Schild mit Aufschrift "Polywohnzimmer"

Das Polywohnzimmer im Spektral

Lesezeit: 3 Minuten

Einmal im Monat treffen sich beim Polywohnzimmer im Spektral polyamor lebende Personen. Die Teilnehmer Bernhard, Eva und Robert erzählen, was Polyamorie für ihr Leben bedeutet.

An je einem Sonntag im Monat stehen mehr Paar Schuhe als sonst auf den Stufen des Spektrals im Lend, denn das Polywohnzimmer hat seine Türen geöffnet. In Socken sitzen die Teilnehmer auf den abgewetzten Sofas und Couchsesseln, während sie an mitgebrachtem Essen knabbern. Ob jemand zum zwanzigsten oder ersten Mal dabei ist, macht hier keinen Unterschied. Jeder Gast wird umarmt und mit dem Vornamen begrüßt – so als wäre man schon lange befreundet.

Polyamore Personen aber auch Neugierige finden im Polywohnzimmer Ansprechpersonen zu all den Themen, die in polyamoren Beziehungen wichtig sind: von Terminkoordination bei mehreren Partnern über Outing bis hin zur sexuellen Gesundheit wird alles besprochen. Im Austausch mit anderen Polys bekommt man ein Gefühl dafür, was Poly-Sein bedeutet, dass Polyamorie viel mehr als nur das Gegenteil von Monogamie ist und man Polyamorie mit einer offenen Beziehung nicht gleichsetzen kann.

Laut Definition ist Polyamorie eine Beziehungsform, die Liebesbeziehungen zu mehreren Personen gleichzeitig zulässt. Was Polyamorie für einen bedeutet, muss jede und jeder aber für sich selbst lernen. Wie unterschiedlich das sein kann, zeigen die Geschichten von drei Polywohnzimmerbesuchern, die der Annenpost von ihrer Sicht auf die Dinge erzählen:

Bernhard Reicher vor einer Wand mit Artefakten
Bernhard Reicher – Poly-Coach, Autor, Übersetzer und Magier – Foto: Katharina Lugger

Bernhard

„Ich will, dass die Leute wissen, dass es nicht falsch ist, so zu empfinden“, erklärt Bernhard Reicher. Das sei auch der Grund, warum er immer wieder Interviews zum Thema Polyamorie gäbe. Oft seien die Menschen sehr erleichtert, endlich einen Begriff für ihr Empfinden gefunden zu haben, meint das Urgestein der Grazer Polyszene. Er selbst sei lange Zeit in einer solchen Situation gewesen. Vor 21 Jahren führte er seine erste polyamore Beziehung, der Begriff Polyamorie jedoch war ihm damals noch fremd. „Ich hab mir immer gedacht, außer mir gibt es niemanden, der so empfindet.“

Heute ist Bernhard unter anderem Poly-Coach. Er hält also Kurse zu verschiedenen Themen wie Eifersucht in polyamoren Beziehungen ab –für Polys, Interessierte, aber auch “Monos”. Doch nicht nur das. „Ich habe drei berufliche Standbeine – Polyamorie, Fantastik und Magie“, erzählt er. Im Genre Fantastik, das von Märchen bis Sci-Fi alles Fiktionale umfasst, ist Bernhard als Autor und Übersetzer unterwegs.

Seine spirituelle Seite lebt er als Magier aus – er führt auch seine eigene Online-Magieschule und leitet regelmäßig Rituale. Dazu gehören zum Beispiel die Lebensweihe, eine Art Willkommensfeier für Neugeborene, oder das Handfasting, eine Zeremonie, die eine Vertiefung der Bindung zweier Partner feiert. Die Magie liege in seinen Genen: „Ich wurde in eine sehr magische Familientradition hineingeboren.“

Eva

Vor zwei Jahren hat sie das Polywohzimmer als Ergänzung zum Polytisch ins Leben gerufen. Der Polytisch findet einmal im Monat im Harrach statt und kann als Stammtisch speziell für Polys beschrieben werden. „Ich hab einfach gesagt, dass es bald eine neue Veranstaltung geben wird“, erinnert sie sich lachend, „Der Polytisch war vielen zu groß. An manchen Tagen sind da insgesamt 100 Leute dabei.“

Trotz ihres großen Engagements in der Community will Eva unerkannt bleiben – wegen ihres Berufes und aus Selbstschutz. „Jemandem zu sagen, dass man polyamor lebt, kommt einem Outing gleich“, erklärt sie. Außenstehende interpretieren den polyamoren Lebensstil sehr häufig falsch. Sehr schnell kämen da Fragen zur Anzahl der Sexualpartner oder Aussagen wie: „Dann können wir ja auch miteinander schlafen.“ Das passiere vor allem Frauen. „Denn wenn eine Frau nicht besetzt ist, dann soll sie „verfügbar“ sein und zwar für jeden.“

Robert Stadler beim Schreiben
Robert Stadler lässt sich von Begriffen nicht einschränken – Foto: Katharina Lugger

Robert

Robert Stadler vermeidet es im Allgemeinen, den Dingen einen Namen zu geben. Denn Begriffe würden kategorisieren und Grenzen vorgeben, die so für ihn oft nicht stimmig wären. So bezeichnet er sich selbst zwar als Selbstständigen in den Bereichen Bewusstseins- und Körperarbeit, Hypnose und Meditation, ist aber auch als Fotograf tätig und hält Seminare im iks, dem Institut für Körper und Seele, ab. Das iks befindet sich in Graz und wird von Dr. Bernd Kerschbaumer geleitet. Dort werden unter anderem Workshops – vor allem zum Thema Sexualität – veranstaltet.

Robert bezeichnet sich aus dem oben genannten Grund auch nicht als polyamor.
“Das Wort ist zu groß. Was man damit verbindet, ist allerdings zu starr.” Er möchte seine Beziehungen in keinerlei Konstrukte zwängen, Polyamorie ist für ihn mehr Lebensphilosophie als Interaktion mit anderen.

Er beschäftigt sich schon länger mit der Szene und findet, dass sich die Haltung der Menschen in Graz positiv entwickelt habe. “Das Polywohnzimmer und der Polytisch helfen dabei, den Menschen die Polyamorie näher zu bringen und sie zu verstehen.”

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