Anlässlich des Tages der Menschenrechte am 10. Dezember lud Hans-Peter Weingand zu einer schwul-lesbischen Tour ein. Und berichtete über die Verfolgung von Homosexuellen vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus.
Bis heute ist Homosexualität in 72 Ländern weltweit strafbar, in zehn davon steht darauf noch immer die Todesstrafe. Deshalb veranstaltete Hans-Peter Weingand von den Rosalila PantherInnen mit dem Stadtteilprojekt Annenviertel am Tag der Menschenrechte den Themen-Spaziergang „Homosexualität und Verfolgung im Annenviertel“. „Das ist so in Graz noch nie passiert“, ist Weingand stolz. Der 10. Dezember eigne sich für diese Aktion besonders gut. „Es sollte ganz logisch sein, dass jeder in Frieden und Eintracht leben kann“, sagt der Historiker und Kulturwissenschafter. Er möchte bewusst eine Brücke zur Vergangenheit schlagen: „Man sieht anhand der Geschichte, dass sich vieles positiv verändern kann, aber auch dass eine ganze Gesellschaft wieder zum Kippen gebracht werden kann.“ Ein Paradebeispiel dafür sei Russland. “Homosexuelle Propaganda”, sprich jegliche positive Berichterstattung über die LGBT Community, ist verboten. Auch die Pride-Paraden in Ungarn und der Türkei sind in Gefahr.
Los geht‘s
Rund 40 Personen treffen nach und nach in der Rankengasse 24 ein. Ruhige Musik spielt im Hintergrund und alle warten gespannt, bis es endlich losgeht. Nach einer kurzen Begrüßung begründen auch die Veranstalter, warum diesmal die Polizei dabei ist: Der Spaziergang ist als Kundgebung angemeldet. „Ganz einfach, weil dann für die Sicherheit gesorgt ist“, erklärt Weingand.
„Sieben- bis zehntausend Personen kamen in Konzentrationslager, nur weil sie homosexuell waren. Fast jeder Zweite überlebte es nicht.“
Der Treffpunkt ist auch schon die erste Station. Hier erzählt Weingand die Geschichte von Emmerich Gutmann. Im Sommer 1940 erwischte ihn eine Frau bei einer „unzüchtigen“ Handlung im Grazer Stadtpark und zeigte ihn an. Nach einem Prozess und zehn Monate schweren Kerkers wurde er 1941 ins KZ Flossenbürg transportiert. Dort starb er bereits am 29. September 1941. Das sei kein seltener Fall, wie Weingand berichtet. „Sieben- bis zehntausend Personen kamen in Konzentrationslager, nur weil sie homosexuell waren. Fast jeder Zweite überlebte es nicht.“ Zu Gutmanns Gedenken ist vor der Rankengasse 24, wo auch damals schon das Männerheim war, ein Stolperstein verlegt. In ganz Graz gibt es zurzeit vier solcher Gedenksteine für homosexuelle Opfer. Und 2019 sollen es noch mehr werden, sagt Weingand.
Öffentliche Treffpunkte am und um den Griesplatz
Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Stadlgasse geht es zum ehemaligen Zentralkino am Griesplatz 27, das einst ein beliebter Treff für Homosexuelle war. Vor allem Männer aus ärmeren Schichten waren in dieser Zeit auf öffentliche Treffpunkte angewiesen. Viele wohnten in Heimen oder als Untermieter und konnten deshalb keine anderen Männer mit zu sich nach Hause nehmen. Sie wurden daher auch öfter erwischt. Verhaftungen von Wohlhabenden sind kaum bekannt. Auch versteckte Orte wie öffentliche WC-Anlagen rund um den Griesplatz, Parks oder Bäder wie das Bad zur Sonne, zu dem es als nächstes geht, seien bei Schwulen sehr bekannt gewesen. “Während der NS-Zeit setzte die Polizei an diesen Orten bereits erwischte junge Homosexuelle oder Stricher vermehrt als Lockvögel ein“, erzählt Weingand. Einmal kam es zu einer Massenanklage, nachdem die Polizei auf ein sehr ausführliches Tagebuch eines Arztes gestoßen war, das mehr als hundert schwule Männer verzeichnete. Auch in den 80er Jahren seien diese Orte noch frequentiert gewesen, heute sei man kaum mehr darauf angewiesen. “Sogar die Schwulen-Bars werden immer weniger.”
Lesbisches Netzwerk
Über lesbische Frauen in dieser Zeit ist kaum etwas bekannt. Das liegt vor allem daran, dass man früher argumentierte, rechtlich gesehen seien „Zärtlichkeiten unter Frauen von Hilfestellung der Körperpflege nicht zu unterscheiden war“, weiß Weingand. Ein Fall aus dem Jahr 1947 ist dennoch überliefert. Im Mittelpunkt stand dabei Gerlinde P., die gemeinsam mit Anna J. in der Elisabethinergasse, dem letzten Stopp der Tour, wohnte. Ein Herr Feichtinger, ein Verehrer von Gerlinde P., erfuhr durch eine Wirtin, dass die beiden „Warme“ seien. Feichtinger überredete eine Verehrerin von Gerlinde P., sie anzuzeigen. Im Zuge dessen flog eine größere Gruppe lesbischer Frauen auf. Einige, darunter auch die Anzeigerin, wurden verurteilt, die meisten erreichten aber einen Freispruch, so auch Gerlinde P.
“Es soll genauso normal sein, wie Blockflöte spielen.”
Immer noch ein Tabuthema
“Es ist viel passiert und juristisch gesehen, haben Hetero- und Homosexuelle fast die gleichen Rechte. Das Hauptproblem ist die Diskriminierung in der Gesellschaft.”, erklärt Weingand am Ende des Spaziergangs. Ein Coming-Out sei immer eine große Überwindung. Bis wirklich Gleichberechtigung auch im Alltag herrsche, werde es noch lange dauern, glaubt er. Rückschläge können ebenfalls passieren. Weingands Wunsch zum Abschied: “Es soll genauso normal sein, wie Blockflöte spielen.”