Foto: Angelika Groß

„Wir werden nicht unsterblich sein“

Lesezeit: 4 Minuten

Hellmut Samonigg ist Rektor der Medizinischen Universität Graz und Expertenbeirat der Anti-Raucher-Kampagne „DON’T SMOKE“.

Hellmut Samonigg, Rektor der Med Uni Graz, in seinem Büro. Foto: Angelika Groß

Im Gespräch mit der Annenpost erzählt Samonigg, warum wir schlecht auf eine Gesellschaft von 100-Jährigen vorbereitet sind, das Rauchen nie radikal abschaffen werden können und er sich lieber von einem Kollegen als vom Operationsroboter Da Vinci operieren lassen würde.

„Wir haben nur 15 Minuten“, der Rektor wirkt gestresst. Hellmut Samonigg gilt als anerkannter Krebsspezialist. Der gebürtige Kärntner baute die Klinische Abteilung für Onkologie am LKH-Univ. Klinikum Graz auf und setzt sich seit Jahren für Nichtraucherschutzmaßnahmen ein.

Annenpost: Herr Dr. Samonigg, Sie sind Mediziner und haben sich in Bezug auf Ihre Arbeit einmal als „Tüftler“ bezeichnet, gleichzeitig spielen sie passioniert Cello und tauchen in Ihrer Freizeit. Wie passt das zusammen?

Hellmut Samonigg: Cello zu spielen und zu tauchen ist ein schöner Zeitausgleich, bei dem man die intensive Arbeit, die man als Arzt macht, als eine Art Gegenmodell lebt. Das passt im Gesamtbild sehr gut zusammen.

Kinder, die 2017 auf die Welt kommen, sollen im Schnitt über 100 Jahre alt werden. Werden wir bald unsterblich sein?

Auf den ersten Blick ist das eine scheinbar lockere Frage, allerdings ist das ein ganz ernstes Thema in der Medizin. Wir werden sicher nicht unsterblich sein, das ist klar. Wir werden es aber in der Medizin wahrscheinlich schaffen, dass Menschen durchschnittlich noch etwas älter werden, vielleicht um 10% oder sogar um 15%.  Die Herausforderung wird allerdings sein, dass man nicht nur älter wird, sondern, dass man möglichst körperlich und geistig fit älter wird. Die Frage ist, ob die Medizin in der Lage ist, zu erkennen, dass es nicht um den Glauben geht, alles ganz genau zu wissen und zu erforschen, um Unsterblichkeit möglich zu machen. Mit dieser Idee spielen viele Mediziner, aber es ist ein Trugschluss.

Wie gut sind wir auf eine Gesellschaft von 100-Jährigen vorbereitet?

Wir sind nicht gut vorbereitet. Es ist Neuland, das wir hier betreten. Wir kommen jetzt in der Medizin in eine Phase, in der wir mit den Möglichkeiten, die die Medizin in Zukunft haben wird, ziemlich präzise voraussagen können, zumindest bei einigen Krankheitsbildern oder Symptomen, wann diese tatsächlich auftreten und wann sie zum Tod des Betroffenen führen. Das ist eine Vision, eine neue Entwicklung der Medizin, die es bisher überhaupt noch nicht gab. In den nächsten zehn Jahren werden wir viel mehr wissen, aber wollen wir das überhaupt wissen?

Wird es den Beruf des Mediziners in 20 Jahren so noch geben oder werden dann nur noch Roboter operieren und Computer Diagnosen und Therapien erstellen?

Den wird es sicher geben. Er wird sich in einzelnen Bereichen ändern, aber es wird den Beruf noch geben, mit einem deutlich anderen Schwerpunkt. Die Herausforderung ist, und das hören viele nicht gern, dass der Arzt noch viel mehr als bisher Kommunikator wird sein müssen. Er muss Wissen vermitteln und Fakten. Wie schaffe ich es, diese Fakten vielen Menschen so zu kommunizieren, dass sie damit auch etwas anfangen können? Die Rolle der Kommunikation und Interaktion zwischen Arzt und Betroffenen wird, wenn wir nicht eine völlig entmenschlichte Medizin haben wollen, ein zentrales Thema sein.

