Feinstaubhauptstadt Österreichs: Was läuft Verkehrt?

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Vergangene Woche lud die Sektion Mur zur Diskussionsrunde mit der Frage „Was läuft in Graz Verkehrt?!“ in den Lendpavillon in der Volksgartenstraße ein. PolitikerInnen und ExpertInnen sprachen dabei, interviewt von Journalist und Autor Norbert Mappes-Niediek, über die mobile Zukunft der Stadt Graz, Elektro-Autos und sogar Gondeln in Venedig. Hier die wichtigsten Aussagen.

Erst kürzlich wurde die heiß ersehnte „Feinstaub-Studie“ veröffentlicht. In dieser prüften Umweltbundesamt und TU Graz, inwieweit eine City-Maut oder ein autofreier Tag die Luftqualität im Großraum Graz konkret verbessern könnten (die Annenpost hat berichtet). Landesrat Anton Lang (SPÖ) und Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) präsentierten das 99-seitige Paper im Rathaus.

Es stellte sich heraus, dass beide Maßnahmen ihre Vor- und Nachteile haben, die City-Maut insgesamt jedoch effektiver wäre. Eingeführt werden sie dennoch nicht. Verwiesen wird dabei u.a. darauf, dass sich die Luftqualität in den vergangenen 15 Jahren ohnehin deutlich verbessert hätte. Zurückgeführt wird das auf bisher getroffenen Maßnahmen, etwa den Fernwärme- und ÖV-Ausbau und die Einführung des permanenten IG-L-100ers zwischen Graz-Ost und Graz-West. Diese sollen auch weiterhin forciert werden.

Kritik hagelt es vonseiten der Opposition. „Lang und Nagl wollen Graz als Feinstaubhauptstadt Österreichs einzementieren“, formuliert es die grüne Umweltsprecherin Sandra Krautwaschl in einer Aussendung. Verkehrsstadträtin Elke Kahr (KPÖ) hält indes an ihrer Forderung, einen autofreien Tag einzuführen, fest. Sie ist gegen die Innenstadt-Maut.

Bereits im Vorfeld gab es einige Aufregung, da Lang die fertige Studie zunächst in seiner Abteilung prüfen ließ. Dadurch wurde die Veröffentlichung mehrmals verschoben. Kahr ließ MedienvertreterInnen in einem Rundschreiben daraufhin wissen, dass dies ein „befremdliches Prozedere“ sei, Lang Schwarz-Blau exklusiv bediene und es „kein guter Stil“ sei, „die Ergebnisse an den zuständigen Ressorts vorbeizumanövrieren.“

Aber nicht nur die Studie heizt die städtischen Verkehrsdiskussionen an. Es sind Dauerbrenner wie überfüllte Öffis, fehlendes Geld und die Frage, warum gerade ein plötzlicher Wintereinbruch ganz Graz im Stau stehen lässt. Genügend Gründe für die Sektion Mur also, eine Diskussion mit aktiver Bürgerbeteiligung zu veranstalten.

City-Maut vs. autofreier Tag

Den Anfang machte Kurt Fallast, Professor am Institut für Straßen- und Verkehrswesen der TU Graz. Angesprochen auf die in der Studie untersuchten Maßnahmen meinte er, der autofreie Tag sei “harmlos”. Die City-Maut würde er hingegen nicht empfehlen, es gäbe zu viele „Umgangsmöglichkeiten.“ Auch Kahr, seit über einem Jahr Verkehrsstadträtin, kann der Innenstadt-Maut nichts abgewinnen, wie oben erwähnt. Dafür wünscht sie sich einen Wochentag, an dem die Autos, mit Ausnahmen u.a. für die Blaulichtorganisationen, nicht fahren dürfen.

Ebenso zeigt sich Michael Ehmann, Vorsitzender der Grazer SPÖ, gesprächsbereit, wenn es darum geht, den PKW stehen zu lassen. Er würde das Modell in einem zweijährigen Probebetrieb austesten. „Probier’ ma’s“, lautet seine Devise. Jedoch müsse dann der ÖV gleichzeitig mehr Leute aufnehmen, zu Spitzenzeiten erreiche dieser nämlich eine Steigerungsrate an Passagieren von bis zu 30 %. Auch das Zahlen, um in die Stadt einfahren zu dürfen, lehne er per se nicht ab, allerdings reiche das dann nicht nur in Graz selbst. Hier müsse man großflächiger denken und es brauche auch ein Commitment der Umlandgemeinden. Diese sollen sich bei der Finanzierung beteiligen, da sie durch die Maßnahme ebenfalls entlastet würden.

