Kriminelle Ausländer, der Volksgarten als Drogenumschlagplatz, Randale und Gewalt – so lauten viele Vorurteile gegenüber dem vierten Grazer Stadtbezirk. Auch die Medien transportieren oftmals dieses Bild. Doch, nicht allen Meldungen ist blind zu vertrauen. Ein Rechercheprotokoll.
Von: Melanie Grundner und Julian Bernögger
Mittwoch, 14.03.2018, Café Eggenberg
Bei Kaffee und Frühstück besprechen die Redakteure des Politik- und Wirtschaftsressorts die wichtigsten Nachrichten der letzten Woche. Schnell wird dabei ein Artikel der “Woche” mit der Überschrift “Volksgarten macht weiter Probleme” (siehe Titelbild) zum Diskussionsthema. In wenigen Zeilen wird hier der Bezirksvorsteher von Lend, Wolfgang Krainer (ÖVP), zitiert: Die “Probleme des Volksgartens” würden sich “ausweiten”, erklärt Krainer der “Woche”. Und er erzählt von Autodiscos, die angeblich “regelmäßig” um zwei Uhr Nachts in der Volksgartenstraße stattfinden. “Bei lauter Musik wird gefeiert, gegrölt und sogar Autos zerstört.“
“Bei lauter Musik wird gefeiert, gegrölt und sogar Autos zerstört.“
Nach einigen Minuten Internetrecherche fällt jedoch auf, dass kein weiteres Medium von den Vorfällen berichtet. Selbst das Archiv der Austria Presse Agentur (APA) liefert zu den Suchbegriffen “Autodiscos Graz” im Zeitraum der letzten zehn Jahre lediglich einen Treffer: den Artikel der “Woche” (Zuletzt eingesehen am 26.03. 16:19). Auch die Polizei-Pressemeldungen der vergangenen Wochen geben keinen Hinweis auf das Thema. Ungewöhnlich, denn Autodiscos mitten in Graz sollten doch zumindest eine kleine Chronik-Meldung wert sein.
Der Wahrheit auf der Spur
Doch woher hat Wolfgang Krainer die Informationen? War er direkt vor Ort und hat die Autodiscos selbst gesehen? Die Redaktion beschließt, ihn zu kontaktieren. In einem lockeren Telefongespräch bestätigt Krainer gegenüber der Annenpost, dass es in der Volksgartenstraße zu Vorfällen kommt – diese sollen sich laut Krainer im Umkreis der Volksgartenstraße 6 abspielen. Auf die Frage nach seiner Quelle, nennt er eine ehemalige Anrainerin und vermittelt der Redaktion den Kontakt. Leider konnte die Annenpost die Anrainerin nicht kontaktieren, da diese sich derzeit im Urlaub befindet. Eine Stellungnahme wird gegebenenfalls nächste Woche nachgetragen.
Donnerstag, 15.03.2018, FH JOANNEUM
Laut dem Artikel der “Woche” befindet sich Krainer bereits im Gespräch mit der Exekutive. Um eine Bestätigung einzuholen, spricht die Annenpost per Telefon mit Chefinspektor Werner Schenk, der seit 10 Jahren die Polizeistation Graz Lend leitet. Dieser stellt jedoch schnell klar, dass ihm kein Fall von Autodiscos oder Sachbeschädigung an PKWs bekannt ist – auch mit welchem seiner Kollegen der Bezirksvorsteher im Gespräch sein könnte, ist ihm unbekannt. “Das Ganze klingt schon ziemlich dubios”, wundert sich Schenk. Nach wenigen Minuten beschließt der Chefinspektor, das Thema intern abzuklären – und innerhalb der nächsten Woche eine Streife zur besagten Uhrzeit in die Volksgartenstraße zu schicken.