Sehen Sie die Digitalisierung in der Medizin als hilfreichen Fortschritt oder geht dabei der menschliche Faktor verloren?

Wir können diese Frage gar nicht stellen, ob hilfreich oder nicht. Sie drängt sich herein, das ist wie bei einer Lawine, bei der die Tür aufgepresst wird. Die Frage ist, können wir sie so abbilden, dass sie tatsächlich hilfreich ist? Hier ist Achtsamkeit geboten.

Wie haben Sie den Fortschritt der Medizin selbst wahrgenommen, was ist für Sie die wichtigste Veränderung?

Die Veränderungen der letzten 50 Jahre sind unglaublich. In der Onkologie, in der ich selbst noch bis vor eineinhalb Jahren gearbeitet habe, hat sich Enormes getan. Wir haben viele neue Möglichkeiten bekommen, vor allem die Möglichkeit immer stärker individualisiert zu behandeln. In den ersten Phasen konnten wir nur mit Medikamenten arbeiten, die nicht spezifisch genug waren, um individuelle Krankheiten auch wirklich behandeln zu können. Das hat sich deutlich verschoben und dieser Fortschritt in Richtung personalisierte Medizin, oder „Präzisions-Medizin“, wie man sagt, ist in der Onkologie enorm. Insgesamt werden durch den Fortschritt der diagnostischen Möglichkeiten viel weniger unnötige Operationen durchgeführt.

Ab Mitte 2018 wird das Rauchen für Jugendliche unter 18 Jahren in Österreich verboten. Sind Sie, als Experte der Anti-Raucher-Initiative DON’T SMOKE, der Meinung, dass man das Rauchen radikal verbieten sollte?

In Australien kommt das. Ich bin der Meinung, das wird es bei uns nicht spielen. Es sind aber zwei ganz wichtige Schritte gelungen. Einerseits werden ab 2018 die Gaststätten rauchfrei: Was das betrifft sind wir in Österreich ja noch im Mittelalter. Andererseits haben wir das mit den 18 Jahren schon vor zwei Jahren intensiv probiert und jetzt ist es endlich gelungen. Das ist immer wieder ein Thema, offensichtlich muss die Zeit gerade reif sein, damit man in dieser Richtung etwas weiterbringt. Natürlich ist das alleine zu wenig. Es geht immer wieder um Aufklärung, Vorbeugung, Information und Hilfestellung bei der Entwöhnung, aber diese gesetzlichen Vorgaben sind zumindest Eckpunkte, an denen man sich orientieren kann. Radikal das Rauchen zu verbieten, werden wir nicht durchbringen. Wenn man heutzutage die Zigarette einführen wollte, dann würde sie nicht mehr zugelassen werden, weil es eindeutig ist, dass sie gesundheitsschädlich ist.

Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil Sie selbst Mediziner sind?

Angst ist nie eine gute Leitlinie. Wenn Sie mich fragen, was ich persönlich als schwierig empfinde: Wenn Sie ein Leben lang Arzt waren und vieles gesehen haben, Sie nicht immer helfen konnten und wissen, wie viele Dinge ablaufen, sind Sie in einer deutlich schwierigeren Situation als jemand, der das alles nie gesehen und nicht gewusst hat. Arzt zu sein bringt nicht automatisch ein höheres Maß an Sicherheit.

Würden Sie sich lieber vom Operationsroboter Da Vinci oder von einem Kollegen operieren lassen?

Das kommt auf den Kollegen an! Es gibt Kollegen, da würde ich sagen, dass sie noch besser sind als der Da Vinci-Roboter. Die Betonung liegt auf noch.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Samonigg.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

zehn − neun =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Micro Mundos: Saubere Luft im Glas

Nächste Geschichte

Judentum und Buddhismus: Gelebter Dialog in Graz

Letzter Post in SOZIALES