Vier hochmoderne Holzgebäude, eine Wohngemeinschaft benannt nach dem Erzengel Rafael auf dem Gelände der Pfarrgemeinde Schutzengel in Graz-Eggenberg. Das Haus Rafael bietet für Menschen ab 50 Jahren, deren Kinder bereits ausgezogen sind, die Möglichkeit, autonom, aber in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten zu wohnen, in der die BewohnerInnen sich bei Bedarf gegenseitig unter die Arme greifen.
Von: Erik Derk, Christian Esterl
Initiiert wurde das Projekt von Werner Figo und der Diözese Graz-Seckau, Unterstützung lieferte dabei auch der Verein Solidarität im Alter. Seit Mai 2018 stehen 27 bezugsfertige Wohneinheiten zur Verfügung. Wir treffen uns mit Figo in seiner eigenen Wohnung im Haus Rafael.
Idee durch Geburtstagsfeier
Die Idee für das Projekt kam Werner Figo zusammen mit Freunden vor 15 Jahren, als einer von ihnen seinen 40. Geburtstag feierte. “Wir scherzten damals darüber, dass wir nun langsam alt werden und diskutierten, wie wir uns das vorstellen”, erzählt Figo. Die größte Sorge sei dabei das Alleinsein gewesen. In weiterer Folge sei es dann darum gegangen, eine Möglichkeit zu finden, das Projekt umzusetzen. Durch die freie Fläche auf dem Gelände der Schutzengelpfarre in der Hauseggerstraße ergab sich diese schließlich. Der Auftrag für die Gestaltung des Komplexes wurde nach zahlreichen Einreichungen an das Architekten-Ehepaar Hofrichter-Ritter vergeben. Unter anderem die Stadt Graz sowie das Land Steiermark unterstützten das Projekt durch Subventionen. “Im Großen und Ganzen verlief der Prozess von der Idee bis zur Umsetzung reibungslos”, subsumiert Figo.
Seit Mai 2018 ist das Wohnprojekt bezugsfertig. Das Haus ist mit 27 Wohnungen ausgestattet, wovon zwei für den Pfarrer und einen weiteren Seelsorger vorgesehen sind. Die restlichen 25 Wohnungen sind restlos besetzt, die Warteliste ist lang. Dabei dauerte es zunächst, bis das Projekt ankam. Die erste Werbung wurde über innerkirchliche Medien wie das Sonntagsblatt betrieben, später erschien ein größerer Bericht in der Kleinen Zeitung. Danach gab es sehr viele Anfragen, wobei vom Vorstand des Vereines mit allen BewerberInnen persönliche Gespräche geführt wurden. Um die selbst gesteckten Ziele zu verwirklichen, setzte man von Beginn an auf Mietwohnungen, um allen BewohnerInnen den Gemeinschaftsgedanken nahezubringen.
Offenheit, Solidarität, Gemeinschaft
Aufgebaut ist das Projekt auf christlichen Werten, wobei die religiösen Einstellungen der BewohnerInnen jedoch keine Rolle spielen. “Mir persönlich sind die Offenheit und Solidarität sowie ein respektvoller Umgang untereinander wichtig. So soll eine echte Gemeinschaft entstehen”, sagt Figo. Es sei keine Voraussetzung, katholischen Glaubens zu sein, viel wichtiger sei es, nach den selbst gesetzten Werten zu leben. Die Interessen seien natürlich unterschiedlich, aber einen großen Wert haben der wertschätzende Umgang miteinander und das solidarische Wesen, das diese Gemeinschaft ausmacht.
Bei der Anmeldung für eine der Wohnungen gibt jeder Bewerber seine Fähigkeiten und Stärken an. Diese im Leben erworbenen Talente werden gemeinsam besprochen und es wird niedergeschrieben, was jede und jeder Einzelne bereit ist zu geben und zu diesem Projekt beizutragen. So kann sich beispielsweise der eine um handwerkliche Arbeiten kümmern, während ein anderer die Einkäufe erledigt oder kocht. Dieses Geben und Nehmen mache die Hausgemeinschaft aus.
Laut Figo sei zudem auf die Altersstreuung zu achten, um ein solches Zusammenleben zu ermöglichen. So gibt es insgesamt drei verschiedene Altersgruppen unter den Bewohnern, die dafür sorgen sollen, dass die gegenseitige Unterstützung immer möglich ist. Wenn Wohnungen frei würden, müsse man abwägen, in welcher Altersgruppe es Nachfüllbedarf gibt.
Grundsätzlich herrscht bei der Freizeitgestaltung für die BewohnerInnen ein Laissez-Faire-System. Ziel ist es dennoch, so viel Interaktivität wie möglich zu schaffen, an der Gemeinschaft teilzunehmen. So organisieren die BewohnerInnen zum Beispiel nachmittägliche Teekränzchen, unternehmen eine Wandertour oder gehen gemeinsam ins Kino. Als wir einigen BewohnerInnen auf den Gängen begegnen wird diese These bestätigt, sie sprechen von einer tollen Gemeinschaft, die fast schon wie eine zweite Familie sei.
Gelebtes Miteinander
Nach dem Gespräch führt Werner Figo uns durch das Haus. Im Flur vor seiner Wohnungstür hält er das erste Mal inne. An den Wänden hängen zahlreiche Gemälde und Zeichnungen, allesamt von den Bewohnern selbst angefertigt. In jedem Stockwerk gibt es Begegnungszonen. Die Begegnung ist ein großes Wesensmerkmal des Projekts. „Es gilt nicht nur, zu schauen, wie es meinen Nachbarn geht, sondern wie es den Menschen im Haus geht“, erklärt Figo uns, während er uns in den Gemeinschaftsraum leitet.
Im Gemeinschaftsraum treffen sich die Bewohner regelmäßig, um sich auszutauschen und Veranstaltungen durchzuführen. Zuletzt feierte man gemeinsam Silvester, auch zu Weihnachten und im Advent kam man hier zusammen. Der Raum ist mit einer Küche und einer Bibliothek ausgestattet und bietet bis zu 30 Personen Platz. Er ist das Herzstück des Hauses, hier wird Begegnung gelebt.
Im Keller wird gerade eine gemeinsame Werkstatt eingerichtet, daneben befindet sich ein Fitnessraum. Er ist mit Trainingsgeräten aus dem Privateigentum der Bewohner ausgestattet. Dazu zählen mehrere Ergometer, ein Trampolin, oder auch eine Infrarotkabine. Ein Mitglied der Hausgemeinschaft stellt diese für alle zur Verfügung.
Multiplizierbares Pilotprojekt
Werner Figo wirft auch einen Blick in die Zukunft. Für ihn ist das Haus Rafael ein Pilotprojekt, das multiplizierbar ist. Er selbst sieht darein kein Pflegeheim, sondern viel mehr ein Zukunftsprojekt, das soweit als möglich funktioniert, wenn Menschen Begleitung oder Hilfe brauchen. Abschließend meint Figo: „Am schönsten wäre es natürlich, wenn jeder aus dieser Gemeinschaft ‚raussterben‘ darf – aber das hat man nicht in der Hand.“