Das Jahr 2017 begann mit einem Knall. Trotz ökologischer Fragwürdigkeit, zweifelhafter Finanzierungslage, geforderter Volksbefragung und politischem Eklat, erfolgte am 2. Jänner 2017 der Baustart für das Murkraftwerk. Rekonstruktion einer Affäre, die in Graz Neuwahlen auslöste.
Das charakteristische und unverkennbare Geräusch eines rückwärtsfahrenden Lastwagens durchbricht die Stille einer kleinen Wohnsiedlung am Rande der Olympiawiese Liebenau. Auf das mehrmalige, eindringliche Piepen folgt hydraulisches Pumpen und das Ächzen von Erde, die unter der Last mehrerer Tonnen nachgibt. Dann Stille, nur das Rauschen des Flusses ist noch zu hören. Die Mur fließt friedlich an der abgesperrten Baufläche vorbei und weiß gar nicht, was bald auf sie zukommen soll. Am 2. Jänner 2017 erfolgte der offizielle Baustart des von der Energie Steiermark geplanten Murkraftwerks. Nach jahrelangem Hin und Her nehmen rund 20 Bauarbeiter erste Arbeiten zur Einrichtung der Baustellen-Zufahrtswege auf. Kraftwerksgegner, wie etwa die Plattform Rettet die Mur, stoßen sich massiv an einem Baustart ohne Durchführung der geforderten Volksbefragung.
„Öko-Strom statt Atom“
Die Idee eines Kraftwerks in Graz kursiert schon seit mehreren Jahren. Im Juni 2010 wurde der erste Plan für ein solches beim österreichischen Umweltbundesamt eingereicht. Der Energiekonzern Energie Steiermark beabsichtigt laut UVE (Umweltverträglichkeitserklärung) den Bau eines Laufwasserkraftwerks im südlichen Stadtgebiet von Graz. Das sogenannte Murkraftwerk soll im Regelbetrieb 74 Gigawatt-Stunden Strom produzieren, damit rund 20.000 Haushalte mit Energie versorgen und sich 620 Meter flussaufwärts der Puntigamer Brücke befinden. Als Finanzierungspartner wurde in der Erstfassung der UVE die Verbund Österreich AG genannt.
Im 2010 eingereichten Antrag ist zudem von der Realisierung eines zentralen Speicherkanals die Rede. Dieses, von der Energie Steiermark und der Stadt Graz abgestimmte Kanalprojekt müsste vor bzw. gleichzeitig mit der Errichtung des Kraftwerkes umgesetzt werden. „Mit diesem Parallel-Projekt um rund 80 Mio. Euro können die derzeit bei Starkregen ungeklärt in die Mur fließenden Abwässer aufgefangen und in die Kläranlage Gössendorf gebracht werden“, erklärt die Energie Steiermark auf der eigens eingerichteten Website. Klingt nach einem durchwegs „grünen“ Projekt, durch das der Energiekonzern und die Stadt Graz zunehmend auf Atomstrom-Importe aus dem Ausland verzichten und massive CO2-Ausstöße anderer Kraftwerke eindämmen könnten. Aus welchem Grund erfährt das Murkraftwerk also derartigen Gegenwind?
Ökologische Fragwürdigkeit eines „grünen Projekts“
Eigentlich gilt Wasserkraft als eine der umweltfreundlichsten Arten, um Strom zu erzeugen. Die kinetische Energie des fließenden Wassers wird in mechanische bzw. elektronische Energie umgewandelt, wodurch ressourcen-schonender Strom produziert werden kann. „Der Speicherkanal ist eine Vorgabe der EU an die Stadt Graz. Die Stadt Graz wurde also generell zur Errichtung des Speicherkanals verpflichtet und dieser hat nicht unbedingt etwas mit dem Kraftwerks-Projekt zu tun“, erzählt Urs Harnik-Lauris im Gespräch mit der Annenpost Mitte Jänner. Der Speicherkanal kostet laut Harnik-Lauris, Leiter der Konzernkommunikation in der Energie Steiermark, 80 Millionen Euro – 20 Millionen Euro davon steuert sein Konzern bei.
Kraftwerksgegner stören sich massiv an dem Bau des zentralen Speicherkanals. Nach der geplanten Umsetzung wird aus der Mur, einem Fluss, der frei durch das Stadtgebiet von Graz fließt, ein Stausee. Die Wassergüte der Mur müsste nach dem Bau des zentralen Speicherkanals von „gut“ auf „mäßig“ herabgesetzt werden.
