Jusuf Aubed, Inhaber des Asia Minimarkts am Griesplatz, musste vor 22 Jahren aus dem Irak nach Österreich flüchten. Im Sommer 2017 hat er erstmals seinen Bruder Mohammed wieder getroffen. Die Geschichte einer Familienzusammenführung.
Graz, Sommer 2017. Jusuf Aubed verlässt gerade sein Haus, als das Telefon klingelt. Die Polizei ist dran, sein Bruder Mohammed stehe am Bahnhof, sagt der Beamte. Die beiden haben sie sich das letzte Mal vor 22 Jahren im Irak gesehen – bevor Jusuf Aubed zusammen mit seinem Vater nach Österreich flüchtete. „Meine Gefühle bei der Begrüßung waren gemischt“, erinnert er sich heute. „Ich wusste gar nicht genau, wie er ausschaut. Die Situation ist eine andere, wenn man mit seinen Geschwistern aufwächst.“
Alle Hände voll zu tun
Jusuf Aubed ist heute erfolgreicher Geschäftsmann. Kurz vor 18.00 Uhr ist es voll im Asia Minimarkt am Griesplatz, fast alle Tische des Restaurants sind besetzt, auch im angeschlossenen Shop, in dem man asiatische Lebensmittel kaufen kann, ist einiges los. Für ein Gespräch nimmt sich Jusuf Aubed (im Titelfoto links) dennoch Zeit, während sein Bruder Mohammed zur selben Zeit in der Küche alle Hände voll zu tun hat. „Ich war der erste, der Shop und Restaurant miteinander verbunden hat”, sagt Aubed. Momentan hat der 31-jährige viel zu tun. In Kürze eröffnet er sein erstes Restaurant, das Easy Asia, in der Albert-Schweitzer- Gasse 40, den Minimarkt hat er bereits verkauft.
Unterstützt wird er bei all dem nun von seinem Bruder. „Ich bin sehr froh, dass ein Familienmitglied hier ist. Ich weiss, ich kann ihm zu 100 Prozent vertrauen und mich immer auf ihn verlassen”, sagt Aubed. Mohammed habe flüchten müssen, weil der Islamische Staat auf ihn aufmerksam wurde, erzählt er. Das habe auch mit seiner eigenen Geschichte zu tun, erzählt Aubed. „Es hatte sich rumgesprochen, dass ich im Ausland bin und Dinge tue, welche sie als verboten ansehen.”
Versteckt zwischen Zwiebeln
Verfolgung und Trennung sind wiederkehrende Elemente in der Geschichte der Familie. Jusufs und Mohammeds Vater entschloss sich 1994, aus dem Irak zu flüchten. Das Land litt damals unter den Folgen des 2. Golfkrieges, wegen der internationalen Sanktionen waren Lebensmittel streng rationiert, und als dann noch nahe Verwandte spurlos verschwanden, traf der Vater seine Entscheidung. Jusuf Aubed war sieben Jahre alt, sein Bruder fünf, die Eltern waren bereits geschieden. Eine schwierige Situation für die ganze Familie denn Scheidungen sind im Irak gesellschaftlich nicht akzeptiert. Die Brüder lebten damals überwiegend bei der Mutter – bis zu dem Tag, an dem Jusuf Aubed von seinem Vater zu einem Ausflug abgeholt wurde. Dieser endete 3000 Kilometer entfernt. „Dass ich nicht mehr nach Hause komme, habe ich erst an der Grenze zum Iran gemerkt“, erinnert sich Aubed. Mohammed blieb bei der Mutter, die Flucht wäre für einen Fünfjährigen zu viel gewesen. Seine Mutter wusste von den Plänen des Vaters nichts. „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob es im Iran oder Griechenland war, aber irgendwann konnte ich sie anrufen“, sagt Aubed. Wie genau sie reagiert hat, weiß er heute nicht mehr.
Die Flucht verlief abenteuerlich. Zweimal scheiterten Vater und Sohn beim Versuch, das Ionische Meer Richtung Italien zu überqueren und wurden zurück nach Griechenland gebracht. „Wären wir in der Türkei erwischt worden, hätte man uns zur irakischen Grenze geschickt – die liegt allerdings im kurdischen Gebiet. Wir wären umgebracht worden“, ist Aubed überzeugt. Beim dritten Anlauf klappte es. Von Griechenland ging es per Fähre nach Italien. „Wir haben uns im Laderaum eines LKWs versteckt, zwischen lauter Zwiebeln. Wir haben uns nur von diesen ernährt — auch ein Grund warum ich sie heute nicht mehr esse”, sagte er.
Ein neues Leben
Danach, nach stundenlanger Fahrt schafften es die Insassen, durch Klopfen den unwissenden LKW-Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. „Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind. Wir haben die Polizisten gefragt, die uns abgeholt haben. Sie sagten uns, dass wir in Österreich sind.“ Da Jusuf Aubed noch minderjährig war, ging es nach kurzem Aufenthalt bei der Polizei in ein Quartier der Kirche und von dort nach Fürstenfeld. Dort fingen Vater und Sohn ein neues Leben in Österreich an.
