Eva Lenger vom Team ON – “Ohne Nest” – ist für ihre Schützlinge Freundin, Mutter und Helferin zugleich. Nach 18 Jahren als Sozialarbeiterin verabschiedet sich die 59-jährige heuer in den Ruhestand.
Eva Lenger sitzt in ihrem Büro im Haus in der Rankengasse 22. Die Fotocollagen an der Wand zeigen gemeinsame Urlaube in Grado und Geburtstagsfeiern. Einige Nägel ragen nur noch nackt aus der Wand. Sie sind ein kleiner Hinweis darauf, dass eine Veränderung bevorsteht. Immer wieder kommen Menschen vorbei, fragen nach etwas, teilen ihr etwas mit. Nie stoßen sie bei ihr auf taube Ohren. Mit Sätzen wie „Hast du heute schon etwas getrunken? Es ist so heiß draußen, da musst aufpassen!“, „Wie geht’s denn unserem Ahörnchen?“ oder „Geh, hilf doch bitte kurz in der Küche“, versucht sie, sich um jeden Bewohner und jede Bewohnerin des Hauses zu kümmern.
(Fast) ein Kind der ersten Stunde
Das Projekt Team ON „Ohne Nest” wurde 1994 von Harry Krenn und Paul Schmuck gegründet und unterstützt Personen, die mit ihrem Leben nicht alleine zurecht kommen und auf der Straße landen würden. Seit 1995 ist Eva Lenger dabei: „Ich habe früher am Hauptplatz einen Gemüsestand gehabt, dort habe ich Harry Krenn kennengelernt. Ich war immer die Verruchte unter den Standlern, denn den anderen waren die Sandler immer ein Dorn im Auge. Und ich habe, wenn ich Hilfe bei irgendetwas gebraucht habe, die Sandler gefragt. Dann haben sie ein Paar Würstel gekriegt oder ähnliches. Ich habe ihnen nie Geld gegeben.“ So ist auch der Kontakt zu Harry Krenn und Paul Schmuck entstanden. Eva Lenger hat schon in ihrer Jugend bei Legio und der katholischen Jugend ehrenamtlich gearbeitet. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten im Jahr 1988 beschloss sie, ihr Geschäft zu schließen. Einige Jahre war sie bei Spar tätig und arbeitete seitdem ehrenamtlich beim Team ON mit. Als es vor 18 Jahren nicht mehr ohne eine fixe Angestellte ging, erhielt sie den Job in der Rankengasse.
Veränderungen gehören dazu
Sich als Frau gegenüber dem überwiegend männlichen Klientel zu behaupten, war von Beginn an keine Schwierigkeiten: „Die Männer haben mich von Haus aus akzeptiert. Probleme habe ich eher mit den Frauen gehabt. Besoffene Frauen sind furchtbar.“ Insgesamt wohnen zur Zeit 55 Personen im Haus, davon sind nur vier Frauen. Die BewohnerInnen bleiben in der Regel bis zu ihrem Tod im Haus in der Rankengasse. Wer einziehen darf, wenn eine Wohnung frei wird, entscheidet Eva Lenger. „Ich kenne die Leute und ich weiß, wer dazu passt. Ich schreib keine Wartelisten. Wenn einer auf die Wohnung warten kann, dann ist er nicht auf der Straße.“ Bis vor circa neun Jahren war jede Altersklasse in der Rankengasse vertreten, dann ist ihr klar geworden, dass die Jugend nicht hinein passt und eine Altersgrenze von circa 45+ eingeführt werden muss: „Die heutige Jugend gehört anders betreut. Wir haben damals relativ viele 20- bis 24-jährige Giftler hier gehabt und für diese Geschichten bin ich einfach schon zu alt. Da ist teilweise jede zweite Nacht die Polizei gekommen und dann habe ich gesagt, wenn sie sich nicht an Spielregeln halten können, müssen sie woanders untergebracht werden.“
„Dadurch, dass ich keine gelernte Sozialarbeiterin bin, sondern einfach im Haus bin, weil ich damals eben da war, bin ich am Anfang bei relativ vielen Sachen angeeckt”, sagt sie. Überlegt zu gehen, hat sie in all den Jahren aber trotzdem nie: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis mit dem Männerheim nebenan. Wenn bei uns einmal die Wellen so hoch schlagen sollten, dass ich zehn Minuten eine Pause brauche, gehe ich hinüber, tratsche ein bisschen und es passt wieder. Ich bin auch eine, die nicht nachtragend sein kann. Sonst darf man in diesem Job nicht arbeiten.“ Schlimm sei es, wenn jemand im Haus stirbt, den sie schon lange gekannt hat. „Das sind schon Sachen, über die man länger nachdenkt, aber es gehört eben einfach dazu. Und mein Glaube hilft mir auch sehr drüber.“ Durch das gute Verhältnis zu Pfarrer Hermann Glettler, der immer wieder im Haus vorbei geschaut hat, hat sie auch viele Dinge eingeführt, die früher nicht denkbar gewesen wären. Die Adventkranzsegnung oder auch die Aschermittwochsfeier gehören beispielsweise mittlerweile zum fixen Bestandteil im Jahreskreis. „Durch den Hermann haben auch viele die Scheu vor der Kirche verloren und sie haben gemerkt, dass sich wer für sie interessiert und ihnen auch hilft.“
Wohlverdienter Ruhestand
Das Wichtigste im Haus sei der Zusammenhalt der Leute, sagt Eva Lenger: „Wenn einer nicht zu seiner Zeit da ist, rennen die anderen schon, schauen wo er bleibt.” Auch sie selber ist natürlich möglichst immer für die BewohnerInnen da. „Bei mir wissen sie, sie können jederzeit kommen, sie kriegen jederzeit eine Hilfe, sie können jederzeit zum Tratschen vorbeischauen.“ Sie erzählt weiter, dass es nicht jeder Einzelne sei, der jeden Tag etwas braucht. Das sei nur ein kleiner Teil. „Es ist wie in einer Großfamilie – ab und zu ist eben einer nicht daheim.” Diese Familie jetzt zu verlassen, sehe sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Die Leute kriegen von mir eine Telefonnummer und ich werde jederzeit für sie erreichbar sein, wenn sie ein Problem haben. Und seitdem ich weiß, wer meine Nachfolge ist, tue ich mir auch viel leichter, weil ich weiß, dass er mit den Leuten umgehen kann und sie kennt.“
Als Anerkennung für ihre langjährige Arbeit als Sozialarbeiterin und ihr besonderes Engagement wurde Eva Lenger am 13. Juni 2018 von Sozialstadtrat Kurt Hohensinner und Thomas Pfeifer der Otmar-Pfeifer-Preis verliehen. In ihrem Ruhestand will Eva Lenger es aber jetzt erst einmal langsam angehen: „Ich werde einmal die ganzen Sachen ordnen, die sich in letzter Zeit angehäuft haben. Ich will mich nicht mehr von irgendetwas einengen oder mir aufzwängen lassen. Aber ich werde sicher ehrenamtlich weiterarbeiten und bei Dingen helfen, die ich aus der Ferne regeln kann.”