Der Luftschutzstollen unter dem Kalvarienberg rettete im Zweiten Weltkrieg tausenden Menschen das Leben. Über die Geschichte dieser Anlage und welche Zukunft sie haben könnte.
Besucht man heute den Stollen unter dem Kalvarienberg, schlägt einem kühle, feuchte Luft entgegen. Überall tropft Wasser von der Decke und sammelt sich in Lachen am Boden. Die verrosteten Überreste einstiger Türen, Latrinen und Wasserbehälter sind im dämmrigen Licht noch gut zu erkennen. Auch Absperrungen aus Metall und Halterungen für Leuchten sind noch im Originalzustand. An der Stollenwand befinden sich im Abstand mehrerer Meter Schautafeln, die den Kriegsverlauf in der Steiermark schildern. Gelesen werden sie nur selten, denn das Kriegsrelikt unter dem Kalvarienberg ist nicht öffentlich zugänglich.
Betreten kann man die Anlage derzeit nur vereinzelt im Rahmen einer privat vereinbarten Führung mit Friedrich Hager, dem Wirtschaftsrat der Pfarre Kalvarienberg. Aus persönlichem Interesse engagiert er sich seit dem Jahr 2006 für den im Besitz der Pfarre befindlichen Luftschutzstollen. Ursprünglich habe es zwei Eingänge in den Stollen gegeben, heute sei der Zugang aber nur mehr durch einen Eingang möglich, erklärt Hager. Der zweite sei zugemauert worden, da vor Jahrzehnten Jugendliche illegal in der Anlage unterwegs waren.
Der Luftdruck zerreißt einem die Lunge
Die beiden Stolleneingänge an der Ost- und Westseite des Kalvarienberges sind mit jeweils einer Splitterschutzwand ausgestattet. Diese richtete sich aber weniger gegen tatsächliche Bombensplitter, sondern vielmehr gegen den enormen Luftdruck, den eine Explosion in der Nähe des Stollens ausgelöst hätte. Tatsächlich sei dieser die wohl größte Gefahr einer Fliegerbombe, so Hager: „Der Luftdruck zerreißt einem die Lunge“. Dahinter liegt die eigentliche Luftschutzanlage. Sie besteht aus parallel gelegenen Stollen, jeweils mehrere Meter breit, die durch weitere Querstollen miteinander verbunden sind. Niedrige Metallzäune teilen sie in einzelne Sektoren auf, was im Krieg die Ordnung im Stollen aufrechterhalten und Panik vermeiden sollte. Trinkwasserbecken und Latrinen boten den Menschen während des Fliegeralarms zumindest ein Minimum an Komfort.
Kriegszeiten
Als sich im Jahr 1943 eine militärische Niederlage der deutschen Wehrmacht abzeichnete, begannen die Alliierten mit Luftangriffen auf das Gebiet der Ostmark, dem heutigen Österreich. Die Bomber kamen über die Alpen, starteten unter anderem von Malta, Nordafrika und – nach der Eröffnung einer neuen südlichen Front – auch von Italien aus. In Graz bombardierten sie vor allem die Eisenbahn- und Industrieanlagen um den Hauptbahnhof, aber auch Fabriken, strategische Ziele – eigentlich das ganze Stadtgebiet. 57 Luftangriffe machten Graz zur meist bombardierten Stadt auf dem gegenwärtigen, österreichischen Staatsgebiet.
Ein beachtlicher Teil des deutschen Nachschubs wurde per Zug durch Graz und weiter an die Ostfront oder den Balkan transportiert. Diese Nachschublinien waren für den Vormarsch der Wehrmacht lebenswichtig. Dementsprechend häufig wurden die Grazer Bahnanlagen ins Visier genommen. „Graz war militärisch hochinteressant“, so Hager.
Um die Bevölkerung vor den Bombardements zu schützen, wurden in Graz ab 1943 zahlreiche Luftschutzstollen errichtet. So auch unter dem Kalvarienberg: Von Angehörigen der Luftschutzpolizei unter Zuhilfenahme von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen errichtet, fanden rund 3000 Personen während der Luftangriffe in ihm Schutz. Durch Fliegerbomben kamen in den Kriegsjahren knapp 2000 GrazerInnen ums Leben. Dass es nicht mehr waren, ist Anlagen wie jener unter dem Kalvarienberg zu verdanken, die zusammen mehreren zehntausend Personen Schutz boten.
Zukunftsaussichten
Seit einigen Jahren verfolgt Hager den Plan, die sehr gut erhaltene Luftschutzanlage für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dazu muss der auf einer Länge von zehn Metern zugemauerte östliche Stollen geöffnet werden. Er soll als Notausgang und Querbelüftung dienen. Laut Hager habe das Vermessungsamt die Anlage bereits ausgemessen, das Gebäudemanagement der Stadt Graz helfe bei der Öffnung des zweiten Eingangs. Für Interessierte ergibt sich damit die wahrscheinlich einmalige Möglichkeit, in Graz einen nahezu unveränderten Luftschutzstollen zu besichtigen. Hager zufolge sind alle anderen ihm bekannten Anlagen entweder in Privatbesitz, herrenlos, oder wie im Fall des Grazer Schlossbergstollens weitgehend einsturzgefährdet und unzugänglich.
Trotzdem stehen der geplanten Erschließung nicht alle GrazerInnen positiv gegenüber. Hager erzählt, dass bereits Personen mit der Beschwerde an ihn herangetreten seien, dass man mit einem öffentlich zugänglichen Luftschutzstollen den Krieg verherrlichen würde. Diese Argumente sind für ihn aber nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil, die Öffnung des Stollens soll den Menschen begreifbar machen, dass in einem Krieg besonders die Zivilbevölkerung leidet. „Mir ist wichtig, vor allem jungen Leuten zu zeigen, wie schlimm das damals war“, sagt er.