Im Rahmen des steirischen herbst lädt das Theater im Bahnhof zur Taxifahrt durch die Stadt. Die FahrerInnen entscheiden selbst, wo es hingeht und worüber gesprochen wird.
Von: Valentin Bayer, Marina Anna Borics, Julia Degen
Runter von der Bühne, rein ins Taxi. In der 51. Ausgabe des Kunstfestivals steirischer herbst bricht das Theater im Bahnhof die klassische Formel des Schauspielens wieder einmal auf und schickt Publikum und Ein-Personen-Ensemble in Form eines Taxifahrers auf Kurzreise. Motto: „Hier war ich noch nie“. Sechs Taxis sind gleichzeitig unterwegs, für etwa eine halbe Stunde chauffiert sie der jeweilige Protagonist durch die Grazer Innenstadt.
Start ist bei der herbst-Bar, die heuer im früheren Postgaragen Café eingerichtet ist. Tom fährt bereits Auto, seit er 14 ist. Nächtelang leitete ihn ein Nachbar durch die grazer Innenstadt.„Die Fahrstunden für den Führerschein waren für mich rausgeschmissenes Geld“, erzählt der Hauptakteur aus Taxi 6, während er über den Griesplatz fährt. Statt sich vorsichtig durch den Grazer Straßenverkehr zu bewegen, sei es damals mit dem Fahrlehrer nach Slowenien gegangen – Tschick kaufen.
Nach wenigen Metern stellt Tom sein Lieblingslied vor: “Never stops” von Lagwagon. „Achtung, jetzt wird es ein bisschen lauter!“ Punk Rock erfüllt das mobile Theater. Am Taxistand neben der Kunstuniversität kommt das Auto zum Stillstand. Aus dem Kofferraum holt sich Tom seine Gitarre und spielt eine Eigenkomposition. „Hello Julia I am your driver for the night.“ Nun wird klar, wieso sich Tom die Mühe gemacht hatte, die Namen der Mitfahrer auswendig zu lernen.
Rein ins Unbekannte
„‘Hier war ich noch nie‘ ist auf verschiedenen Ebenen zu begreifen“, sagt Gabriele Hiti, die gemeinsam mit Helmut Köpping für die Regie der Taxichoreografie verantwortlich war. Damit soll das Publikum nicht nur unbekannten Orten, sondern auch Situationen ausgesetzt werden. So fährt ein Taxi ins Bordell, ein anderes wird zur Konzertlocation.
„Die FahrerInnen bekommen die Gelegenheit, Dinge zu erzählen, die man von ihnen sonst nicht erfahren würde“, erklärt Hiti. Die Geschichten kommen von den ChauffeurInnen selbst, dabei unterstützte das TiB lediglich in der Dramaturgie. Jede Fahrt ist für sich einzigartig, nicht zuletzt durch die Einbindung des Publikums.
Ganz im Zeichen des Mottos des diesjährigen steirischen herbst – „Volksfronten“ – soll das Projekt zum Dialog anregen. „Die Fahrer empfinden sich sonst eher als Dienstleister, die still ihre Arbeit verrichten und darauf warten, angesprochen zu werden. In unserer Performance drehen wir die Rollen um.“
Der taxifahrende Musiker, der dichtende Chauffeur
Szenenwechsel, neues Taxi. Der Protagonist: Ahmet. Ruhig erzählt er, dass er bereits seit 15 Jahren in Österreich lebt. „Ich möchte euch einen Ort zeigen, an den ich jeden Tag fahre“, kündigt er an, während das Auto beim Odilien Institut einbiegt. Er bringt regelmäßig zwei Schüler mit Behinderung hierher. Seine Arbeit macht er gerne, die Bedürfnisse seiner Kunden kennt er genau. Sie sind für ihn wie Familie.
Seit seinem 14. Lebensjahr schreibt er Gedichte. Über die Musikanlage spielt er eines vor. Auf Türkisch, auf Deutsch mag das noch nicht so recht gelingen.
Am Ende der Fahrt teilt Ahmet an jeden Fahrgast ein Keks aus. „Danke, dass ihr mitgefahren seid. Danke, dass ihr zugehört habt.“