Darüber hinaus müssten laut Schätzungen des Naturschutzbundes während der Bauarbeiten für den zentralen Speicherkanal rund 16.500 Bäume verschiedener Größen entlang des wildwüchsigen Murradwegs im Uferbereich südlich der Radetzkybrücke gefällt werden. Unter den betroffenen Pflanzen befinden sich 824 ökologisch wichtige Bäume mit einem Umfang von mehr als 150 Zentimetern und Höhen von bis zu 15 Metern. Zur Relation: Dies entspricht der doppelten Grünfläche des Grazer Stadtparks. Kann es sich Graz, als Österreichs Feinstaubhochburg Nummer eins, überhaupt leisten, natürlichen Grünraum innerhalb seiner Stadtgrenzen zu verlieren?
Die Energie Steiermark wehrt sich gegen derartige Vorwürfe und weist auf die, schon in der UVE vorgeschriebenen Umweltmaßnahmen des Baus hin. Laut Harnik-Lauris würden entlang der Mur-Ufer alle Bäume eins-zu-eins nachgesetzt werden. Überdies befinden sich entsprechende Ausgleichsflächen im Süden von Graz, in denen neue ökologisch wichtige Pflanzen wachsen sollen. „Wir haben gemeinsam mit unseren Experten beschlossen, für jeden gerodeten Baum, zwei neue anzupflanzen und sehen daher keinen Verstoß in dieser Richtung.“
Zweifelhafte Wirtschaftlichkeit im schwierigen Marktumfeld
Im Januar 2016 veröffentlichte der WWF gemeinsam mit der Plattform Rettet die Mur eine Detailstudie zur Wirtschaftlichkeit des geplanten Kraftwerks. Das Ergebnis ist dabei mehr als eindeutig: Selbst in 50 Jahren würde sich das Projekt nicht rentieren. Als Ursache dafür sieht die Studie der beauftragten e3 consult überproportional hohe Investitionskosten von 110 Millionen Euro und die in den vergangenen Jahren deutlich gesunkenen Börsenstrompreise. Die Energie Steiermark entkräftet die wirtschaftlichen Vorwürfe der internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen. „Die groben Eckdaten der Studie sind schlichtweg veraltet oder stimmen nicht mit unseren Informationen überein. Ein kleines Beispiel: Die Investitionskosten des Kraftwerks wurden mit 110 Millionen Euro veranschlagt – in Wahrheit wird es 80 Millionen kosten“, erklärt Harnik-Lauris.
Wer soll das finanzieren? Als ursprünglichen Projektpartner und Investor gab die Energie Steiermark in ihrer UVE die Verbund Österreich AG an. Die Kooperation Verbund/Energie Steiermark hat schon mehrere Kraftwerk-Projekte erfolgreich umgesetzt, unter anderem das geografisch nahe Wasserkraftwerk Gössendorf. Im März 2016 zog der Verbund jedoch seine 50-Prozent-Finanzierung am Projekt zurück. Grund dafür sei das schwierige Marktumfeld, bestätigte der Konzern in einem Bericht der „Kleinen Zeitung“. Für die Energie Steiermark (37,5 Prozent-Beteiligung) war dies jedoch kein Grund, vom Bau des Murkraftwerks abzusehen. Im Dezember 2016 wurde vom Aufsichtsrat des Konzerns einstimmig beschlossen, den Bau des Kraftwerks auch ohne einen fixen 50-Prozent-Partner zu beginnen. „Die Vorgabe des Aufsichtsrats war immer die Wirtschaftlichkeit des Projekts. Wir haben das Projekt natürlich genau durchgerechnet und sehen es als hoch wirtschaftlich.“ Bisher hat nur die Energie Graz ihre Finanzierungs-Beteiligung mit 12,5 Prozent zugesichert, für weitere Investoren sei man weiterhin offen. Clemens Könzcöl, Pressesprecher von Rettet die Mur sagte der Annenpost in einem Interview im Dezember: „Um das Projekt ohne weiteren Investor durchziehen zu können, müsste die Stadt Graz durch zinsgestützte Kredite als Finanzier auftreten. Das Projekt würde die Stadt Graz bis zu 200 Millionen Euro kosten. Dieses Geld würde in anderen Bereichen sicher dringender gebraucht. Wir sind der Meinung, dass der Großteil aller Grazer dem Projekt negativ gegenübersteht und fordern daher schon lange eine Volksbefragung!“
Politischer Eklat und zerschlagene Volksbefragung
Zu der von Könzcöl und seiner Organisation geforderten Volksbefragung hätte es rechtlich gesehen bereits am 20. November 2016 kommen können. Rettet die Mur legte der Stadt Graz nämlich im September 2016 bereits mehr als 10.000 gültige Unterschriften für eine Volksbefragung vor. Die für das Rathaus zuständigen Juristen empfahlen jedoch, einen negativen Bescheid für die Durchführung auszustellen. Grund dafür war die gewählte Fragestellung der Organisation. Dieser mangle es laut Bescheid an Bestimmtheit, sie könnte teilweise missverständlich sein oder eine unzutreffende Sachlage suggerieren. Rettet die Mur hat mittlerweile Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Steiermark gegen den negativen Bescheid der Stadt Graz eingelegt. Für die Bürgerinitiative ist das juristische Kleinreden von über 10.000 Unterschriften absolut unverständlich. „Wenn Bürgermeister Nagl, wie er immer wieder betont, ein Bürgermeister für ‚alle Menschen‘ sein will, dann darf er keine Angst vor der Meinung der Bevölkerung haben“, sagt Rettet die Mur-Sprecherin Christine Barwick.