Anderen zu helfen, die heute in derselben Situation sind, ist für den erfolgreichen Geschäftsmann selbstverständlich. Als sich im Sommer 2015 hunderttausende Menschen, vor allem aus Syrien, auf den Weg nach Europa machten, fuhr Aubed nach Ungarn und Wien, um vor Ort zu helfen. Auch in Graz half er als Dolmetscher aus. „In Ungarn habe ich einfach mit den Leuten geredet, das hilft oft schon viel,“ sagt er. Heute hätten es Flüchtlinge aus arabischen Ländern leichter, glaubt er, einfach weil sie zahlreicher seien. „Ich denke, die vielen Iraker und Syrer können so schnell eine Gemeinschaft bilden.” Allein 2017 suchten 1202 Iraker und 6522 Syrer in Österreich um Asyl an [Statistiken BM.I]. Bis zum Oktober 2017 wurden 33 Prozent der irakischen und 92 Prozent der syrischen Asylanträgen stattgegeben. “Allerdings kann das auch ein Nachteil für das rasche Erlernen der Sprache sein“, so Aubed.
“Ich wollte nicht mehr fliehen”
Als Jusuf Aubed mit seinem Vater vor mehr als 20 Jahren in Fürstenfeld ankam, lebten dort sonst nur wenige Ausländer. „Das Einleben war sehr schwer,“ sagt Aubed. Deutsch konnte er noch nicht und Markenkleidung konnte er sich nicht leisten, so war er in der Schule schnell der Außenseiter, über den die anderen lachten. Ausgedrückt habe er sich mit seinen Fäusten, sagt er. Das habe ihm Respekt eingebracht. Am Ende auch Freundschaft, als er begann, die Schüler seiner Klasse gegen die Älteren zu verteidigen. Während er es schaffte, sich einzuleben, scheiterte sein Vater. Ohne Anschluss, ohne Job, entschied er sich, sein Glück in Deutschland zu versuchen. Aubed: „Ich sagte meinem Vater, dass ich nicht mehr fliehen möchte. Wir waren schon in so vielen Ländern gewesen. Überall hatte ich Freunde gefunden, auch in Fürstenfeld!“
Als er eines Tages nach Hause kam, Jusuf Aubed war 13 Jahre alt, war der Vater weg. Mehr als einen Monat lebte er allein in der Wohnung, bevor es seinen Betreuern auffiel. Er wurde in die kleine steirische Gemeinde Söchau gebracht, bei einer Einrichtung für Kinder untergebracht und blieb dort bis zu seinem Schulabschluss. „Dort hatte ich mein eigenes Zimmer, war einer der Ältesten und habe schnell Anschluss gefunden”, erzählte Aubed. 2004 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. Danach zog er nach Graz und eröffnete im Oktober 2010 sein Geschäft am Griesplatz.
Ein großes Glück
Dass auch Mohammed in Österreich bleiben darf, ist inzwischen sicher. Er ist Asylberechtigter nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Damit besitzt er grundsätzlich ein unbefristetes Bleiberecht, sein Konventionspass ist zunächst für fünf Jahre ausgestellt. Arbeiten kann Mohammed im Laden seines Bruders. Nachdem Mohammeds Asylantrag stattgegeben wurde, konnte dieser beim Roten Kreuz eine Familienzusammenführung beantragen, und so seine Frau und seine beiden Kinder legal und auf sicherem Weg aus dem Irak nach Graz holen. „Dass das bei uns geklappt hat, ist ein großes Glück!“, sagt Aubed.
Die Mutter der Brüder lebt weiterhin im Irak. Kontakt zu ihr habe er, trotz mehrmaliger Versuche, nur wenig. „Wenn ich meine Mutter anrufe, erzählt sie immer nur über die alten Zeiten – doch an die habe ich nicht so gute Erinnerungen.” Seit sein Bruder in Österreich ist, ist auch der Kontakt zum Vater abgebrochen. „Mein Bruder war immer mehr auf der Seite meiner Mutter und ich auf der meines Vaters. Als dieser hörte, dass Mohammed kommt, brach der Kontakt ab. Ich habe keine Telefonnummer mehr von ihm“, sagt Aubed. Auch der Kontakt zu anderen Verwandten ist selten. „Ich liebe meine Verwandten, doch waren wir durch die Scheidung damals nirgends willkommen“, so Aubed.
Wiederaufbau als Ziel
Der Lebensmittelpunkt der Brüder ist nun Österreich, doch interessiert sich Jusuf Aubed auch sehr für die aktuellen Entwicklungen im Irak. „Ich verfolge die Politik intensiv“, sagt er. Vor den Kriegen hatte seine Familie zwei Geschäfte und ein Haus in Bagdad, alle wurden zerstört. „Es war immer mein Ziel, das auch hier zu schaffen. Und ich bin auf einem guten Weg“, sagt Aubed. Aber auch an dem Wiederaufbau seiner Heimat ist er sehr interessiert. „Mein Ziel ist es, wenn alles ruhig bleibt, in zwei bis drei Jahren mit dem Wissen, welches ich hier gesammelt habe, meine Heimat beim Wiederaufbau zu unterstützen.”