Die Synagoge am Grieskai kennen GrazerInnen meist nur von außen. Am Sonntag dem 13. März 2016 bot sich erstmals die Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen und in die Welt des Judentums einzutauchen.
Das schlechte Wetter schreckt die BesucherInnen der Synagoge nicht ab. Es hat sich eine lange Schlange vor den Toren gebildet, alle warten auf den Einlass um 10:30 Uhr. Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen – Ausweiskontrolle und Sicherheitsschleuse – dauert das Eintreten länger als man es von einem Gebetshaus gewohnt ist. Dafür wirkt alles ein wenig mystisch und noch unbekannt. Vor dem Betreten der Synagoge werden die Männer gebeten, aus Respekt vor Gott eine Kippah aufzusetzen. Die Glaskuppel des Gebäudes gibt den direkten Blick auf den Himmel frei und das Licht durchflutet die Synagoge. Sofort fallen Schriftzeichen auf dem Glas auf – es sind Textstellen aus der Thora: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“
Veranstaltet wird der Tag der offenen Tür von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, die seit Mai 2013 auch für die Gemeinden in der Steiermark, Kärnten und Südburgenland zuständig ist. Der Generalsekretär für jüdische Angelegenheiten, Raimund Fastenbauer, begrüßt die Gäste in der Synagoge und erklärt die wichtigsten Gegenstände sowie die Architektur des Gebäudes. Einige Parallelen zum Christentum, wie der Altar oder das ewige Licht, fallen auf. Aber es gibt auch einige Unterschiede. Die Gemeinde feiert Hanukkah, Pessach, oder den kürzlich begangenen Festtag: Purim. Hier erinnert sich die jüdische Gemeinde daran, wie die Klugheit der Königin Esther das Volk vor der Ermordung durch den persischen König gerettet hat. Es ist ein Fest der Freude, bei dem man sich verkleidet und mit Wein ausgelassen feiert.
Fragen, die schon immer gestellt werden wollten
Raimund Fastenbauer erklärt den BesucherInnen religiöse Traditionen wie zum Beispiel die Gebetsriemen, die man zum Beten tragen sollte. An den schwarzen Riemen sind kleine Kästchen befestigt, die Papierstücke mit einem jüdischen Gebet enthalten. Während des Gebets werden sie um Arme und Kopf gewickelt, so dass die Kästchen am linken Oberarm und auf der Stirn aufliegen. Dahinter steht der Gedanke, dass es nur einen Gott gibt und man diesen nahe am Herzen und im Geiste bewahren soll. Gewissenhaft beantwortet Fastenbauer alle Fragen der BesucherInnen und sorgt zwischendurch für den einen oder anderen Lacher.
Wie lange braucht man, um zu konvertieren?
Eigentlich ist es ganz einfach. Sie müssen koscher essen, den Sabbat heiligen und die Thora akzeptieren/lesen. Wenn sie schnell sind, dauert das zwei bis drei Jahre.Gibt es Rabbinerinnen?
Ja, im Reformjudentum.Was tut man eigentlich am Sabbat? Oder besser gefragt: Was tut man nicht am Sabbat?
Am Sabbat darf man sich nicht anstrengen. Nicht putzen, kochen oder andere Arbeiten verrichten. Lernen darf man, denn lernen ist eine freudige Sache.Wie zionistisch ist das Judentum und wie jüdisch ist Zionismus?
Diese Frage wird jedoch nur ansatzweise beantwortet. Der zeitliche Rahmen sei leider nicht ausreichend für eine politische Frage wie diese. Raimund Fastenbauer nimmt sich aber auch nach der Führung Zeit, um Fragen zu beantworten.
Einen Stock tiefer findet man sich im „Haus der Namen“ wieder: Eine große Ausstellung zu den Themen Judentum in Graz und dem Holocaust. Zahlreiche Informationstafeln mit Bildern entführen in eine Zeit, in der es noch über tausend Jüdinnen und Juden in Graz gab. Heute zählt die Grazer Kultusgemeinde circa 80 eingetragene Gläubige. Eine beklemmende Atmosphäre herrscht in jenem Ausstellungsbereich, der die Hoffnungslosigkeit der KZ-Häftlinge symbolisieren soll. Strichlisten und Sätze wie: „Wenn es einen Gott gibt, muss er mich um Verzeihung bitten“, sind an den Wänden zu lesen. Aber der Fokus des Tages der offenen Tür liegt nicht auf dem Holocaust. Vielmehr geht es darum, Berührungsängste abzubauen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Alles koscher?
Mittags sitzen viele BesucherInnen zusammen und essen vom koscheren „All you can eat“-Buffet. Dazu trinken sie ein Gläschen koscheren Wein oder Limonade. An zwei Tischen wird genauer erklärt, was „koscher“ eigentlich bedeutet und wie man koscheren Wein produziert. (Bei der gesamten Verarbeitung vom Pflücken der Trauben angefangen bis hin zur Abfüllung muss ein Rabbi anwesend sein.) Den zweiten Tisch schmücken Kerzenleuchter, Signalhörner, Gebetsriemen und hebräische Bücher. Geduldig wird den BesucherInnen erklärt, warum der Hanukkah-Leuchter acht Arme hat und wozu es notwendig ist, die Thora nicht mit den bloßen Fingern zu berühren. Der eigentliche jüdische Kerzenleuchter, die Menora, hat sieben Arme. Ihr Licht soll niemals erlöschen. Überlieferungen zu Folge gab es auf Grund von Kämpfen nur mehr einen Krug mit geweihtem Öl, um die Menora zum Leuchten zu bringen. Wie durch ein Wunder habe das Licht aber statt einem Tag ganze acht Tage lang gebrannt. Daher gibt es am Hanukkah-Leuchter acht Arme. Für das Lesen der Thora gibt es einen Thorazeiger. Er soll vermeiden, dass die handgeschriebenen Pergamentrollen mit den Fingern berührt und so beschmutzt oder beschädigt werden. Kommt es trotzdem irgendwann zu einer Beschädigung, wird versucht die Thora zu reparieren. Gelingt dies nicht, wird sie, aus Respekt, auf einem jüdischen Friedhof begraben.
Für die israelitische Kultusgemeinde ist das Ziel des Tages der offenen Türe erfüllt: ein offener Dialog zwischen allen Glaubensrichtungen, durch den die BesucherInnen Antworten auf die Fragen bekamen, die sie immer schon stellen wollten. Gegen 14 Uhr befindet sich draußen vor der Synagoge noch immer eine lange Schlange von Interessierten, die diese mystische kleine Welt und alle Antworten noch nicht kennen.