Mit einem Auftritt von Lisa Eckhart, der „Königin“ des Poetry Slams, in der CuntRa endete das Grazer Dichtkunstjahr so furios, wie es begonnen hat. Die Annenpost hat sich unter die Szene-Poeten gemischt.
Aus einer amerikanischen Subkultur der Achtziger ist mit Poetry Slams ein vielbesuchter, gefragter Dichterkult im deutschsprachigen Raum erwachsen, seit einigen Jahren auch in Graz. Bis zu 500 Studierende, Poesieliebhaber und Wettstreitfans treffen sich da regelmäßig an Orten wie der CuntRa La Cultra am Griesplatz, in den Hörsälen der Universitäten, im Kulturzentrum bei den Minoriten, in der Kombüse, der Brücke oder dem Theater am Ortweinplatz, um sich in den Bann lebendiger und greifbarer Literatur ziehen zu lassen.
Zuletzt etwa Anfang Dezember, als die „Königin“ des Poetry Slams, Lisa Eckhart, die CuntRa besuchte. Eckhart, die im Vorjahr die österreichischen Slam-Meisterschaften gewann, auch Kabarett macht und in Berlin und Wien lebt, beschreibt sich selbst als pathologischen Bühnenmenschen. Sie schafft es, mit makabren Denkanstößen und humorvoller Zweideutigkeit die Zuseher aus ihrer Bequemlichkeit zu reißen: „Wer sich zuhause hasst, hasst sich auch im Urlaub“, setzte Eckhart, eine gebürtige Leobenerin, da ihrem Publikum auseinander. Oder empfahl: „Seid keine Rassisten. Hasst alle! Esst die Unhöflichen. Und wenn nichts funktioniert im Leben, ist vielleicht Scheitern euer Ding.“ Die Wiener Zeitung bescheinigte den Auftritten der Steirerin, dass ihre Reime und Inszenierungen so seien, „wie man es von großen Schauspielhäusern gewohnt ist“.
Performance, Pathos, Poesie
Abende wie dieser, aber auch Formate wie „KRANKgeschrieben“, eine Mischung aus Jugend-Theater und Literatur, die Hörsaal-, Kombüsen- oder die Kultum-Slams bieten jeden Monat mehrmals die Chance, WortkünstlerInnen hautnah zu erleben. Auf einem Slam erlebt man Performance, Poesie, Abschweifen aus dem Alltag, Ironie, enttarnte Werte. Für jeweils maximal fünf Minuten zählt nichts weiter als die Realität der Slam Poeten, eine gehauchte Stimme oder ein schreiendes Schweigen. Während eines Auftritts ist nahezu alles erlaubt: Pathos, Endorphine, Gestikspiele, Klagen, Freude oder Politikverdruss. Die Kunstform Slam Poetry scheint magisch auf das Publikum zu wirken, die Faszination ist groß.
„Man werfe den Sitznachbarn vor Begeisterung auf die Bühne!“
Hier knüpft Mario Tomic an. Der gebürtige Bosnier, schon seit vielen Jahren Grazer, gründete 2014 mit Yannick Steinkellner den Verein „PLuS – Performte Literatur und Slam“, damit verantwortlich für die erfolgreichsten Grazer Slam-Formate. Er erkannte das Potential seiner Wahlheimat und ihrer PoetInnen, will KünstlerInnen fördern und ihnen eine Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln. Sein „zweites Wohnzimmer“, das „Pumpguntheater“ in der CuntRa, ist Austragungsort verschiedener Formen des Poetry Slams. „Schreiben können viele Leute. Viel zu selten tun sie es aber auch“, sagt Tomic. „Ich möchte, dass sich Menschen eigene Welten erschaffen, Worte zu Papier bringen.” Mit PLuS erhalten PoetInnen jeden Alters die Möglichkeit, sogar etwas in der Öffentlichkeit vorzutragen.
Feature:
Das Leben als Slam-PoetIn – Im privaten Gespräch mit
Anna-Lena Obermoser und Mario Tomic
Österreicher: eigenbrötlerisch, idealistisch, echt
Ähnlich sieht Anna-Lena Obermoser die Grazer Szene. Die 20-jährige Salzburgerin – im Vorjahr österreichische U20-Meisterin, außerdem 2015 und 2016 U20-Meisterin in Wien, Niederösterreich und Burgenland – hat ihren künstlerischen Schwerpunkt in die Steiermark verlegt. Ist sie nicht gerade auf einer ihrer Tournéen, die sie regelmäßig durch den gesamten deutschsprachigen Raum führen, liebt sie die Stadt Graz für ihre enorme Poetry Slam-Energie. „Als Österreicher erkämpfst du dir in Deutschland den Status schwerer. Aber alle sind dann immer doppelt von uns Ösis geflasht: Wir sind intensiv, eigenbrötlerisch, idealistisch, experimentell. Ich würde sogar sagen, dass man uns Österreicher speziell daran erkennt, wie tief wir mit unseren Texten gehen, wie ernst, humorvoll, wie echt wir sind.“
Graz scheint dank PLuS ein Brennpunkt der Dichterszene geworden zu sein. Nicht nur Lisa Eckhart zieht es immer wieder in die Stadt, in der sie auch gelebt hat, nicht nur Tomic oder Obermoser kamen hierher, um Graz ein bisschen mitzugestalten. Auch auswärtige PoetInnen wie Robin Mriri Reithmayr, Elias Hirschl, Tereza Hossa oder Wolf Hogekamp (Gründer der ältesten Poetry-Slam-Reihe Deutschlands) zieht es auf die örtlichen Bühnen. „Literatur belebt wie keine andere Kunstform, regt Menschen zum kreativen Schreiben an. Wenn wir abends auf den Bühnen dieser Stadt in die Dichterschlachten ziehen, wollen wir Begeisterung entfachen. Genau so“, überzeugt Mario Tomic.
Wer selbst Teil der Szene werden oder zumindest einmal einer der vielen verschiedenen Poetry-Veranstaltungen beiwohnen möchte, hat ab Jänner zahlreiche Möglichkeiten dazu. Die Termine finden sich ab Neujahr auf der Facebook-Seite des Vereins PLuS.
FACT BOX: ALL ABOUT THAT SLAM
> „Poetry Slam“ ist das Veranstaltungsformat selbst –
„Slam Poetry“ ist die live vorgetragene Literatur.
> Wer selbst slammt, ist Teil einer großen „Slamily“.
> Erlaubt ist alles bis auf Requisiten, zu langer Gesang oder nicht selbstverfasste Texte.
> Textformen können u.a. Lyrik, Prosa, Comedy oder Rap sein.
> Dauer eines Auftritts: meist 5 – 6 Minuten.
> Facebook: Verein PLuS
> Film: Club der Wilden Dichter – Die Geschichte des Poetry Slam
> Youtube: Hörsaalslams und mehr