Von Restriktion bis Attraktion

TU-Professor Fallast stellte auch klar, dass der KFZ-Verkehr, im Jargon „motorisierter Individualverkehr (MIV)“ genannt, selbstredend eine Auswirkung auf die Feinstaubbelastung hätte, jedoch nicht alleine an ihr schuld sei. Vielmehr müsse man auch den Hausbrand und die Industrie mitbedenken, die emittieren, was die Autos letztlich aufwirbeln. Trotzdem seien zu viele PKW unterwegs, es brauche daher Restriktionen. Nur ÖV-Förderungen alleine wären zu “halbherzig”, so Fallast. Konkret fordert er, das Nadelöhr Herrengasse endlich zu beseitigen. Busspuren würde er priorisieren, beim Radverkehr sieht er noch viel Luft nach oben. Er könne sich „Fahrradstraßen ohne Durchgangsverkehr“ vorstellen, wie es auch in Holland der Fall ist. Eine solche sei auch bereits in Planung, sie soll von St. Peter bis zum Kaiser-Josef-Platz führen.

Kurt Fallast, Professor an der Grazer TU, sieht E-Autos derzeit eher nur als Übergangslösung – Foto: Sektion Mur

Außerdem sollte laut ihm der öffentliche Verkehr teurer werden, schließlich habe er seinen Preis. Einem Nulltarif, wie schon oft von Kahr gefordert, kann er nichts abgewinnen. Überhaupt meint er: “Mobilität insgesamt ist zu billig.”

Mobilität insgesamt ist zu billig.

Kahr beklagt indes, dass ihr Amt seit Jahren budgetär ausgehungert sei. Trotz vieler guter Ideen ende ihre Kompetenz bei der Finanzierung. Dennoch sei sie „kein Kind des Jammerns“, denn an Grundlagen sei „alles da, um leistbare Mobilität und Lebensqualität zu haben.“ Dabei verweist sie auf die „Verkehrspolitische Leitlinie 2020“, die vor einigen Jahren im Gemeinderat erlassen wurde (in dieser steht Graz u.a. als Stadt der kurzen Wege festgeschrieben und auch, dass sie als Teil einer Region auf Kooperation setzt, Anm.). Im selben Atemzug kritisiert die Stadträtin aber auch die „ständigen Referentenwechsel“ in ihrem Ressort, durch die es kaum Kontinuität gäbe.

Nach wie vor will Kahr den motorisierten Individualverkehr reduzieren, gleichzeitig solle die sanfte Mobilität attraktiviert werden. Die Bereitschaft, beispielsweise auf das Rad umzusteigen, sei jedoch bereits immens hoch, vor allem im Vergleich zu anderen Städten. In Punkto Straßenbahn bekennt sie sich klar zu einem Ausbau, wie es aktuell z.B. in Reininghaus der Fall sei. Außerdem bräuchte es weitere Garnituren, da man mit den derzeitigen Kapazitäten schon an die Grenzen stoße. Generell würde die Bim gut angenommen, wenn die Qualität passe, so Kahr weiter.

Des Weiteren verkündete sie auch, dass E-Autos künftig nicht mehr von der Parkgebühr ausgenommen werden sollen, zu groß seien die Platzprobleme mittlerweile. Auf Nachfrage schließt sie auch eine Verteuerung des Parkens, wie von Fallast gefordert, grundsätzlich nicht aus, sie möchte derzeit aber andere Prioritäten setzen.

Auch Ehmann spricht den fehlenden Platz in der Stadt an. Die Verkehrsflächen seien nicht vermehrbar, es brauche daher eine Verteilungsgerechtigkeit. Wie auch seine Vorredner betont er, der Ausbau des ÖV sei die oberste Priorität. Dabei liegen ihm ebenfalls die Anbindung an die „Smart City“ sowie die Entflechtung der Herrengasse am Herzen. So wäre eine „Taktverdichtung besser möglich.“

Tu Gutes und red’ auch darüber.

Kurz spricht er auch die berüchtigte Idee der Murgondel von Bgm. Nagl an. Erst vor kurzem hat Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) seine „volle Unterstützung“ für diese zugesichert, es sei ein interessantes Projekt, das er „namhaft“ mitfinanzieren möchte, wie der ORF Steiermark berichtete. Ehmann kommentierte das Vorhaben trocken: „Venedig ist weiter im Süden.“ Auch Kahr sprach sich dagegen aus.

Letztendlich sieht TU-Professor Fallast auch Potential bei der Bewusstseinsbildung. Ganz nach dem Motto „Tu Gutes und red‘ auch darüber“ müsse man die Leute besser über die vorhandenen ÖV-Angebote informieren, denn „wann das Auto fährt, weiß man“. Nur so könne der Umstieg vom PKW auf Bim und Bus gelingen. Ehmann betont weiter, dass sich alle bei den Zielen einig seien, jedoch beim Tempo der Umsetzung noch Dissens herrsche. Letztlich müsse der Verkehr ideologiefrei gesehen werden.

