Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen fand am 11. Juni der alljährliche „Tag der offenen Tür“ in der Grazer Synagoge in Gries statt und bot einen interessanten Blick auf die Geschichte des einzigen jüdischen Gotteshauses der Steiermark.
Ein schrilles Pfeifen ertönt, als ein älterer Herr mit grauer Hose und rotem Hemd durch den Metalldetektor steigt, der sich vor dem Eingang der Synagoge befindet. Augenblicklich wird er langsam, aber sehr bestimmt von einem Security-Mitarbeiter zur Seite gezogen und abgetastet. Diese Aufgabe übernimmt ein glatzköpfiger Mann, der ähnlich wie seine hinter ihm stehenden Kollegen, Körperbau und Gesichtsausdruck einer Person besitzt, in deren Gegenwart man lieber keine Probleme macht: „Sauber“, brummt er schließlich mit tiefer Stimme. Die muskelbepackten Männer in ihren dunklen Anzügen treten zur Seite und lassen den erleichtert lächelnden Herrn passieren.
An der Eingangstüre wird jeder Gast von Elie Rosen, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde und Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Graz, freundlich begrüßt: „Entschuldigen Sie bitte vielmals die Sicherheitsmaßnahmen, aber in Zeiten wie diesen heißt es, lieber einmal zu oft hinsehen, als einmal zu wenig“, erklärt er. Niemand unter den BesucherInnen widerspricht ihm. Rosen gibt einen Korb herum, in dem sich mehrere Kippot (traditionelle, jüdische Kopfbedeckungen) befinden: „Die Herren bitte eine Kopfbedeckung aufsetzen, der erste Vortrag beginnt in Kürze.“
Die meisten BesucherInnen bleiben nach wenigen Metern mit geöffnetem Mund stehen und drehen sich um sich selbst, um die Perfektion und Schönheit des Bauwerks zu begutachten. Im Zentrum des Raumes befindet sich die sogenannte „Bima“, eine Art erhöhtes Lesepult, von welchem aus die Tora während der Gottesdienste verlesen wird. Zusammen mit dem ihr gegenüberstehenden Toraschrein, auch „Aron ha-Qodesch“ genannt, bildet sie das Zentrum der Synagoge. Zwölf große, hellblaue Säulen laufen in 17 Metern Höhe zu einem großen Davidstern zusammen und symbolisieren die verschiedenen Stämme sowie die Einheit des „Israelitischen Volkes“.
Zudem verfügt die Grazer Synagoge über eine eigene Empore, auf der Frauen während der Gottesdienste Platz nehmen können. Das Prunkstück des Bauwerks ist jedoch ohne Zweifel die riesige, gläserne Kuppel, in welche die jeweiligen Anfangsverse der fünf Bücher Moses‘ eingelassen sind. Rosen, dem die vielen beeindruckten Gesichter nicht entgangen sind, stellt sofort klar: „Lassen Sie sich nicht vom schönen Schein trügen, wir befinden uns hier eigentlich in einer Fehlkonstruktion. Dank des Glases hat es hier im Sommer über 45 Grad. Für den Winter mussten wir eine Fußbodenheizung einbauen lassen!“
Erbaut zwischen 1890 und 1892 nach den Plänen des Wiener Architekten Maximilian Katscher sollte die Synagoge ein besonders prunkvoller Bau werden. Die Kuppel der „Alten Synagoge“ war mit einer Höhe von 30 Metern fast doppelt so groß wie die ihrer Nachfolgerin und verfügte über weitaus mehr pompöse Hallen und Bauten. Der damaligen jüdischen Gemeinde war es wichtig, nach außen hin das Bild einer wohlhabenden, selbstsicheren und emanzipierten Gemeinschaft zu vermitteln.
Ein Vorhaben, das in weiten Teilen der Bevölkerung oftmals zu Neid und Missgunst führte, was sich unter der Herrschaft des NS-Regimes schließlich am 9. November 1938 in der Reichsprogromnacht entlud. Niemand Geringeres als der Grazer Bürgermeister Julius Kaspar selbst war es, der die Synagoge in Brand setzte und anschließend ihre Sprengung befahl. Auf ihrem Fundament wurde auf den Tag genau 62 Jahre nach den Novemberprogromen die heutige Synagoge vom damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil eröffnet und an die jüdische Gemeinde übergeben.
„Ein sehr schöner Begriff für eine Synagoge ist Knesset, was übersetzt so viel wie Haus der Versammlung heißt“, erklärt der ebenfalls vortragende Grazer Oberrabbiner Schlomo Hofmeister: „Gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich fremdenfeindliche, antisemitische und rassistische Ressentiments immer stärker in unserer Gesellschaft ausbreiten, sollten wir uns auf die Grunddefinition der Synagoge zurückbesinnen. Sie ist ein Ort, an dem sowohl Juden als auch Nicht-Juden zusammenkommen können, um sich auszutauschen und um gemeinsam Lösungen für aktuelle Probleme finden zu können.“