Dieser Meinung sind auch andere Parteien im Gemeinderat. Mitte Oktober 2016 brachten dann Grazer Grüne und Piratenpartei den dringlichen Antrag auf eine Volksbefragung im Gemeinderat ein. Das Ergebnis: Die KPÖ unterstütze den eingebrachten Antrag, die ÖVP, SPÖ und FPÖ stimmten in diesem Fall gegen ein solches Mittel der direkten Demokratie. Am 17. November 2016 folgte der große Knall: Der Grazer Gemeinderat löst sich in einer Sondersitzung auf – nun werden am 5. Februar Neuwahlen stattfinden. Da Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) trotz Hilfe der SPÖ keine Mehrheit für sein Budget 2017 fand, war die Auflösung des bestehenden Gemeinderats nötig.
Obwohl das geplante Kraftwerk einen derartigen politischen Eklat auslöste, stimmte der Aufsichtsrat der Energie Steiermark nur ein paar Tage später, am 5. Dezember 2016, einstimmig für einen Baustart im bereits angebrochenen Winter. Zum Ärger der Kraftwerksgegner wurden diese Versprechungen am zweiten Tag des neuen Jahres tatsächlich Realität. Im Gespräch mit der Annenpost deutete Könzcöl eine solche Tat des Konzerns bereits an: „Natürlich dürfte die Energie Steiermark jetzt im Schnellverfahren mit dem offiziellen Baustart beginnen und niemand könnte etwas dagegen tun. Dadurch würden sie jedoch mit einem kolossalen Millionenprojekt Druck auf eine Regierung machen, die noch nicht einmal gewählt wurde! Das Murkraftwerk ist nicht nur unökologisch und unwirtschaftlich, sondern auch gänzlich undemokratisch!“
Für Könzcöl gebe es durchaus Gründe für den Bau eines Kraftwerks – beispielsweise die 74 Gigawatt-Stunden Strom, die es erzeugen soll. Am Ende unseres Interviews erklärt er: „Sollte das Kraftwerk in einer Volksbefragung befürwortet werden, würden wir das akzeptieren und unsere Arbeit auf die Überprüfung der Baustelle und den sachgemäßen Umgang mit der Natur beschränken.“ Alles, was die Organisation aktuell fordert, ist die Durchführung einer Volksbefragung.
[infobox color=“#a3a3a3″ icon=“info“]Am 5. Februar 2017 findet die Große Mur-Demo für eine Zeichensetzung in Richtung Gemeinderatswahl statt. Die von „Rettet die Mur“ organisierte Demo beginnt um 14 Uhr am Südtiroler Platz und endet um 15 Uhr mit einer Kundgebung am Tummelplatz.[/infobox]
Diese politisch eingefärbte Berichterstattung fernab aller Tatsachen ist wirklich ein Armutszeugnis für den österreichischen Journalismus. Schade um die Annenpost.
Inwiefern sehen sie in diesem Artikel politisch eingefärbte Berichterstattung? Es wurden Gespräche mit beiden Seiten (Energie Steiermark und Rettet die Mur) geführt, deren Meinungen wiedergegeben und der Ereignis-Ablauf rekonstruiert. Fernab welcher Tatsachen wurde dieser Bericht also verfasst?