Aufgeheizte Beteiligung

Abschließend kamen die ZuhörerInnen zu Wort, unter denen sich auch Gemeinderätin Tamara Ussner (Grüne) befand. Sie meinte, Lang und Nagl hätten falsche Fakten präsentiert. Laut dem Bürgermeister mache der Autoverkehr bei Feinstaub mittlerweile nur noch 4 % aus (dies verkündete er auch bei Instagram). Das entspreche jedoch nicht der Wahrheit, so Ussner. Vielmehr müsse man von an die 50 % ausgehen.

Viele nahmen teil, um ihre eigenen Erfahrung zu schildern und endlich positive Antworten der Politik zu bekommen – Foto: Sektion Mur

Ein Gewerkschafter aus dem Publikum klagte darüber, dass weder City-Maut noch autofreier Tag wirtschaftlich wären, sie brächten eine Einkommensreduktion.

Auch merkte eine andere Zuhörerin an, dass die Ein- und Auspendler das Problem seien. Kahr wusste dies damit zu kommentieren, dass vor allem auch das Umland ein gutes ÖV-Netz brauche. So könne man die Anzahl der PendlerInnen schon im Vorfeld reduzieren.

Ebenfalls zog das Publikum Vergleiche mit anderen Ländern wie der Schweiz und den Niederlanden. Zwar zeigte sich die Verkehrsstadträtin darüber erfreut, letztlich müsse man aber die Dinge in der eigenen Stadt hinterfragen, meinte sie. Natürlich müssen die einzelnen Maßnahmen auch finanziert werden, betonte sie weiter, da seien Bund und Land gleichermaßen gefordert. In diesem Punkt waren sich auch ihre Mitdiskutanten einig.

Anmerkungen zum Thema Straßenbahn-Ausbau nach Reininghaus kommentierte Ehmann mit den Erkenntnissen eines Arbeitsgesprächs, welches er unlängst mit Michael Ludwig (SPÖ), seit kurzem neuer Bürgermeister von Wien, hatte. In Wien gäbe es nie einen neuen Stadtteil ohne eine vorherige ÖV-Anbindung, diese sei immer das erste. Er meinte, die aktuelle Grazer Stadtpolitik setze hier nicht immer die richtigen Prioritäten. So verstehe er es beispielsweise nicht, warum die Uni Graz zwar 60.000 Studierende, jedoch keinen Anschluss an die Bim vorweisen kann. Er sehe daher neue Straßenbahnen statt bloßer neuer Teile vordergründig.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung von TU-Professor Fallast, für den Bim und Bus klar vor dem Individualverkehr à la PKW, Motorrad/Moped und LKW stehen.

Fazit

Maßnahmenvorschläge und neue Erkenntnisse gibt es reichlich, jedoch herrscht oftmals Uneinigkeit, was die Umsetzung betrifft. Regelmäßig übt die Opposition scharfe Kritik, die Stadtregierung hält an ihren Plänen fest. Dass das auch bei den GrazerInnen nicht immer gut ankommt, dürfte die hitzige Debatte wohl bestätigt haben. Kahr zeigte sich trotz allem positiv gestimmt: „In kleinen Schritten wird es gelingen, die Menschen zu mobilisieren.“

*Titelbild: Julian Bernögger

Maßnahmencheck MIV
Die „Analyse von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in Graz“ wurde im Juni 2016 vom Gemeinderat beschlossen und von Verkehrs- und Umweltlandesrat Anton Lang (SPÖ) um über 144.000 € in Auftrag gegeben. Dieser setzte eine „Stadt-Land-Arbeitsgruppe Umwelt“ ein, die zwei konkrete Maßnahmen zur Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf ihre Sinnhaftigkeit prüfen sollte. Konkret wollte man wissen, ob das „Roadpricing“ (Innenstadt-Maut) oder ein verpflichtender autofreier Tag helfen können, die regelmäßigen Grenzwertüberschreitungen von PM10/PM2,5 (Feinstaub) und NO2 (Stickstoffdioxid) ein Relikt der Vergangenheit werden zu lassen. Die Resultate wurden von Gerhard Semmelrock, Leiter der Abteilung 15 (Energie, Wohnbau und Technik) des Landes Steiermark, vorgestellt. Sie dienen als Entscheidungsgrundlage für die Politik.

Die gesamte Studie kann online abgerufen und heruntergeladen werden.

Wahl-Steirer mit HQ in NÖ, konkret Wiener Neustadt. Interessiert an allem, was mit Medien (vor allem Radio) und Englisch zu tun hat. Vermutlich werdender Workaholic. Passionierter Autofahrer mit leichter Tendenz zur Beschwerde über andere KFZ-Benützer. Auch bei den "Socials" vertreten. Motto: "Nur die Harten kommen in den Garten" (frei nach Elke Rock, Ö3).

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