Sie singen in über sechs Sprachen und das jeden Tag. Fremde Kulturen sind für sie kein Fremdwort. Die Kinder des Chorprojekts SUPERAR sind in ihrem täglichen Umgang miteinander beispielgebend.
„Guten Morgen, Daniel!“ Von allen Seiten hört man freundliche Begrüßungsrufe, als der Chorleiter die Klasse betritt. Das Keyboard steht schon angesteckt vor der Tafel und die etwa 15 Kinder begeben sich geschwind zu ihren Plätzen. Die Chorstunde wird mit Aufwärmübungen eröffnet und plötzlich wird herumgehüpft, geklatscht und mit dem ganzen Körper gesungen. Manche Kinder üben ruhig auf ihren Plätzen, andere stehen auf. „Weil es sich im Stehen einfach leichter singt“, erklärt die kleine Destiny. Es ist der Beginn einer Chorprobe von SUPERAR.
„In Zeiten wie diesen ist Akzeptanz für andere Kulturen und Religionen besonders wichtig. Genau das wird Volksschulkindern in der Volksschule Afritschgasse schon seit 2013 täglich vermittelt“, sagte Daniel Erazo. Er besucht zwei Klassen der Volksschule jeden Tag für eine gemeinsame Chorstunde als Ersatz für den Musikunterricht. Der Großteil der Kinder in der Volksschule ist mit Migrationshintergrund aufgewachsen. Sie haben Eltern, die arabisch oder bosnisch und nur sehr wenig Deutsch sprechen. Ihnen kommt das Projekt besonders zugute.
Einfluss aus Venezuela
Als musikalische Ausbildung für Straßenkinder in Venezuela nahm die Idee in den 1970ern ihren Anfang. Zu Beginn des 21. Jahrhundert waren bereits über 1400 Kinder von Venezuelas Straßen Teil des Projekts „El Sistema“. Die Kinder lernten, sich besser auszudrücken, ihre Körpersprache veränderte sich und sie bekamen schnell ein sehr gutes Rhythmusgefühl. Rasch breitete sich die Idee auf andere Länder aus und seit 2009 gibt es basierend auf dieser Idee SUPERAR in Wien. Als Initiative der Caritas konnte sich das Projekt voll und ganz entfalten. Die Idee: eine musikalisch hochwertige, dabei jedoch völlig kostenfreie Ausbildung für Volksschulkinder. Im April 2013 wurde das Projekt schließlich nach Graz geholt. Unter der Leitung von Daniel Erazo erhält zurzeit eine 2. und eine 4. Klasse der Volksschule Afritschgasse täglich professionellen Chorunterricht. Auch Auftritte stehen auf dem Programm, bei der Eiskrippe im Grazer Advent zum Beispiel, beim Chorfestival „Voices of Spirit“ oder sogar in Innsbruck. „Darum geht es aber eigentlich gar nicht. Das Ganze soll vorrangig Spaß machen und den Kindern Musik und Akzeptanz vermitteln“, so Daniel Erazo.
„Wir singen über keinen bestimmten Gott“
Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen, treffen auch die verschiedensten Religionen aufeinander. Auch im Chor sorgte die Auswahl der gesungen Stücke anfangs für Unruhe. „Wir singen über keinen bestimmten Gott. Jeder kann die Lieder so interpretieren, wie es für ihn passt“, antwortet Daniel Erazo auf die aufgeregten Anfragen einiger besorgter Eltern. Konkrete Bezeichnungen wie „Gott“ oder „Allah“ werden gezielt vermieden, damit sich niemand in der Gruppe benachteiligt oder zu etwas gezwungen fühlt. Gerne sind besorgte Eltern auch dazu eingeladen, eine Chorstunde in der Klasse zu besuchen und sich den Unterricht vor Ort anzusehen.
Die Kinder lernen Lieder in den unterschiedlichsten Sprachen. Italienisch, Arabisch, Französisch, Deutsch und Englisch sind fast jede Stunde dabei. Aber auch Stücke in Chinesisch, Rumänisch, Lateinisch und afrikanischen Sprachen stehen auf dem Programm. Eine möglichst große Vielfalt an Sprachen zu vermittelnd und dadurch Akzeptanz für fremde Kulturen schaffen ist das Hauptziel von SUPERAR.
Musik als Gemeinsamkeit
„Deine Hände bewegen sich zur Musik! Spürst du es da?“ Daniel Erazo zeigt dabei auf seinen Bauch.
Die Kinder haben schon Übung und können den Anweisungen ohne Probleme folgen. Die Aufwärmübungen machen sie ganz von selbst und formen dabei riesige Os mit Händen und Füßen. Dann zischen sie gezielt S-Laute, um die jungen Stimmen auf den Gesang vorzubereiten. Neben all dem Spaß kommt auch die Musiktheorie nicht zu kurz. Schon die 8-jährigen wissen Staccato und Legato zu unterscheiden und die 4. Klasse lernt gerade mit großem Interesse das Notenlesen. Die Kinder staunen als der Chorleiter ihnen erklärt, dass er eigentlich zwei Zeilen auf einmal liest und spielt.
„Das große Ziel ist einfach, gemeinsam etwas zu schaffen“ Daniel Erazo ist sichtlich stolz, als alle Kinder der Klasse zum Ende der Stunde hin alleine singen wollen. „Sie trauen sich schon viel mehr, also noch am Anfang. Das sieht man vor allem bei unseren Auftritten“