Die Notschlafstellen im Annenviertel sind für Personen da, die dringend Unterschlupf suchen. Seit Beginn der Corona-Maßnahmen stehen ihre Tore täglich 24 Stunden offen. „Zuhause bleiben“ war wochenlang das Gebot ─ auch für Menschen ohne Zuhause. Wie funktionierte das in der Praxis? Was hat sich seit Beginn des Ausnahmezustandes verändert? Die LeiterInnen aus zwei sozialen Einrichtungen berichten.
Sieben Wochen lang verließen wir auf Anordnung der Regierung nur in Ausnahmefällen unsere Wohnungen. Die Ausgangssperre endete mit dem 1. Mai, ein Ende der Krise ist trotzdem nicht in Sicht. Für Personen, die kein Dach über dem Kopf haben, ist die Situation eine zusätzliche Belastung. Die MitarbeiterInnen von Notschlafstellen sind stark gefordert. Im Annenviertel bieten sowohl die Caritas als auch die Vinzenzgemeinschaft Zuflucht für Schutzsuchende. Wie haben sie die Situation bisher gemeistert? Stephan Steinwidder vom VinziNest und Carmen Brugger vom Haus FranzisCa erzählen.
Seit einem Jahr ist Stephan Steinwidder der Leiter des VinziNest in der Kernstockgasse 14. In der Notschlafstelle kümmern er und sein Team sich um männliche Migranten, die von Armut betroffen sind und keinen Platz zum Schlafen haben. „Es gibt 80 Betten. Die Männer kommen aus rund 29 Nationen. Die meisten aus der Slowakei und Rumänien. Die Jüngsten sind 18 Jahre alt, unser ältester Klient ist 86“, sagt Steinwidder.
Notschlafstellen rund um die Uhr geöffnet
Im VinziNest halten sich die Bewohner für gewöhnlich nur abends und nachts auf. „Wegen der aktuellen Situation haben wir den ganzen Tag geöffnet“, nennt Steinwidder eine der grundlegendsten Änderungen seit der Pandemie. Außerdem belegt er derzeit nur ca. 45 Betten, um genügend Platz und Abstand zu gewährleisten.
Die Stadt Graz, die Caritas und die Vinzenzgemeinschaft arbeiten eng zusammen. Auch im Fall der Corona-Pandemie erstellten sie gemeinsam ein Konzept. Zum Beispiel haben die ganzjährigen Notschlafstellen vorerst 24 Stunden geöffnet und bieten zusätzliche warme Mahlzeiten an. Laut dem städtischen Sozialressort gibt es in Graz rund 400 Plätze für Obdachlose, der Bedarf sei derzeit gedeckt.
Schach und Schutzmasken
Der Betreuungsaufwand im VinziNest ist seit dem Beginn der Pandemie stark gestiegen. Das Team informiert die Bewohner über die Krankheit und die Maßnahmen. Fremdsprachige Klienten helfen sich teilweise gegenseitig, im Notfall gibt es einen Dolmetscher. Ein freiwilliger Zivildiener und ein Team aus Ehrenamtlichen unterstützen die hauptberuflichen MitarbeiterInnen. „Die Ehrenamtlichen und unser freiwilliger Zivi sind so wichtig, auf die kommt es jetzt an! Sie gestalten den Alltag und sorgen für Abwechslung“, betont Steinwidder. Die Ehrenamtlichen kochen mit den Bewohnern, sie spielen eine Partie Schach, unterrichten Deutsch oder nähen gemeinsam Schutzmasken.
„Wir haben keine Einzelzimmer, es gibt wenig Rückzugsmöglichkeiten. Das erzeugt natürlich Stress bei den Klienten. Unsere Freiwilligen entschärfen, zum Beispiel durch Gespräche, viele Situationen“, erklärt er. Die Ehrenamtlichen betreuen das VinziNest und das VinziSchutz. In den letzten Wochen haben sich 25 zusätzliche Personen für den ehrenamtlichen Dienst gemeldet. Derzeit helfen insgesamt 75 Freiwillige in den Einrichtungen mit.
Informieren statt Bevormunden
Eine Notschlafstelle, die das ganze Jahr über 24 Stunden offen hat, gibt es im Haus FranzisCa in der Georgigasse 78. Die Einrichtung bietet für 20 volljährigen Frauen und 6 Kindern, die in sozialer oder materieller Not sind, Zuflucht. Häusliche Gewalt ist häufig ein Thema. Der Alltag hat sich auch hier seit der Krise verändert. Leiterin Carmen Brugger schildert die erste Lagebesprechung: „Wir haben überlegt, was die Maßnahmen für unsere Hausregeln heißen.“ Schnell fand das Team einen neuen Modus. „Bei der Aufnahme fragen wir die Klientinnen, ob sie aus einem Risikogebiet kommen. Ob sie körperliche Symptome haben. Außerdem messen wir ihre Temperatur“, zählt Brugger auf. „Uns ist es wichtig, dass weiterhin jede Frau jederzeit Unterstützung findet“, ergänzt sie.
Im Haus FranzisCa gibt es außerdem 2 WGs für 10 Frauen und ihre Kinder, die längerfristig bleiben können, und die mobile Wohnbetreuung für externe Familienwohnungen. Die 9 MitarbeiterInnen informieren ihre Klientinnen sorgfältig über Corona. Carmen Brugger sagt: „Wir sprechen viel und leiten Informationen weiter, aber wir bevormunden niemanden. Die Frauen akzeptieren die Maßnahmen und setzen sie sehr gut um.“ Ehrenamtliche und Zivildiener unterstützen auch hier das Team. „Dafür sind wir das ganze Jahr sehr dankbar, aber derzeit natürlich besonders“, sagt Brugger. Die Freiwilligen kaufen z.B. Lebensmittel für die Bewohnerinnen ein.
Einen größeren Ansturm auf die beiden Einrichtungen im Annenviertel gab es bisher nicht. Sie reagierten schnell und passten sich erfolgreich der Lage an. Sicher ist, dass die Auswirkungen der Krise uns noch länger begleiten. Die Notschlafstellen sind jedenfalls vorbereitet und halten ihre Tore für alle offen, die Unterstützung und Unterschlupf brauchen.
FranzisCa (Frauen), Georgigasse 78, 8020 Graz
Vinzi Schutz (ausländische Frauen), Dominikanergasse 7, 8020 Graz“
Arche 38 (Männer), Eggenbergergürtel 38, 8020 Graz
Schlupfhaus (Jugendliche), Mühlgangweg 1, 8010 Graz
Ressidorf, (männliche EU-Bürger), Herrgottwiesgasse 67, 8020 Graz
Haus Rosalie (inländische Frauen), Babenbergerstraße 61a, 8020 Graz
VinziTel (Frauen und Männer), Lilienthalgasse 20a, 8020 Graz