Symbolbild Grazer Stadtteilzentren

“Wenn wir das überleben, überleben wir alles”

Lesezeit: 3 Minuten

Nachdem bereits im Februar Kürzungen im Budget der Stadtteilzentren angekündigt wurden, hat Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ) seinen neuen Plan präsentiert: Statt bis zu 100.000 € im Jahr gibt es nur noch 25.000 €. Diese sollen beispielsweise Mietkosten abdecken. Elisabeth Hufnagl, Leiterin des Stadtteilzentrums Triester, hat bereits mit Entlassungen gerechnet.

Gemeinsames Feste feiern, Hochbeete bepflanzen oder einfach nur beisammen sitzen und plaudern: Das sind die Grazer Stadtteilzentren. Immer mehr Menschen haben sich der Grätzelarbeit verschrieben, dabei neue Kontakte geknüpft und die ein oder andere Freundschaft geschlossen. Einige EinwohnerInnen haben so einen Großteil ihres sozialen Umfelds kennengelernt. Sie können sich vernetzen, austauschen und entspannt Zeit miteinander verbringen.

Elisabeth Hufnagl hat sich schon immer sozial engagiert: Begonnen hat sie mit Jugendarbeit in der “Insel”, einer sozialen Einrichtung für Kinder und Jugendliche. “Es war ein ständiger Kampf um Autonomie”, erinnert sich Hufnagl. Die aktuelle Situation sei fast schon ein Déjà-vu. “Wenn wir das überleben, überleben wir alles.”

Hufnagl ist nicht nur die organisatorische Leiterin der Triestersiedlung, sie ist auch die erste Ansprechperson für die Menschen vor Ort: Dem einen besorgt sie einen neuen Gehstock, dem anderen etwas zu Essen, gleichzeitig spricht sie mit JournalistInnen oder GemeinderätInnen und kümmert sich um ihre Petition.  “Am zweiten Tag gab es schon 600 Unterschriften!”. Sie alle fordern den Erhalt der Stadtteilzentren in ihrer jetzigen Form.

Elisabeth Hufnagl ist die treibende Kraft hinter der Erhaltung der Stadtteilzentren – Foto: Ricarda Martinek

Für alle was dabei

Auch Ältere oder Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, die nicht mehr mobil sind, werden von den Kürzungen betroffen sein. In der Triestersiedlung werden bei dem Projekt “Lieber Daheim” Menschen in ihren Wohnungen besucht. Nicht nur SozialarbeiterInnen, sondern auch Freiwillige aus der Gegend leisten ihnen in deren Zuhause Gesellschaft. Außerdem gibt es Treffen für einsame Menschen über 50, gemeinsame Spielenachmittage oder Lerncafés für SchülerInnen, die sich Nachhilfe nicht leisten können. Zweimal die Woche findet ein offener Betrieb statt. Es können alle kommen, die Lust auf einen gemütlichen Nachmittag im Stadtteilzentrum haben. Die Leute trinken gemeinsam Kaffee, essen Kuchen und plaudern.

Demokratie von unten

Wenn es Probleme gibt, dann ist Elisabeth Hufnagl so nah dran wie sonst keiner. Ob es um eine gefährliche Kreuzung geht, eine schlecht positionierte Bushaltestelle, oder einen Mangel an Grünraum – in der Triestersiedlung wird über solche Probleme gesprochen. Grund genug für einige Mitglieder des Bezirksrates, hin und wieder vorbeizuschauen. Diese sprechen mit den Menschen über ihre Probleme und nehmen sie dann oft in die nächste Bezirksratssitzung mit.

Laut einem offenen Brief, der von einigen BezirksrätInnen der Bezirke Geidorf, Lend, Eggenberg, Jakomini und Gries unterzeichnet wurde, wünschen sie sich den Erhalt der Stadtteilzentren in ihrer jetzigen Form. “Die Stadtteilzentren Jakomini, Margarethenbad, Floßlend, Eggenlend und Triestersiedlung leisten seit Jahren zentrale und wichtige Arbeit in den Grätzeln und Stadtteilen unserer Stadt. Sie sind verlässliche Partner*innen der Bezirksdemokratie und wichtige Multiplikator*innen lokaler demokratischer Prozesse”, so die GemeinderätInnen. Eustacchio’s Entscheidung hat der Brief allerdings nicht beeinflusst.

Die Stadtteilzentren, die dem Amt für Wohnungsangelegenheiten unterstehen, waren ursprünglich ein KPÖ-Projekt. Elke Kahr, die vor Eustacchio das Wohnbauressort leitete, war in den letzten Jahren an deren Entstehung maßgeblich beteiligt. Die Kürzungen seien “ein herber Rückschritt”. Auch am neuen Plan des Vizebürgermeisters lässt sie kein gutes Haar: “Dass der Bezirksrat künftig über einzelne Projekte entscheiden soll, nimmt [den Stadtteilzentren] nicht nur die Planungssicherheit, sondern auch die Eigenständigkeit.”

Der Grüne Bezirksvorsteher von Gries, Tristan Ammerer, hat bereits bei seiner Angelobung Ende Februar bei Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) ein gutes Wort für die Stadtteilzentren eingelegt. “Die Stadtteilzentren leisten super Arbeit für wenig Geld”, so der 25-Jährige. Er versuche, die Medienpräsenz bei seiner Angelobung für den Erhalt der Stadtteilzentren zu nutzen. Warum die FPÖ das Ende der Stadtteilzentren will? “Eustacchio will das Projekt killen.”

Die Gartenzwerge sind das Erkennungsmerkmal der Triestersiedlung – Foto: Ricarda Martinek

Alles für den Koalitionsfrieden?

Laut FPÖ-Stadtrat Eustacchio soll stattdessen mehr Geld in die Community-Arbeit gesteckt werden – allerdings auf Umwegen: Die Stadtteilzentren sollen zu Nachbarschaftszentren umgewandelt werden, die eben nur mit fixen Subventionen von 25.000 Euro rechnen können. Weitere Projektgelder müssen künftig beim Bezirksrat angesucht werden. Damit soll erreicht werden, dass der Großteil der Arbeit von Ehrenamtlichen getragen wird. Schon jetzt wird ein Teil der Arbeit auf freiwilliger Basis verrichtet. “Nur ehrenamtlich ist unmöglich!”, so Hufnagl.

Mehr Geld soll dafür das Grazer Friedensbüro bekommen. Verantwortlich für die mobile Community-Arbeit in der Stadtregierung ist Bürgermeister Siegfried Nagl. Einmal im Jahr wird ein Bericht zur Menschenrechtslage in Graz veröffentlicht. In dem des Vorjahres wird in höchsten Tönen über die Stadtteilzentren geschrieben: “Unsere größte Empfehlung an die Stadt Graz ist, für alle Initiativen der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit in Graz mehr Erwartungssicherheit zu gewähren, um die Arbeit positiv zu unterstützen und voranzutreiben.” Die ÖVP stand vor einigen Monaten noch zu hundert Prozent hinter dem Projekt. Warum die ÖVP dann nichts gegen die Kürzungen sagt? Das fragen sich sowohl die GemeinderätInnen, als auch Hufnagl. Ammerer hat eine Theorie: “Das wäre schlecht für den Koalitionsfrieden!”

Eigentlich aus Wien, merkt man auch am Lieblingswort "leiwand". Tut so, als würde sie sich in Graz auskennen, verläuft sich aber mehrmals täglich. Sagt: "Ich mach nur kurz die Augen zu", und schläft dann fünf Stunden.

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