Ein Stück Stoff am Kopf?

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Die Debatte um das von der Regierung geplante Kopftuchverbot für Kindergärten und Volksschulen heizt derzeit die Gemüter an. Was denkt man in den Volksschulen darüber? Ein Lokalaugenschein im Annenviertel.

Als ich mich dazu entschließe, das Thema Kopftuchverbot aufzugreifen, ahne ich schon, dass ich mich in eine Diskussion begebe, in der es kein Schwarz oder Weiß gibt. Die Angst meiner Interviewpartner, erkannt und für die getätigten Aussagen sozusagen an den Pranger gestellt zu werden, begleitet mich durch meine Recherchen. Ich habe das Gefühl, alle haben eine Meinung dazu, aber niemand will sie öffentlich preisgeben.

Das Verbot

Zu Ostern 2018 sorgte Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit einem geplanten Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen für Aufregung. Er begründete das damit, die Mädchen vor politischem Islam schützen zu wollen und gleichzeitig die Integration zu fördern. Wie viele Kinder davon tatsächlich betroffen wären, wurde noch nicht erhoben, bis zum Sommer soll jedoch ein Gesetz vorgelegt werden. Im Parlament gehen die Meinungen darüber erwartungsgemäß auseinander. Die SPÖ befürwortet das Verbot grundsätzlich, stellt jedoch Forderungen: So soll zum Beispiel im Gegenzug  auf Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen im Bildungsbereich und beim Integrationsjahr verzichtet werden. Die NEOS warten vorerst noch ab und die Liste Pilz unterstützt das Anliegen.

Eggenberg

Ich mache mich auf den Weg zu einer Volksschule in Eggenberg, um dort nachzufragen, wo das Verbot zum Tragen käme. Schon von Anfang an wird mir klargemacht, dass ich weder die Volksschule, noch die Namen der interviewten Personen veröffentlichen darf. „Damit uns niemand auf die Zehen steigen kann“, heißt es. Eine Lehrerin, ich nenne sie Barbara Gruber, erzählt mir kurz darauf von ihrem Alltag: „Wir haben im Moment ein Mädchen mit Kopftuch, bei ungefähr 200-250 Schülern und Schülerinnen. Das Kopftuch in der Volksschule ist in letzter Zeit nicht unbedingt häufiger geworden, aber es ist in der Volksschule angekommen.“ Sie erzählt weiter, dass der Umgang mit Religion, vor allem bei den Eltern, immer wieder zu Diskussionen führe. Die meisten Eltern seien jedoch liberal, betont sie. Zum Kopftuchverbot hat Gruber einen klaren Standpunkt: „Ich bin für ein Verbot in der Volksschule und im Kindergarten. Erstens schreibt der Koran ein Kopftuch erst vor, wenn das Mädchen es frei entscheiden kann und das ist in diesem Alter wirklich klar zu hinterfragen. Und zweitens, das Haar wird ja durch das Kopftuch gewissermaßen sexualisiert, und stellt ein Mädchen in diesem Alter schon ziemlich in ein gewisses Eck. Das möchte ich einfach bei uns nicht haben.“ Letztendlich meint sie aber: „Es gibt in vielen Bereichen nicht DIE Lösung. Es ist ein großer Irrtum, dass ein Verbot oder kein Verbot die Probleme löst, es muss immer ein Aufeinander-Zugehen geben.“ Am Gang treffe ich noch eine islamische Lehrperson (das Geschlecht soll nicht veröffentlicht werden). Auch sie ist der Meinung, dass ein Kopftuch in der Volksschule nichts verloren hat, und sagt, dass „sicher 99% aller islamischen Lehrpersonen so denken.“

Für die politischen Diskussionen interessieren sich die Kinder weniger – Foto: Constanze Seidl

Lend

Als nächstes besuche ich eine Volksschule im Bezirk Lend. Gerade ist Unterrichtszeit, der Klang der eigenen Schritte ist das einzige Geräusch, das man hört. Der dortige Direktor, Hubert Steinbeck (Name geändert), ist sofort bereit, mit mir über das Kopftuchverbot zu sprechen, nachdem ich ihm erklärt habe, dass alles anonym bleiben wird. Er berichtet mir, dass derzeit zwischen 250 und 300 Schülerinnen und Schüler seine Schule besuchen und keines der Mädchen ein Kopftuch trägt. „Vor ein paar Jahren hatten wir zwei Fälle von Kopftuch tragenden Mädchen, da haben wir dann das Gespräch mit den Eltern gesucht, das gehört natürlich immer dazu”, erzählt er weiter. “Ich bin der Meinung, dass es gut ist, wenn das Verbot kommt”, sagt er, und, er würde es nach dem Vorbild Frankreichs generell auf öffentliche Gebäude, oder zumindest Schulen, ausweiten. “Somit hätte man das Thema vom Tisch. Denn, dass nicht jedes Mädchen, das ein Kopftuch trägt, zwangsläufig von ihrer Familie diskriminiert wird, ist völlig klar, aber es wird welche geben und wie soll man die sonst herausfiltern? Man kann das Kopftuch nur generell verbieten und damit schützt man die Unfreiwilligen“, meint Steinbeck und geht noch weiter: „Ich persönlich würde alle religiösen Zeichen aus der Schule verbannen. Der Unterricht wird nicht besser, wenn da ein Kreuz hängt und auch nicht schlechter, wenn man es abnimmt. Die Religion gehört hinaus aus der Schule und ein Ethikunterricht gehört eingeführt, damit alle selber entscheiden können, welche Religion am besten zu ihnen passt.“ An einer Wand des Büros entdecke ich zufällig ein hölzernes Kreuz. Auf die Frage, wie sein Lehrpersonal zur Kopftuchdebatte steht, antwortet er: “Ich habe das Gefühl, alle sind der Meinung, es gehört nicht in die Volksschule.”

