Die unsichtbare Wahl

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Am 24. Juni ist es so weit: Die Türkei stimmt über einen neuen Präsidenten ab. Wahlberechtigt sind auch viele Bewohner des Annenviertels – die Suche nach einem versteckten Wahlkampf.

Direkt ins Auge springt sie im Annenviertel nicht, die türkische Politik. Es gibt keine Plakate, Sticker oder andere klare Erkennungszeichen verschiedener Gruppen. Dafür gibt es Vereine, in denen sich Menschen mit türkischem Hintergrund treffen und austauschen können. Im Falle des Demokratischen Zentrums für KurdInnen in Graz – zu finden in der Idlhofgasse – kann es dabei  auch politisch werden.

„Wahlkampfveranstaltungen machen wir keine, nein. Das ist im Ausland verboten“, sagt Emrah Alabay, Sprecher des Vereins. Im ersten Moment kommt diese Aussage überraschend, schließlich gab es vor fast jeder größeren Abstimmung in der Türkei in den letzten Jahren Streit um Wahlkampfauftritte türkischer PolitikerInnen in Europa. Vor dem diesjährigen Kampagnenstart stellte Bundeskanzler Sebastian Kurz klar, dass die schwarz-blaue Regierung keinen Wahlkampf in Österreich zulassen werde. Ein Blick in das türkische Wahlgesetz lässt auch keinen Raum für Zweifel: Artikel 94/A verbietet politische Kampagnen im Ausland.

Hochpolitisch ohne Wahlkampf

Für die KurdInnen, die in Graz die mit Abstand größte Gruppe unter den türkischen Staatsangehörigen sind, ist das kein großes Problem, schließlich können sie sich im Verein immer noch über Politik unterhalten: Der Aufenthaltsraum im Vereinsheim ist mit Wimpeln der HDP geschmückt, im Fernsehen läuft eine Kundgebung. Die HDP ist eine linksliberale Partei, die sich unter anderem für die Rechte von KurdInnen und anderen Minderheiten in der Türkei einsetzt. Laut Alabay ein guter Grund, sie zu wählen. „Wir glauben, dass das Kurdenproblem das dringendste der Türkei ist. Wenn es hier eine Lösung gibt, ist das auch für andere Bereiche positiv.“ Außerdem sei die HDP gut für die Frauen in der Türkei. Laut Parteisatzung müssen etwa alle Spitzenpositionen von einem Mann und einer Frau besetzt sein.

Die KurdInnen haben sich festgelegt – Foto: Fabian Prettner

Warum spielt das alles hier im Annenviertel überhaupt eine Rolle, weit entfernt von der Türkei? Ganz so einfach will es sich Alabay  nicht machen: „Die türkische Politik spielt immer eine Rolle für Europa, das hat man z.B. bei der Flüchtlingswelle gesehen.“ Eine demokratische, stabile Türkei sei immer von Vorteil für ihre Nachbarn. Eine klare Sprache über die politische Teilhabe der TürkInnen in Österreich spricht die Wahlbeteiligung in Österreich. Etwa 52% der Wahlberechtigten gab dieses Jahr ihre Stimme ab, Rekordbeteiligung in Österreich.

Und die Türken?

Die KurdInnen sind zwar die im Annenviertel am stärksten vertretene Gruppe mit türkischen Wurzeln, aber doch nicht die einzige. Die ethnischen TürkInnen sind im Westen von Graz allerdings ungleich schwerer zu finden, sie verhalten sich beispielsweise politisch wesentlich ruhiger als die KurdInnen, die immer wieder Demonstrationen veranstalten.
„Politik und Religion wirken bei den Türken oft zusammen“, erklärt eine Kennerin der Szene. Viele Moscheen seien aber ethnisch durchmischt und manche BesucherInnen könnten auch nicht sehr gut Deutsch. Daher würden sie ungern mit Außenstehenden über Politik reden.

Türkische Moschee im Lend – Foto: Fabian Prettner

Diese Einschätzung bestätigt sich auch bei einem Besuch vor Ort in der Mevlana Camii Moschee, einem Gebetshaus des Islamischen Jugendvereins in der Josefigasse. Der Verein ist eine Unterorganisation der Türkisch-Islamischen Union in Österreich, kurz ATIB, die unter anderem für die Nähe zur Regierungspartei AKP bekannt ist.Reden kann oder will hier tatsächlich niemand. Ein älterer Herr erklärt, dass die meisten älteren Leute hier kaum Deutsch sprechen. „Die jungen Leute kommen nicht her, die interessieren sich auch nicht für Politik.“

Es ist allerdings bekannt, dass viele in Österreich lebende Türken den derzeitigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bzw. seine Partei AKP unterstützen. Beim Verfassungsreferendum im letzten Jahr, durch das der neue Präsident auch Regierungschef wird, errang er eine klare Mehrheit.

Prognose

Die Vorzeichen vor der Parlamentswahl sind recht klar, das Wahlbündnis um die AKP wird wohl stärkste Kraft. Die sozialdemokratische CHP, gegründet vom Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, und ihre Verbündeten wollen in erster Linie eine absolute Mehrheit der AKP verhindern. Ihr Präsidentschaftskandidat ist Muharrem İnce. Die HDP, die keinem der beiden großen Blöcke angehört, hofft dagegen auf mindestens 10% der Stimmen, um überhaupt den Einzug in das Parlament zu schaffen. Gelingt das nicht, nützt das wahrscheinlich der AKP. „In den Kurdengebieten ist die AKP die zweite Kraft nach der HDP. Schaffen die die 10% nicht, dann fallen die ca. 80 Mandate der Gegend an die AKP“, erklärt Emrah Alabay.

In der Präsidentschaftswahl könnte die HDP dagegen das Zünglein an der Waage sein. Der eigene Kandidat Selahattin Demirtaş ist wohl chancenlos und muss seinen Wahlkampf zudem aus dem Gefängnis führen – er sitzt seit 2016 in U-Haft. Eine mögliche Stichwahl könnte die Partei aber mitentscheiden, meint Alabay. „In der Stichwahl könnte es darauf ankommen, wen die HDP unterstützt.“ Klarer Favorit ist in vielen Umfragen aber der Amtsinhaber Erdoğan.

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