Insgesamt wurden fünf Stolpersteine verlegt. Foto: Alexander Danner

Stolpersteine und Rosen

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Die Annenstraße ist hauptsächlich bekannt für Cafés, Lebensmittelläden, Geschäfte aus aller Welt und Wettcafés. Vergnügen ist hier angesagt, kaum einer vermutet dort einen ernsten Hintergrund. Das Gegenteil bewies die Stolpersteinverlegung für die Familie Blüh am 17. Juni in der Annenstraße 31.

Insgesamt wurden fünf Stolpersteine verlegt. Foto: Alexander Danner
Insgesamt wurden fünf Stolpersteine verlegt. Foto: Alexander Danner

Freitag, drei Uhr Nachmittag, es hat 30 Grad im Schatten. Die Hitze macht allen zu schaffen und während ein Großteil der Menschen versucht, sich nicht länger als nötig draußen aufzuhalten, gibt es eine Gruppe an geschichtlich Interessierten, die sich vor dem unscheinbaren gelben Haus in der Annenstraße 31 eingefunden hat. An die 50 Leute reihen sich hier dicht an dicht, unter ihnen auch die Stadträtin der Grünen, Lisa Rücker. Eine Band spielt traditionelle Musik. In der Mitte der Gruppe sitzt der Mann, um den es heute vor allem gehen soll. Alfred Blüh, geboren 1922 in eben diesem Haus in der Annenstraße. 1938, nach der Reichspogromnacht, musste er aus seinem Zuhause fliehen und kam bis zum heutigen Tag nicht mehr in seine Geburtsstadt zurück. Zuerst wollte er an der Verlegung der Steine, die an die Geschichte der Vertreibung und die Shoah erinnern sollen, nicht teilnehmen und bat seinen Sohn, ihn zu vertreten. Doch schließlich rang er sich dazu durch, diese Reise anzutreten. Er war sich bewusst, dass er dort auf alte und auf neue Geister treffen würde. Als Begleitung sind unter anderem sein Sohn, aber auch seine Enkel mit dabei. Sie sind alle extra aus Chile angereist.

Zwischen Graz, Palästina und Chile
Alfred Blüh war das jüngste von drei Geschwistern, die alle die Flucht vor dem NS-Regime schafften. Zuerst ging es nach Jugoslawien, wo die Familie noch ein letztes Mal vereint war. Sein Bruder Hans entschloss sich dazu, nach Texas zu Verwandten auszuwandern und übersiedelte später nach New York, während seine Schwester Gertrude und ihr Mann, Josef Scharfstein, nach Ecuador zogen. Wilhelm Blüh, der Vater, verstarb 1941 in Laibach an Herzversagen, die Mutter war schon kurz nach Alfreds Geburt gestorben. Der Stiefmutter gelang jedoch die Flucht nach Ecuador zu Gertrude. Alfred selbst ließ sich zuerst in Palästina nieder, damals britisches Mandatsgebiet, bevor er sich 1943 der Royal Air Force anschloss und in Ägypten diente. 1946 folgte er seiner Schwester nach Ecuador. Die Familie übersiedelte bald nach Chile, wo Alfred als letzter Zeitzeuge der Familie Blüh auch heute noch lebt.

Da auch die anderen Familienmitglieder nicht in Vergessenheit geraten dürfen, erzählen Angehörige ihre Geschichten. Davon, wie österreichischer Apfelstrudel in Chile eine kleine Sensation war, und davon, dass man es als Flüchtling nicht immer leicht hat. „The only thing a refugee never loses is his accent“, meinte der bereits verstorbene Hans Blüh zu seiner Tochter. Die Angehörigen plädieren für mehr Verständnis gegenüber Geflüchteten, denn „man solle sein Herz gegenüber allen Völkern öffnen.“

Der Schluss eines Kreises
Der Sohn von Alfred Blüh ist froh über die Gelegenheit, heute hier zu sein, denn durch die Verlegung der Stolpersteine habe er das Gefühl, dass ein Kreis, welcher 1938 aufgerissen wurde, sich nun endlich schließt. Schließlich verstummt das Gemurmel der Teilnehmer. Straßenbahnen fahren vorbei, die Leute versuchen weiterhin, vor der Hitze zu fliehen. Es scheint wie ein ganz normaler Freitagnachmittag in der Annenstraße, aber bekanntlich ist ja nichts so wie es scheint. Jedes Familienmitglied hat nun eine Rose in der Hand und wartet darauf, diese vor dem Stolperstein niederlegen zu dürfen. Die Band hat wieder angefangen zu spielen und sorgt damit für einen sehr eindringlichen Moment. Eine Mischung aus Trauer und Freude ist in den Gesichtern zu sehen. Währenddessen haben die Teilnehmer der Versammlung die Möglichkeit, selbst Steine niederzulegen. Und als die letzte Rose vor dem gelben Haus in der Annenstraße 31 liegt wird spürbar, dass sich heute wirklich ein Kreis geschlossen hat.

Wenn #fernwehnini nicht gerade die Welt bereist oder auf Konzerten ist, ist sie höchstwahrscheinlich gerade auf der Suche nach einer spannenden Story.

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