Gries

Zum Abschluss begebe ich mich noch in eine Volksschule im Bezirk Gries. Am Gang laufen mir lachend mehrere Mädchen entgegen, keine von ihnen trägt ein Kopftuch. Nach einigem Zögern und einem Telefonat erklärt sich auch Thomas Friedl (Name geändert), ebenfalls Direktor, dazu bereit, mir ein Interview zu geben. Er spricht sich gegen ein Verbot aus: „Es ist ein Einmischen in Dinge, die privat sind und in die Ausübung der Religion fallen, was ein Menschenrecht ist. Die Kinder sollen selber entscheiden ob sie die Kopftücher tragen wollen oder nicht. Im Islam ist es nicht vorgeschrieben, aber es ist auch nicht verboten in diesem Alter.” Mit den Eltern wird im Normalfall nicht darüber diskutiert: “Wenn ein Kind es tragen will, ist das kein Problem. Nur falls ich das Gefühl habe, das Mädchen wird dazu gezwungen, suche ich das Gespräch mit den Eltern.“ Auch, dass das Verbot förderlich für die Integration sein wird, bezweifelt er: „Angenommen wir haben es mit einer extremeren Familie zu tun. Ich werde die Meinung der Eltern nicht dadurch beeinflussen, dass ich dem Kind verbiete, das Kopftuch zu tragen, beziehungsweise dränge ich sie sogar in eine Opferrolle, sodass sie sich noch mehr ausgestoßen fühlen.“ Er erzählt weiter, dass von ungefähr 200 Schülerinnen und Schülern in seiner Schule, zwei Mädchen ein Kopftuch tragen. Diskussionen unter dem Lehrpersonal gäbe es darüber wenig, bezüglich des Verbots teilen sich aber die Meinungen. „Ich halte es für ein Ablenkungsmanöver von wesentlichen Dingen, denn da beißen die Leute an“, meint Friedl.

Das Kopftuch gehört in den Volksschulen im Annenviertel nicht oft zur Kleidung – Foto: Constanze Seidl

Wenig gesprächsbereit

Um Meinungen von anderen Institutionen einzuholen, frage ich sowohl beim Integrationszentrum Graz, als auch beim Frauenreferat des Islamischen Kulturzentrums Graz um ein Interview an. Das Integrationszentrum verweist mich an die Pressestelle in Wien. Von dort bekomme ich ein paar Tage später eine durchaus umfangreiche E-Mail, aus der aber nicht hervorgeht, ob der Integrationsfond (Dachverband aller Integrationszentren) nun für oder gegen das Verbot ist.

Auch beim Islamischen Kulturzentrum habe ich nicht viel mehr Erfolg. Ich erhalte eine E-Mail, in der mir mitgeteilt wird, dass sie nichts dazu sagen wollen und in der gleichzeitig auf eine Stellungnahme des Islamischen Glaubensverbandes Österreich im Internet verwiesen wird. Dort steht unter anderem: „Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich spricht sich […] mit aller Entschiedenheit gegen das von der Regierung geplante Vorhaben aus, ein Kopftuchverbot für Kindergärten und Volksschulen gesetzlich zu initiieren. […] Eigentlich sollte sich das Thema eines kontinuierlichen Tragens des islamischen Kopftuchs erst ab der Religionsmündigkeit stellen. Dieses ist mit der körperlichen und geistigen Reife definiert, also jeweils ein sehr individueller Prozess. Längst hat sich innermuslimisch als Erkenntnis durchgesetzt, dass das Selbstbestimmungsrecht von Mädchen und Frauen auf jeden Fall zu beachten ist und keinerlei Zwang ausgeübt werden darf. […]“

Und jetzt?

So viele unterschiedliche Meinungen ich auch gehört habe, in einer Frage waren sich alle einig: Das Kopftuch wird politisiert, das Verbot lenkt von anderen Dingen ab und wird nicht das Problem der kritisierten fehlenden Integration lösen. Die Frage, die bleibt: Was verursacht ein Stück Stoff am Kopf eines Kindes?

 

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