Unweit der Grazer Wiener Straße befindet sich das Areal einer ehemaligen Glasfabrik. Auf diesem stellten Behörden Anfang der 1990er Jahre Giftstoffe in Boden und Grundwasser fest. Eine Sanierung der Altlast blieb aber bis heute aus. Die Geschichte eines seit Jahrzehnten verschmutzten Grundstücks.
Während des Zweiten Weltkriegs ist Graz 57 Mal das Ziel alliierter Luftangriffe. Dabei wird auch die 1889 gegründete Glasfabrik am Reinbacherweg schwer in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Krieg ebnet der Besitzer das zerbombte Gelände ein, wodurch ein erstes Mal Schadstoffe verteilt werden. Danach lässt er die Fabrik neu errichten. Mit dem bei der Glasproduktion anfallenden Abfallprodukt Teer füllen die FabrikarbeiterInnen im gesamten Grazer Stadtgebiet und auch im Umfeld der Fabrik Bombenkrater. Abfälle nach dem Krieg so zu entsorgen, war nicht unüblich und daher auch gemeinhin akzeptiert. „Es hat zu dieser Zeit einfach kein Bewusstsein und keine behördlichen Vorgaben gegeben“, erklärt Werner Prutsch, Abteilungsvorstand des Grazer Umweltamtes. In den 1980er Jahren wird der Betrieb stillgelegt. Während dem Abriss der Fabrik verteilen ArbeiterInnen weitere Schadstoffe über das Areal. Auflagen zum Abriss von Gebäuden gibt es erst seit Mitte der 90er Jahre.
Bei der Verlegung eines Erdkabels nahe des brachliegenden Fabrikgeländes stößt eine Baufirma im Juli 1990 erstmals auf die längst vergessenen Abfälle. In der Sommerhitze rinnt Teer aus dem Boden. Dass die Behörden damals überhaupt vor Ort sind, ist den Beschwerden von AnrainerInnen zu verdanken. Denen ist die Schädlichkeit der entdeckten Stoffe aber kaum bewusst, vielmehr stören sie sich am Gestank. In einer benachbarten Siedlung habe es sogar ein erhöhtes Gemüsebeet gegeben, das bis knapp unter die Oberfläche mit Teer und anderen Fabrikabfällen gefüllt war, so Prutsch.
Untersuchung der Altlast
Nachfolgende Untersuchungen des Umweltamtes zeigen, dass der Boden und das Grundwasser am und um das 27.000 Quadratmeter große Areal der Glasfabrik großflächig verschmutzt sind. Sofortiges Handeln erachten die zuständigen Behörden aber nicht als notwendig, da das Grundwasser im näheren Umfeld ohnehin nicht genutzt wird. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) kaufen das ehemalige Fabrikgelände und errichten in den Jahren 1990 bis 1992 eine Waggon-Waschanlage an dessen westlichem Ende. Die oberflächlichen Verschmutzungen tragen sie ab und schütten diese am restlichen Gelände zu großen Haufen auf.
Im Jahr 2007 führt das Umweltbundesamt neue Untersuchungen durch. Bei zahlreichen Grundwasserentnahmen und Baggerschürfen stellt man nach wie vor eine massive Kontamination mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Phenol fest. Daraufhin wird eine Prioritätenklassifizierung in Auftrag gegeben, welche die Altlast im Jahr 2009 in die Prioritätenklasse 2 einstuft – mittlerer Sanierungsbedarf. Im Gutachten heißt es, man solle die seit dem Bau der Waggon-Waschanlage am Gelände gelagerten Erd- und Schutthaufen mit Kunststoffplanen bedecken und regelmäßig auf Dichtheit überprüfen. Von der Altlast gehe eine erhebliche Umweltgefährdung aus, die auf lange Sicht eine Sanierung unumgänglich mache.
Gutachten zeigt keine Wirkung
Zehn Jahre später ist die Sanierung noch immer ausständig. Bei einem Lokalaugenschein im Mai 2019 ist der typische „Brandgeruch“ von PAK an mehreren Stellen des Geländes deutlich wahrzunehmen. Es befinden sich keine Kunststoffplanen über den Anhäufungen. Auf Nachfrage erklärt Elisabeth Winkler, Sachverständige für Altlasten- und Verdachtsflächen im Amt der Steiermärkischen Landesregierung: „Die Prioritätenklassifizierung ist eben nur ein Gutachten. Ein Gutachten kann nur Empfehlungen enthalten.“ Es ist daher den GrundstückseigentümerInnen überlassen, diese Empfehlungen umzusetzen. Um vorschreiben zu können, was konkret zu tun ist, braucht es einen Bescheid der Landesregierung. Ein solcher Bescheid liegt derzeit nicht vor und ist überdies sehr schwer durchzusetzen. GrundstückseigentümerInnen haben ein Recht auf Berufung und machen in der Regel auch Gebrauch davon. Trotzdem sei die Lagerung ohne Plane so nicht gewünscht und daher ein Anlass für eine Nachschau durch die Behörde, sagt sie.
Von der Erstuntersuchung bis zur Sanierung einer Altlast vergehen in Österreich im Schnitt 13 Jahre. Die Durchsetzung der Maßnahmen auf dem Rechtsweg kann sich sehr langwierig gestalten. Besonders problematische Altlasten bearbeitet die Behörde aufgrund der begrenzten Fördermittel vorrangig. Trotzdem blickt man im Fall der ehemaligen Glasfabrik auf mittlerweile fast 30 Jahre zurück. Winkler begründet das damit, dass man hier keine Schädigung Dritter befürchten müsse. Das Grundwasser in der Umgebung werde nicht genutzt. Außerdem sei die Verschmutzung schon sehr lange im Boden. “Ob man die Altlast heute, oder erst in zehn Jahren saniert, macht keinen Unterschied”, sagt sie. Man müsse abschätzen, wie dringend eine Sanierung tatsächlich sei. Mit Stand Jänner 2019, gibt der Altlastenatlas des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus, 20 unsanierte und ungesicherte Altlasten in der Steiermark an. In ganz Österreich sind es 143. Wie lange es also noch dauern wird, bis das Gelände am Reinbacherweg saniert ist, kann man derzeit nicht sagen.