Mit „Untitled“ eröffnete die Diagonale’17 mit einem besonderen Film. Im Gedenken an den während der Dreharbeiten verstorbenen Regisseur Michael Glawogger entstand posthum ein Film, den das Leben spielt und der den Zufall feiert.
Eine Gruppe junger Männer steht eng in einem Kreis beisammen. Sie stützen sich auf Krücken, weil jedem von ihnen ein Bein fehlt. Trotzdem sind sie bestens gelaunt, singen und sprechen sich gegenseitig gut zu. Sie sind heiß auf das bevorstehende Match, denn es eint sie nicht nur der Verlust eines Körperteils, sondern auch die Begeisterung für das Fußballspielen.
Szenenwechsel: Eine schwarze Rolle liegt auf dem blanken Betonboden. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass es sich um einen alten Teppich handelt. Es ist ein trostloser Anblick, der Raum versprüht nichts als Kälte und Unbehagen. Doch plötzlich ein leises Quieken. Der Teppich bewegt sich und ein kleiner, unbeholfener Welpe tapst daraus hervor.
Diese beiden Szenen sind Ausschnitte aus „Untitled“, die den Charakter des Dokumentarfilms widerspiegeln: In jeder noch so tragischen Szene finden sich hoffnungsvolle und schöne Momente. Der Film behandelt aktuelle Themen wie Armut und Hungersnot, geht aber auch auf die Schönheit und Vielfältigkeit des Lebens ein. Michael Glawogger wollte einen „Film, der nicht aufhört“, machen, der von den Zufällen des Lebens getrieben ist. Für Cutterin und Co-Regisseurin Monika Willi ist es ein Werk über „Leben, Welt und Bewegung“.
Der ungeplante Film
Im Rahmen der diesjährigen Diagonale’17 feierte „Untitled“ bei der Eröffnung am 28. März 2017 Österreich-Premiere. Der Startschuss für den Dreh fiel bereits im Dezember 2013. Der Grazer Regisseur Michael Glawogger brach mit seinem Team zu einer Reise auf, die ein Jahr lang dauern sollte. Er wollte jene Eindrücke dieser Welt filmen, die ihm zufällig auf seinem Weg begegneten. Frei nach dem Konzept „Serendipity“ – das bedeutet, Entdeckungen durch Zufall zu machen – reiste der Filmemacher vom Balkan, über Italien bis nach Nordwest- und Westafrika. Der Regisseur wollte ein Bild der Welt entstehen lassen, „wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt.“ Über vier Monate ging er mit offenen Augen durch die Lebenswelten verschiedener Kulturen und nahm einmalige Erlebnisse auf, bis Glawogger unerwartet im April 2014 in Liberia an Malaria verstarb.
Eine Reise durch Bilder und Lebenswelten
Für Monika Willi war Glawoggers Tod „ein vollkommen unerwarteter Schock“. Sie war seine langjährige Schnittmeisterin und von Beginn an mit dem Material von „Untitled“ vertraut. Daraus ergab sich, dass Willi nicht nur mit dem Schnitt betraut wurde, sondern auch in die Rolle der Co-Regisseurin schlüpfte und sich nach dem Tod Glawoggers des Filmmaterials annahm. Der Film war für die Tiroler Cutterin dabei nicht nur eine Art Trauerbewältigung, sondern auch eine Umstellung in Bezug auf die Präsenz ihrer Person in der Öffentlichkeit. „Mediale Öffentlichkeit ist nicht mein Lieblingspart. Vor allem in diesen Momenten wird mir immer wieder klar, wie sehr Michael fehlt.“ Neu an der Rolle als Regisseurin war für Willi vor allem „der Unterschied zwischen dem Haben einer Meinung und der Notwendigkeit, aufgrund dieser auch selbst entscheiden zu müssen.“
Auch beim Schnitt wurde das sogenannte „Serendipity“-Prinzip umgesetzt. Willi sichtete das Material mit der Idee, „eine Reisende durch die Bilder und Lebenswelten zu sein. Wo ich berührt wurde, hielt ich an. Ich habe versucht, offen zu sein und Momente in Bildern zu entdecken, die nicht offensichtlich sind.“ In dem Dokumentarfilm begegnet man vielen traurigen Schicksalen, doch die Co-Regisseurin sieht vor allem „viele unglaublich starke Menschen und auch viel Lebensfreude.“ Außerdem erzählt sie, dass Michael Glawogger und sein Kameramann Attila Boa „die Gabe hatten, emphatisch zu sein“, um die Menschen für ihr Vorhaben zu gewinnen. Sie erlebte die Menschen dabei in den unterschiedlichsten Momenten des puren Zufalls, wie sie das Leben birgt: von traurig, brutal, krank bis absolut glücklich. Mit dieser Besonderheit des Films geht eine weitere einher, nämlich, dass die Protagonisten im Film nicht sprechen. Laut Willi war Glawoggers Idee dahinter, „ein Reisender zu sein, wie im wirklichen Leben, um die Betrachtung und den Blick zu schärfen und Reflexion zu ermöglichen“. Zu hören sind einzig Auszüge aus Glawoggers Texten, die während der Reise entstanden. Wichtig ist der Cutterin: „Was der jeweilige Zuseher in den Bildern und Übergängen sieht, muss offen bleiben.“
[box]Die Diagonale möchte die Möglichkeit für einen öffentlichen Diskurs rund um das österreichische Kino schaffen. Jedes Jahr wird dafür beim Filmfestival eine Vielzahl an Filmen aller Genres, Formate und Längen präsentiert. Daneben gibt es ein Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Workshops, Diskussionen und Installationen. Der Festivaldistrikt befindet sich rund um das Kunsthaus Graz. Die Diagonale’17 findet heuer von 28. März bis 02. April 2017 in Graz statt.
Der Film „Untitled“ wird neben der Diagonale-Eröffnung ein weiteres Mal während des Festivals am 01. April gezeigt. Offizieller Kinostart ist am 31. März 2017. Hier ein kleiner Vorgeschmack:
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