Den Streetworkern auf der Spur

Lesezeit: 4 Minuten

Das Jugendstreetwork betreut jährlich 300 bis 600 Jugendliche. Leiter Roland Maurer-Aldrian und sein Kollege Bruno laden zum Spaziergang ein und erzählen von ihrer Arbeit auf den Straßen und in den Parks der Stadt.

Der schwarze Rucksack, beziehungsweise gelbe Überzug bei Regenwetter, gilt als Erkennungsmerkmal der Streetworker. Üblicherweise bilden das Team immer ein Mann und eine Frau, die im Raum des Jakominiplatzes bis zum Hauptbahnhof unterwegs sind. Roland Maurer-Aldrian, Leiter des Jugendstreetwork, und seine Kollegen versuchen, Beziehungen zu Jugendlichen auf den Straßen aufzubauen. Das bedeutet, das Gespräch zu suchen, Probleme zu lösen und ihnen das Angebot vorzustellen. Hier kommt der Inhalt der Rucksäcke ins Spiel: Kondome, Schwangerschaftstests, Zahnbürsten oder kleine Snacks für die Erstversorgung. In der Anlaufstelle, die sich seit ersten Jänner 2018 in der Annenstraße befindet, besteht die Möglichkeit zu duschen, Wäsche zu waschen oder für eine Runde Tischfussball vorbeizuschauen. Wenn gewünscht, begleiten die Streetworker Jugendliche auch bei Amtswegen, stehen ihnen bei Strafverfahren bei oder besuchen sie im Extremfall im Gefängnis. „Wenn Jugendliche unsere Begleitung wollen, leisten wir immer Beistand. Wir machen alles, was in unseren Budget-Rahmen passt und nicht illegal ist.“

Das einzige Erkennungsmerkmal, die schwarz-gelben Rucksäcke – Foto: Tabea Pertl

„Wir gehen den Lebensweg der Jugendlichen“

Das erste Ziel des Spazierganges ist das YAP – Young Active People, ein Jugendzentrum der Stadt Graz. Hier treffen Roland und sein Team oft auf Jugendliche. Manchmal warten sie sogar schon auf sie. Momentan wirkt die kleine Grünfläche vor dem Gebäude eher verlassen. Zigarettenstummel und Kaugummi-Papierchen lassen aber sofort das Bild von aufsässigen Jugendlichen im Kopf aufblitzen.

Allgemein verlaufen die Arbeiten des Jugendstreetwork niederschwellig. „Niederschwelligkeit bedeutet oft, dass man von den Jugendlichen sitzen gelassen wird. Man bietet ihnen trotzdem eine dritte oder vierte Chance an und wenn es wirklich klappt, ist es wunderschön“, erzählt Streetworker Bruno. Die Mitglieder gehen absichtlich langsam und geben so Bedenkzeit. Allerdings auch nicht zu lange,  jemanden zu bedrängen, ist das Letzte, was sie möchten. Hier werden keine Regeln aufgestellt oder gar Standpauken gehalten. Es wird lediglich ein offenes Ohr angeboten. „Wir respektieren das Lebensumfeld der Jugendlichen und fühlen uns dort als Gäste“, erklärt der Leiter. Zurückgewiesen zu werden gehört für sie zum Berufsalltag. Roland nimmt es optimistisch: „Man lernt, damit umzugehen und zu akzeptieren, dass es ist nicht immer möglich ist, alles umzusetzen.“

Der Erfolg als Motivations-Boost

Auf die Frage, ob eine solche Aufgabe auf Dauer belastend ist, meint Roland nur: „Ich glaube, jeder Job ist in gewisser Weise belastend. Es dreht sich auch nicht ausschließlich nur um Probleme und wenn, dann werden sie oft gelöst“ Damit sie mit all dem nicht alleine fertig werden müssen, sind Streetworker immer zu zweit unterwegs. Vorkommnisse können so bereits während des Spaziergangs besprochen werden. Aber auch in der wöchentlichen Teamsitzung werden Probleme beredet. Im Endeffekt überwiegen jedoch die Erfolgserlebnisse, auch wenn Enttäuschungen zum Berufsalltag gehören. „Wenn man nach Jahren auf einen Klienten trifft und sieht, dass er seinen Weg gemacht, seine Ausbildung beendet hat und dass es ihm gut geht, das zählt zu den schönsten Momenten des Jobs!“ Bruno erinnert sich an ein Erfolgserlebnis mit einem Klienten: „Er hat seine Probleme dieses Mal nicht mit Gewalt gelöst, sondern einen anderen Lösungsweg gefunden“

Manchmal sind es aber auch die kleinen Dinge, die zählen wie zum Beispiel, dass alle zum geplanten Fußballturnier, mit dem das Jugendstreetwork versucht, Kontakt mit jungen Menschen herzustellen, erscheinen.

