Aufgrund des Wetters statt mit Fahrrädern zu Fuß unterwegs
Aufgrund des Wetters statt mit Fahrrädern zu Fuß unterwegs

Zu Besuch bei Hipstern, Huren und Waffenhändlern

Lesezeit: 4 Minuten
Auf der Urban Future Conference (UFC) dreht sich alles um die Themen Mobilität, Ressourcen, Kommunikation und Stadtplanung. Aber auch darum, wie das Miteinander in einer Stadt funktioniert. Wie lebt es sich eigentlich im Annenviertel? Eine Exkursionsbegleitung.
Aufgrund des Wetters statt mit Fahrrädern zu Fuß unterwegs
Aufgrund des Wetters statt mit Fahrrädern zu Fuß unterwegs

Der im Rahmen der UFC vom Grazer StadtLabor in Auftrag gegebene und von der Managerie konzipierte Walk durch die Bezirke Gries und Lend startet beim Messezentrum. Nur sechs der sechzig angemeldeten Mitspazierer trotzen dem kalten Nieselregeln, spannen ihre Regenschirm auf, ziehen die Kapuzen tiefer ins Gesicht und folgen den Guides Remku Berkhout und Christian Sprung. Eine der wetterfesten Teilnehmerinnen lebte in den Neunzigern in Graz und erklärt, dass die Politik damals schon viele Pläne für Gries und Lend hatte, passiert sei jedoch nie etwas.

Die bunte Truppe aus Slowenen, Norddeutschen, Wienern und Urgrazern bewegt sich über den Mursteg in Richtung Lend. „Wir verbinden einen creative walk mit Sightseeing“, lacht Remko in Richtung der slowenischen und deutschen Gäste, und deutet auf den Schlossberg. Der erste Stopp ist der von Maria Reiner geführte Co-Working Space Managerie. „Ich habe meine Rede nicht auf Englisch vorbereitet“, sagt Maria schockiert in die Runde, als sie merkt, dass internationale Gäste mit von der Partie sind.

Geplant ist ein „active walk“, auf dem die Gäste verschiedenste Repräsentanten des Viertels zu Gewohnheiten und Veränderungen befragen sollen. Schmunzelnd überreicht Maria den Guides ein selbstgebasteltes Schild, das als Wegweiser dienen soll. Sehr zur Freude von Remko hat sie Fahrradklingeln daran montiert.

Mit Gries-Schild im Lend unterwegs
Mit Gries-Schild im Lend unterwegs

Läutend und bimmelnd führt Remko  zum nächsten Punkt auf dem Plan, der Haarschneiderei. Auf die Frage, wie sich die Lebendigkeit im Lend verändert hat, antworten die Betreiber wie aus der Pistole geschossen. Der Mietpreis sei gestiegen, da es jetzt mehr Geschäfte und weniger Rotlichtetablissements gäbe. Aber gut sei die Alltagsvernetzung, sagt Philipp Esslinger, der Bruder des Geschäftsführers. „Wenn uns der Kaffee ausgeht, dann gehen wir nebenan zur Maria.“

Vergeblich rütteln die Guides an den Türen des Blendend, denn das Lokal ist geschlossen. Statt zum nächsten Punkt zu gehen, beschließen Christian und Remko kurzerhand, einen Zwischenstopp im Café Baccara, einem Night Club, einzulegen. Nachdem man den schweren, roten Vorhang zur Seite geschoben hat, entdeckt man eine Dame, die an der Bar steht und sich mit einem Gast einen Prosecco genehmigt. Bekleidetet mit halterlosen Strümpfen, einem engen, türkisfarbenen Kleid und High Heels, berichtet sie, dass es angenehm sei, hier ohne Stress zu arbeiten. Wie es in der Nacht zugehe, könne sie aber nicht beurteilen, sie arbeite nämlich nur tagsüber hier. Der Night Club habe nicht sonderlich viel Kontakt zu den Nachbarn, meint sie, während sie sich die nächste Zigarette anzündet. „Aber das Blendend ist super.“ Ob die Gäste aus der Umgebung kommen, wisse sie nicht, erzählt aber, dass der älteste Kunde schon 92 sei. „Im Grunde bist du hier wie ein Psychologe, man fühlt sich wie daheim im Wohnzimmer.“ Der Gast, der sich im Hintergrund hält, nickt darauf.

