelangweilt. So, als ob er lieber woanders wäre, oder zumindest nicht länger auf seinem Tisch im Gebrauchtwarenladen A & E in der Feuerbachgasse. Vielleicht will er den Aufstieg auf das riesige Radio direkt vor sich wagen, anstatt noch länger Teil eines Teeservice-Panoramas zu sein. Da können die gelben Blumen auf den Tassen und Kannen noch so schön sein, irgendwann reicht es damit.
Hinter dem kleinen Wanderer steht ein altes Sofa, auf dem Gemälde und Bilder aufgelegt sind. Gleich daneben sitzt die Eigentümerin des Ladens, Aida Beckovic. Für sie ist es der zweite Gebrauchtwarenladen , seit 2013 besitzt sie nun dieses Geschäft. Wegen der Geburt ihrer Tochter hatte sie eine kurze Pause gemacht. Die hat jetzt im neuen Laden ihren Spaß – dauernd spielt sie mit Spielzeugen, die sie sich aus der Spielzeugetage angelt.
„Die Gegenstände in diesem Laden kommen von überall her, das meiste stammt aus Wien und Graz“, erzählt Aida. „Wir kaufen immer komplette Verlassenschaften auf, und behalten die besonderen Sachen. Also nicht die langweiligen, modernen Möbel“, lacht sie. Behält sie für sich selbst oft etwas? „Wenn mir etwas gefällt, behalte ich es, aber ich tausche sehr oft Sachen aus, damit es bei mir immer anders aussieht.“ Das gleiche gilt auch für den Laden, jede Woche werden die Waren ausgetauscht. „Es wird ja sonst langweilig“, meint Aida. „Und den Kunden gefällt das auch.“ Für ein authentisches Foto schnappt sie sich noch einen Steirerhut und eine alte Kaffeemühle, und stellt sich vor die Auslage. Hier hat man wirklich das Gefühl, dass jeder etwas für sich finden kann, und das jede Woche aufs Neue.
Welche Verkaufsstücke könnte unser kleiner Wanderer noch erreichen? Auf dem Radio gibt es eine große Auswahl. Vielleicht will er das Foto des alten Herren in Anzug und Krawatte aus der Nähe anschauen. Kennt man den? „Ich nicht“, verneint Aida, „aber die Leute kaufen dann meistens nur den Bilderrahmen.“ Der hat hier leider keine besonderen Features. Er glänzt, das wär’s auch schon. Er scheint schon ein paar Jahrzehnte alt zu sein, so wie das Bild. Wie ein Familienfoto wirkt es nicht, eher wie etwas Amtliches, schließlich ist rechts unten ein Textausschnitt zu sehen: „TERR“. Sieht verdächtig nach „ÖSTERREICH“ aus. Um das Bild herum liegt ein Haufen, der irgendwie als Nachlass des alten Herren passen könnte. Eine Schuhputzbürste, eine kleine Metalldose. Die ist, laut Aufschrift, ein „Old-Fashioned METAL Pencil Sharpener“. Aus unbekannten Gründen ist METAL in Großbuchstaben geschrieben, wahrscheinlich glaubt der Hersteller, ein Vollmetall-Spitzer ist ein gutes Alleinstellungsmerkmal. Wie alt der tatsächlich ist, bleibt unklar. Warum würde man auf einen tatsächlich alten Spitzer auch „old-fashioned“ schreiben? Das klingt mehr nach „Retro“.
Was gibt es sonst noch zwischen all den Socken, Tischtüchern und Kleidungsstücken zu finden? Zum Beispiel diese Multifunktionswanduhr. Die bietet das volle Programm: Uhrzeit, Luftdruck, Temperatur in Grad Celsius und Fahrenheit und mehr. Ein Nachteil wäre die Länge von über einem Meter, auch bedingt durch einen sehr üppigen Holzrahmen. Wo man sich das Ding hinstellen soll, ist irgendwie nicht so recht vorstellbar. Optisch gäbe es da sicher Ansprechenderes. Handlich ist das Ding auf jeden Fall nicht – kein Vergleich zu einer Smart Watch. „Bei vielen Dingen weiß ich selbst nicht so genau, was es ist“, gesteht Aida, „aber dann kommt irgendein Kunde, und der weiß es dann.“
Was leicht zu erkennen ist, ist die alte Unterwäsche, die Aida in ihrem Laden hat. In stylischem Gelb etwa. Sie breitet sie auf dem Sofa hinter dem kleinen Wanderer aus. Wenn er das sehen könnte, würde er sich ganz sicher fragen, wer sowas kauft. „Ich habe einige Kunden, die kaufen die gerne. Vielleicht tragen die sie auch.“ Immerhin gibt es schöne Farben. Wem das Gelb nicht gefällt, für den gibt es auch noch die Ausführung in Rosa. Und sie wirken luftig. Was sagt man sonst zu so einer Unterwäsche?
Sollte der kleine Wanderer sich einmal auf eine Weltreise begeben wollen – der Laden hat noch ein zweites Zimmer. Dort steht ein riesiges Bücherregal mit einer vielfältigen Auswahl. Ins Auge sticht ein altes Buch, das obenauf liegt. Der Zustand ist nicht der beste, mit aufgebogenen Rändern und vergilbtem Papier. Es wirkt, als ob es bei der ersten Berührung unter der Hand zerfallen würde, in viele einzelne Seiten. Also wurde es sicher ganz oft und gern gelesen. Das kann von Top-Inhalt zeugen. Es handelt sich um „Die Liebe unter’m Dach und andere Novellen“ von Émile Zola. Als Bonus gibt es noch ein paar „Großstadtgeschichten“ – seinerzeit noch zum Spottpreis von einer Mark pro Story Und wer könnte auch so knackigen Titeln wie „Ist Liebe Sünde?“ widerstehen? Ob es sich bei „Priesterinnen = Sünderinnen“ auch um eine Liebesgeschichte handelt, bleibt offen. Vielleicht kann es der kleine Wanderer beantworten, nachdem er es gelesen hat.