Der Volksgarten gehört zu einem der Hotspots der Streetworker. An diesem öffentlichen Raum halten sich Jugendliche gerne auf. Leider fehlt es immer mehr an diesen Plätzen, oft trifft man nur auf Absperrgitter der Stadt Graz, wie zum Beispiel hier im Volksgarten auf den abgesperrten Skateplatz. Gezeichnet von den Jahren intensiver Nutzung, sind sie nun am Ende ihres Daseins angelangt. Eine Renovierung ist nicht geplant. Auch diesem Problem möchten die Streetworker entgegenwirken. Sie wollen durch ihre Sportangebote den Mangel an öffentlichen Freizeitaktivitäten ausgleichen.

Roland Maurer-Aldrian zeigt sein Arbeitsumfeld, den Volksgarten – Foto: Maria Reiner

„Brauchst du was?“

Angekommen bei der Kreuzkirche am Rande des Volksgarten treffen wir auf vereinsamte Plätze. Das Rauschen der Regenrinne wirkt beruhigend. Bei Betrachtung des Graffitis an den Wänden der Kirche wird man beinahe melancholisch, denn hier treffen junge Menschen oft auf ihre Dealer. Auch wenn viele der Jugendlichen Migrationshintergrund haben – 75 Prozent stammen aus dem Nahen Osten – stellen sprachlichen Barrieren kaum ein Problem dar. Weder beim Dealen noch beim Austausch mit Streetworkern. 98 Prozent der Jugendlichen sprechen auf einer verständlichen Basis Deutsch. Im Extremfall hilft Anja, eine Kollegin von Roland und Bruno, aus: Sie hat Grundkenntnisse in einigen Sprachen und kann sich kurz austauschen und fragen, ob die Jugendlichen etwas brauchen. Ansonsten bleibt immer noch die Möglichkeit, den Dolmetscher der Caritas aufzusuchen. Meist liegt das Probleme eher im „nicht-Verständigen-wollen“. Roland erzählt, dass das Gesprächsangebot öfter abgelehnt wird: „Wenn wir bekannte Jugendlichen grüßen und sie drehen sich weg, wissen wir, heute lieber nicht, aber dafür vielleicht morgen wieder“

Hilfe wird grundsätzlich Jugendlichen bis zum 21 Lebensjahr angeboten. Natürlich bleiben die Streetworker  manchmal über diese Altersgrenze hinaus mit den Klienten in Kontakt, aber neue Kontakte werde nach dem Erreichen dieses Alters nicht mehr geknüpft. Roland und sein Team begleiten aber jeden gerne zu den Erwachsenen-Streetworkern und machen mögliche Klienten dort bekannt.

Nicht nur Hotspot der Dealer, sondern auch Teil der Route – Foto: Tabea Pertl

Wie werden die Plätze festgelegt?

Angekommen im Metahofpark stellt sich die Frage, warum verläuft die Route eigentlich so? Die Routen werden in Wochenplänen festgelegt. Manchmal ergibt sich spontan ein neuer Platz, dann wird der Tagesplan etwas umgeworfen. Auftrags-Besuche werden in der Regel allerdings nicht gemacht. Bei Beschwerden der Stadt Graz versuchen, die Streetworker Kontakt zu den Unruhestiftern aufzunehmen und das Problem zu lösen.

Absolute Verschwiegenheit der Streetworker

Das finale Ziel des Spazierganges ist die Anlaufstelle in der Annenstraße. Kaffeegeruch und Wärme bei nasskalten Regenwetter strömen den Spaziergängern entgegen. Der Tischfußballtisch wartet auf Spieler. Die Türen zu diesem Refugium sind Dienstag und Donnerstag von 10-12 Uhr geöffnet und Mittwoch bis Freitag von 16 bis 18 Uhr. Parallel dazu trifft man das Team auch auf den Straßen an. Wichtig ist dabei, dass jeder Arbeiter seine Tätigkeit protokolliert. Wie viele Jugendliche wurden wann und wo erreicht? Was Informationen der Klienten anbelangt, herrscht allerdings völlige Verschwiegenheit. Nur in Extremfällen – wie etwa Selbstmordgefährdung – darf über anvertraute Probleme gesprochen werden. Im Regelfall wissen Roland und sein sechsköpfiges Team aber selbst so gut wie gar nichts über die Jugendlichen. „In erster Linie geht es uns darum, für die Jugendlichen da zu sein!”

Zufluchtsort vieler Jugendlicher, die Anlaufstelle der Annenstraße – Foto: Maria Reiner

(French) Rap Enthusiastin und Fashion Victim. Am besten mit Orangenlebkuchen und einer Tasse Chai-Latte zu bestechen.

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