Lebenslange Haft und Einweisung in eine Anstalt für „geistig abnorme Rechtsbrecher“, so lautete das – nicht rechtskräftige – Urteil im Prozess gegen Alen R., den Amokfahrer von Graz. Auch in der Justizanstalt Karlau werden Straftäter wie er inhaftiert. Ein Besuch.
8020 Graz, Gries, Herrgottwiesgasse 50, Justizanstalt Karlau. Eine massive Stahltüre öffnet sich. Dahinter eine schmucklose Zelle, kleiner als ein durchschnittliches Studentenzimmer. Ein Bett, ein Kasten, ein Schreibtisch, ein Stuhl. Hier schläft und wohnt einer von 80 psychisch kranken Straftätern, die derzeit in der Karlau angehalten werden. Ein ganzes Leben steckt in diesem Haftraum. Man kann es riechen. Auch Alen R. könnte eines Tages in einer dieser Zellen untergebracht werden, denn hier, in der Abteilung für den Maßnahmenvollzug für „geistig abnorme zurechnungsfähige Rechtsbrecher“, werden genau solche Straftäter inhaftiert und resozialisiert. Sobald das Urteil im Prozess um R. rechtskräftig ist, wird feststehen, ob er in die Karlau überstellt wird und dort seine Haftstrafe antreten muss. 470 Haftplätze gibt es dort insgesamt, 80 davon sind für den Maßnahmenvollzug reserviert, aufgeteilt auf mehrere Trakte. Vollständig voneinander getrennt können der Normal- und der Maßnahmenvollzug nicht werden, dafür ist der alte Bau nicht geeignet, dessen Kern von Erzherzog Karl II. im 16. Jahrhundert als Jagdschloss erbaut wurde.
Psychisch krank und trotzdem zurechnungsfähig
Im Gegensatz zu den Justizanstalten Göllersdorf und Asten, die für unzurechnungsfähige Täter zuständig sind, werden in der Haftanstalt in Gries die zurechnungsfähigen behandelt. Das bedeutet, Karlauer Häftlinge im Maßnahmenvollzug sind schuldfähig, standen zum Tatzeitpunkt jedoch unter dem Einfluss einer psychischen Krankheit. Deshalb wird, um weiteren Straftaten vorzubeugen und die Delinquenten wieder in die Gesellschaft einzugliedern, zusätzlich zur Freiheitsstrafe die sogenannte Maßnahme angeordnet. Diese muss während der Haftstrafe beginnen und umfasst eine Behandlung nach speziellem Therapiekonzept. Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten wirken daran ebenso mit wie Arbeitstrainer oder Sozialarbeiter. Erst wenn ein Häftling als ungefährlich eingestuft wird, kann er entlassen werden. Dabei kann eine Maßnahme gegebenenfalls auch länger dauern als die eigentliche Haftstrafe. Im Schnitt werden Häftlinge in der Karlau zwischen dreieinhalb und viereinhalb Jahren über das Strafende hinaus in der Maßnahme angehalten bis die (bedingte) Entlassung erfolgt.
Harte Fälle
Schwere Gewaltverbrechen wie Mord und Mordversuch, also auch die Straftaten, für die der Amokfahrer von Graz verurteilt wurde, sind im Karlauer Maßnahmenvollzug am häufigsten verbreitet. Der überwiegende Teil der Untergebrachten sei wegen schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte hier, meint Alexandra Wabnegg-Harnisch, Psychologin und Departmentleiterin des Maßnahmenvollzuges in der Karlau. Allen ist jedoch ihre Diagnose gemeinsam: Persönlichkeitsstörung. Das Spektrum reicht dabei von emotionaler Instabilität über schwere Störungen im Sozialverhalten bis hin zu suizidalen Tendenzen. Nach Graz kommen die besonders harten Fälle, sogar verglichen mit anderen Haftanstalten, in denen zurechnungsfähige psychisch kranke Straftäter behandelt werden, wie zum Beispiel Stein oder Mittersteig. „Beschwerdeführer, Vollzugsstörer und eben diese ganz schweren Persönlichkeitsstörungen sind bei uns hier konzentriert“, sagt Anstaltsleiter Josef Mock. Das Personal muss hochbelastbar sein. „Wir sind hier mit Dingen konfrontiert, die man sich, wenn man gutbürgerlich aufgewachsen ist, nicht vorstellen kann“, so Wabnegg-Harnisch, die mittlerweile seit 22 Jahren im Strafvollzug tätig ist.
Leben im Maßnahmenvollzug
Falls Alen R. nicht als arbeitsunfähig eingestuft wird, würde er in der Karlau wahrscheinlich einem Job in einem der 21 hausinternen Betriebe, wie der Bäckerei oder der Tischlerei, nachgehen. Die Beschäftigungsquote im Karlauer Maßnahmenvollzug ist nämlich sehr hoch, zwischen 85 und 86 Prozent seien es laut Mock. Wie auch „draußen“ beginnt der „Arbeitstag“ hier unmittelbar nach dem Frühstück. Es besteht, Wabnegg-Harnisch zufolge, großes Interesse daran, den „Ablauf innerhalb der Gefängnismauern möglichst lebensnah zu gestalten“. Dazwischen sind oft noch Termine bei diversen Fachabteilungen wie dem sozialen und psychiatrischen Dienst oder dem internen Seelsorger eingeplant. Darüber hinaus gibt es fixe Zeiten, die für Gesprächstherapien bestimmt sind. Nimmt ein Untergebrachter an keiner der therapeutischen Gruppenaktivitäten teil – die Palette reicht von Lesezirkeln über Schreib- und Zeichenworkshops bis hin zu sportlichen Aktivitäten wie Fußball – schließt sich die Zellentür für ihn um 15 Uhr. Darum wird das Angebot sehr gut angenommen. Wieder geöffnet wird die Zellentür nämlich erst am darauffolgenden Tag, um 7 Uhr früh bei der sogenannten Standeskontrolle.
Zudem wird im alten „Loch“, der aufgelassenen „Absonderungsabteilung“, gerade eine Art Beschäftigungszentrum eingerichtet. Wo früher Insassen des Normal- und Maßnahmenvollzugs, aufgrund von hohem Aggressionspotenzial, getrennt vom Rest der Häftlinge untergebracht wurden, entstehen in Zukunft zusätzliche Räume für das Therapieangebot, zum Beispiel ein eigenes Bastelzimmer. Trotzdem würde in der Karlau niemand behaupten, den Häftlingen gehe es zu gut – weder im Normal- noch im Maßnahmenvollzug, welcher seit dem Urteilsspruch im Grazer Amokprozess erneut an Aktualität gewonnen hat. Auch der Anstaltsleiter weiß um dieses häufig verzerrte Bild. „Die Leute müssen sich eben selbst einmal den richtigen Eindruck verschaffen und sich intensiver über den Strafvollzug informieren.“