Samstag, 24.03.2018, Volksgartenstraße
Um sich selbst ein Bild von der Szenerie zu verschaffen, begibt sich die Annenpost auf einen nächtlichen Lokalaugenschein in die Volksgartenstraße. Es ist bald zwei Uhr und sehr kalt – die Straße ist beinahe menschenleer. Nur ein paar Fußgänger sind unterwegs und verhalten sich ruhig, vereinzelt kommen Autos oder Taxis vorbei. Die Redakteurin spaziert bis zum Volksgarten und zurück zur Kreuzung Annenstraße, abgesehen vom Rauschen des Verkehrs ist nichts zu hören – von lauten Autodiscos weit und breit keine Spur.
Wo geht es hier in die Autodisco? – Video: Melanie Grundner
Stellungnahmen – Die Wahrheit kommt ans Licht?
Montag, 26.03.2018, Redakteurin zu Hause
Werner Schenk meldet sich mit Ergebnissen bei der Annenpost. Er bestätigt die Vermutung der Redaktion, dass es gar keine Autodiscos gibt. “Laut meiner Nachforschung ist keinem meiner Kollegen bekannt, mit wem Wolfgang Krainer im Gespräch gewesen sein könnte.”, sagt Schenk. “Wir haben außerdem, wie besprochen, verstärkte Bestreifungen ab dem 15.03. bis zum 22.03. zu den relevanten Zeiten in der Volksgartenstraße durchgeführt. In einem Zeitraum von Mitternacht bis 4 Uhr gab es zudem noch Stichprobenfahrten – der Streife ist in diesem Zeitraum nichts aufgefallen.”
Auch laut Wolfgang Lackner, Leiter des Landeskriminalamts, weiten sich die Probleme im Volksgarten nicht aus. Bei einer Pressekonferenz zur Kriminalstatistik 2017 sagt er der Annenpost, dass die Lage im Volksgarten sich gebessert habe, keinesfalls verschlechtert.
Donnerstag, 29.03.2018, Redakteur zu Hause
Nach den Gesprächen mit der Polizei, meldet sich die Annnenpost erneut bei Bezirksvorsteher Krainer. Was denn nun an den Autodiscos dran sei, will der Redakteur wissen, da die Polizei bei ihren Streifen keine solchen Vorfälle wahrgenommen hat. Daraufhin gibt Krainer an, dass diese im Sommer, beziehungsweise an lauen Abenden stattfänden, weshalb es wenig bringen würde, bei -10 Grad Streife zu fahren. Die Annenpost fragt, warum der Artikel über die Autodiscos dann Anfang März, also im Winter erschienen ist, wenn es diese angeblich nur bei warmen Temperaturen gibt. Bei der Geschichte gehe es darum zu zeigen, dass es auch in der Gegend rund um den Volksgarten problematisch zugeht, antwortet Krainer. Auf die Frage, ob es nun zerstörte Autos gibt oder nicht gibt Krainer an, dass seiner Quelle zwei Mal der Autospiegel heruntergerissen worden sei. Auch mit einem anderen Anwohner sei er in Kontakt, dieser wolle jedoch anonym bleiben: “Diese Leute wollen nicht mit ihrer Person an die Öffentlichkeit gehen”, sagt Krainer. Dass der Bezirksvorsteher Anliegen der Anwohner weiterleitet, wenn diese anonym bleiben wollen, scheint durchaus logisch. Ob er selber gesehen hat, dass dort abends was los ist: “Selber nicht, nein, aber ich werde es mir anschauen.”
“Selber nicht, nein, aber ich werde es mir anschauen.”
Der Redakteur vereinbart, sich nach Ostern mit Krainer zu verabreden, um abends gemeinsam einen Spaziergang durch die Gegend zu machen. Ob die Autodiscos und die Ausbreitung der Probleme rund um den Volksgarten nun Realität sind, wird sich möglicherweise dabei zeigen.
Fortsetzung folgt…
* Titelbild: Ausschnitt der „Woche Graz“ Nr. 10 vom 07.03.2018 Seite 29