Ob Mondscheingasse, Univiertel oder Innenstadt – Alkoholverbotszonen in Graz gibt es viele. Nun soll auch das Annenviertel um eine solche „bereichert“ werden, wenn es nach dem Bezirksrat von Lend geht.
Am vergangenen Montag brachte Bezirksvorsteher Wolfgang Krainer (ÖVP) einen Antrag auf Erweiterung der bestehenden Alkoholverbotszonen bei der Bezirksratsratssitzung des Lend ein. Der neue Bereich soll künftig die Mariahilferstraße, den Südtirolerplatz und den Mariahilferplatz umfassen. Stein des Anstoßes sei laut Antrag: „Von Bewohnern und Besuchern ist es vermehrt zu Beschwerden gekommen, dass durch alkoholisierte Personen auf genannten öffentlichen Straßen und Plätzen, vor allem vor der Mariahilferkirche, störender Lärm verursacht wird und Verletzungen des öffentlichen Anstandes erfolgen.“ Der Antrag wurde mehrheitlich befürwortet. Die Vertreter der SPÖ, ÖVP und FPÖ, sowie die parteilose Margit Mlekus stimmten für den Antrag. Grüne und KPÖ sprachen sich dagegen aus. Entschieden wird über den Antrag nun im Stadtsenat. Krainer rechnet gegen Ende des Jahres mit einer Entscheidung.
Verbotsstadt Graz?
Auf den ersten Blick klingt die Argumentation, die auch von der Kleinen Zeitung am Freitag übernommen wurde, schlüssig. Die Passage im Antrag, dass es sich speziell um den Platz vor der Mariahilferkirche handle, ließ die Grünen jedoch aufhorchen. Dort lebe eine Handvoll Obdachloser, die auch dem Alkohol sehr stark zusprächen, meint Wolfgang Krainer. Die genaue Zahl können weder er, der selbst am Mariahilferplatz wohnt, noch LadenbesitzerInnen am Platz nennen. „Die sind in der Früh da und hoffen bei der Morgenmesse auf großzügige Menschen. Danach wandern sie in die Stadt weiter“, erklärt Krainer. Bei einem Lokalaugenschein der Annenpost am Donnerstag saß lediglich ein einzelner Mann an das Kirchenportal gelehnt am Boden. Ein weiterer stand wortlos im Kreuzgang mit einem Becher für Spenden in der Hand. Am folgenden Freitag schlief ersterer mutterseelenalleine im Schatten eines Baumes am Mariahilferplatz seinen Rausch aus. Die Passanten auf den umliegenden Sitzgelegenheiten störte dies offenbar wenig. Die Grüne Bezirksrätin Anneliese Kneißl begründet die Stimmen ihrer Partei gegen den Antrag folgendermaßen: „Wir sind davon ausgegangen, dass dieses Verbot sich speziell gegen diese fünf bis sechs Personen richtet.“ Eine solche Verordnung wäre laut Kneißl aber in diesem Fall nicht zielführend. Ein Verbot würde die Alkoholabhängigen nur vertreiben, aber das Problem nicht lösen. Stattdessen sollen sich etwa Streetworker der Menschen annehmen.
Wolfgang Krainer gibt hingegen mehrere Umstände zu bedenken. Zum einen läge ihm das Viertel schon seit vielen Jahren am Herzen, und damit auch seine Bewohner. Er betont dabei das Miteinander und wie wichtig es sei, Rücksicht auf alle Anrainer, speziell die älteren, zu nehmen. Wichtig sei aber auch: „Man muss Ordnung schaffen, und dafür braucht es Werkzeug, eine Handhabe.“ Im Guten habe man es in der Vergangenheit bereits probiert. Eine Kooperation mit Pfarrer Wolfgang Pucher von den VinziWerken sei ebenso erfolglos gewesen, wie der Versuch, Streetworker einzuschalten. Susanna Rauscher von den Mobilen Streetworkern im Volksgarten bestätigt: „Wenn jemand nicht von irgendwo weg will, kann man ihn nicht zwingen.“ Zum Antrag selbst ergänzt sie: „Alkoholverbote können aber niemals komplexe gesellschaftliche Probleme lösen.“ Krainer selbst sagt, ihm sei es bei seinem Antrag gar nicht primär um die Obdachlosen gegangen. Die Störungen seien auch von anderen alkoholisierten Personen ausgegangen, die, so vermutet er, anderorts getrunken hatten und anschließend lärmend durch die Straßen gezogen waren.
Wie schlimm ist es tatsächlich?
Wenn das Wort Alkoholverbotszone fällt, assoziieren die meisten sofort die diversen Brennpunkte der Stadt. Aber läuft die Mariahilferstraße wirklich Gefahr, zum zweiten Univiertel zu werden? Ist die Lage vor der Mariahilferkirche gleich schlimm wie das „berüchtigte“ Billa-Eck am Hauptplatz? Bernhard Schenner von der Polizeidienststelle Lendplatz nennt die Anzahl der Beschwerden marginal. Er sehe den Grad der Belästigung durch die Obdachlosen am Mariahilferplatz als vernachlässigbar. Kein Vergleich etwa mit dem Hauptbahnhof. Auch die Mobilen Streetworker hätten laut Susanna Rauscher rund um den Mariahilferplatz nicht mehr zu tun als in anderen Teilen der Stadt. Ist also alles nur die subjektive Wahrnehmung einiger weniger? Ein Blick auf die Entwicklung des Viertels klärt auf.