Katja Huemer arbeitet im Kunsthaus, der nächsten Station des Walks, und erzählt, dass selbiges viel zur Gentrifizierung des Lendviertels beigetragen habe. Trotz allem sei es für die Bewohner immer noch schwer, einen Zugang zum Kunsthaus zu finden. „Es ist für viele hier nicht leicht, diese Schwelle zu überschreiten“, meint sie. Im Gries sei die Gentrifizierung noch nicht so weit vorangeschritten, fügt sie hinzu. „Gries ist nur ein paar Meter weiter, aber doch eine ganz andere Welt.“

In genau diese Welt führt die Griesgasse, in der sich die Fahrradboten Pink Pedals befinden. Während einer der Mitarbeiter von der zuvorkommenden Nachbarschaft erzählt, kommt ein Radfahrer, holt sich Werkzeug und verschwindet wieder. Obwohl sich die Mariahilferstraße in Richtung Griesgasse ausbreite, sei die Griesgasse „die schlimmste Gasse von ganz Graz“ geblieben, erzählt der Mitarbeiter, der von permanentem Telefonklingeln unterbrochen wird. Das wichtigste für einen lebendigen Stadtteil, meint er, wäre eine autofreie Zone.

Die schlimmste Gasse von ganz Graz?
Die schlimmste Gasse von ganz Graz?

Diese Meinung teilen die Mitarbeiter des Waffengeschäftes Wanz, das sich genau gegenüber befindet, nicht. „Sobald hier eine Fußgängerzone kommt, ist das Geschäft weg. Mit unseren Artikeln geht keiner durch Graz spazieren, außerdem sind sie zu schwer“, erklären Vater und Sohn Weidinger. Ihr Wunsch in Sachen Stadtveränderung dreht sich um die Ansiedlungen österreichischer Geschäfte. „Man müsste Firmen ansiedeln – ich bin zwar kein Rassist –, aber man müsste österreichische Firmen ansiedeln statt ausländische Clubs.“ Das Geschäft gibt es schon seit 1934, die Gegend selbst sei in den letzten Jahren bloß mieser geworden, gebessert habe sich nichts. „Samstagmorgen sieht man hier überall Erbrochenes auf der Straße und im Hinterhof findet man Pärchen, die Sachen machen, die man eher zu Hause machen sollte“, beschweren sie sich über die angrenzende Diskothek. „Man sollte mit einem eisernen Besen durchkehren, sonst ist das Bemühen der Stadt für die Katz“, fügt Anton Weidinger hinzu.

Von Remkos Fahrradglockensound begleitet, geht es über den St. Andräplatz, der seit kurzem von einer Grünfläche statt Parkplatzbeton bedeckt wird, zum Büro der Nachbarschaften. Guide Christian ist dort selbst beruflich tätig. „Wenn man sich mit ein wenig Mut, Geduld und Willen zusammentut, funktioniert die Nachbarschaft sehr gut. Auch die unterschiedlichsten Leute finden am Ende zusammen“, beschreibt er das Miteinander.

Die Exkursion endet, wo sie begonnen hat, nämlich in der Managerie. Maria meint, dass sie ihr spannendes Umfeld liebt. „Was hier ganz gut funktioniert, ist die Vernetzung. Im realen Leben, auf der Straße und online. Schön ist aber auch, dass hier nicht alles schöne Fassade ist, sondern dass es die ganze Vielfalt gibt; also auch Menschen die es nicht so gut haben, Menschen vielerlei Herkunft, Besucher, die hier Zwischenstopp machen, alte Menschen, junge Menschen, immer noch viele Puffs, aber auch viel Neues. Hier fühl ich mich sehr wohl!“

Liebt Graz, Gyros und Geschichte. Wünscht sich eine Zeitmaschine, ist aber auch im Hier und Jetzt des Annenviertels sehr glücklich - aber ein Tee mit Kaiserin Elisabeth wäre trotzdem cool!

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