In den vergangenen Jahren hat sich der Lend zu einem der angesagtesten Bezirke der Stadt gemausert. Nach und nach siedelte sich eine junge Kreativ- und Alternativszene entlang der Mariahilferstraße an. Zu den kleinen Shops, Designbüros und Ateliers gesellten sich immer mehr Bars, Pubs und Restaurants samt Gastgärten. „Fast in jedem Haus gibt’s ein Lokal. Es wäre gut, wenn nach der Sperrstunde Ruhe wäre. Es ist aber keine Ruhe“, klagt Franz Grabner, der über seinem gleichnamigen Juweliergeschäft in der Mariahilferstraße wohnt. Der Lärmpegel habe sich in den letzten Jahren verdreifacht. Dabei bezieht sich Grabner hauptsächlich auf die Menschen, die nach der Sperrstunde für Gastgärten noch auf der Straße bleiben und sich unterhalten. Dazu kämen nach seinen Beobachtungen auch Leute, die mitgebrachte Getränke konsumieren.
Die positive Entwicklung des Viertels hat allerdings eine noch gravierendere Begleiterscheinung. Die Zunahme von Veranstaltungen half über die Jahre, das Viertel zu beleben. Paradox, denn mittlerweile empfinden vor allem Kleinunternehmer einige Events als existenzgefährdend. Selma Etareri betreibt die Galerie DA LOAM unweit vom Mariahilferplatz. Sie erinnert sich noch gut an einen Tag, an dem Pegida und Antifa zeitgleich im Viertel demonstrierten. Eine großzügige Absperrung der Polizei und anschließende Randale seitens der Pegida-Demonstranten hätten sie an diesem Tag um jegliche Kundschaft gebracht. Sie fühlt sich überrumpelt. Auch vor anderen Veranstaltungen seien die Anrainer und Geschäftsinhaber nicht vorab informiert worden. „Ich wünsche mir zumindest eine Absprache mit uns Unternehmern, welche Veranstaltungen uns aufgezwungen werden“, fordert sie. Ein Wunsch, den viele teilen.
So auch Beatrice Baumann. Ihr gehört die Buchhandlung Büchersegler direkt am Mariahilferplatz. Sie vermisst grundlegende Vorüberlegungen bei der Genehmigung von Veranstaltungen. „Die Veranstalter sehen nicht, dass hier anderes Leben auch noch stattfindet.“ Es frage sich eben auch niemand, ob eine bestimmte Veranstaltung überhaupt in das Stadtbild des Lend passt. Das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat das Public Viewing der Kronen Zeitung während der letzten Fußball Europameisterschaft. Wie aus einem Mund beklagen Baumann und Etareri das viel zu groß angelegte Areal am Mariahilferplatz. Selbst Wolfgang Krainer, der eigentlich ein Befürworter der Veranstaltungsvielfalt ist, spart nicht mit Kritik an diesem Event. Er nennt es im Nachhinein eine Überforderung des Platzes. Mit Müh und Not habe er gemeinsam mit der Feuerwehr zumindest erreicht, dass das Areal etwas weiter weg von den Häuserfassaden errichtet wurde. Der Buchhandlung von Beatrice Baumann hat das nicht geholfen. Ganze sechs Wochen lang blieb ihr beinahe die gesamte Kundschaft aus. Selbst die bisher liberale Kirche habe sich vor allem bei den Abendkonzerten des Kantors durch das Public Viewing massiv gestört gefühlt. „Wir brauchen mehr Bass“, hieß es laut Beatrice Baumann bei nahezu jedem Soundcheck. Selbst Unterhaltungen über die Ladentheke seien dann nahezu unmöglich gewesen. Von Lesungen, wie sie im Büchersegler stattfinden, ganz zu schweigen. Während ihr die Zunahme der Events ein Dorn im Auge ist, hat sie sich mit den wenigen Obdachlosen vor ihrem Geschäft arrangiert: „Die sitzen manchmal morgens vor meinen Schaufenstern. Bis ich aufsperre, können sie da ja sitzen, aber dann müssen sie gehen.“ Das täten sie auch, im Gegensatz zu den Bierflaschen und Dosen, die Beatrice Baumann während der Fußball-EM als Andenken vom vorigen Spieltag morgens vor ihrem Geschäft zusammenkehren musste.
Alles in allem sind es also mehrere Faktoren, die entlang der Mariahilferstraße an den Nerven der Anrainer zehren. Die Obdachlosen vor der Kirche spielen dabei eine verschwindend geringe Rolle. „Ich würde eher weniger Events genehmigen“, stimmt auch Polizist Bernhard Schenner zu. Gegen die würde die beantragte Alkoholverbotszone nämlich nichts bewirken. Denn im Rahmen von Gastgärten, Marktständen und Veranstaltungen bliebe der Konsum von Alkohol auch bei Ausweitung der Verbotszone weiter gestattet.