Die Zugangsregelungen für Gemeindewohnungen wurden während der Corona Krise für Besserverdiener ausgeweitet. Welche Auswirkungen hat das auf die Triestersiedlung?
Gemeinsam Gärtnern
„Möchten sie einen Tee haben?“ Der ältere Mann strahlt Elisabeth Hufnagl an. Neben ihm wachsen große Spinatpflanzen aus einem Hochbeet aus Paletten. “Nein danke” winkt sie ab. “Von türkischem Tee kann ich nicht schlafen!”
Der Gemeinschaftsgarten in der Triestersiedlung ist nur eines von vielen Projekten, das die BewohnerInnen zusammenbringen soll. Jeder kann ein Hochbeet beantragen, auch die Schulkinder der anliegenden Volksschule gärtnern dort im Rahmen ihres Biologieunterrichts. Elisabeth Hufnagl, das Herz des Stadtteilzentrums Triestersiedlung, ist allseits bekannt. Wenn sie ihre Runden durch die Gemeindehöfe zieht, wird sie von allen BewohnerInnen begrüßt.
Was genau ist die Triestersiedlung eigentlich? „Darüber lässt sich streiten“, lacht Hufnagl. „Ursprünglich waren das zwei historische Gemeindehöfe, die bis heute stehen. Aber das umliegende Gebiet gehört jetzt irgendwie auch dazu, deswegen sagen wir eher „Stadtteil“.“ Insgesamt setzt sich dieser aus Gemeindewohnungen, privaten Wohnungen und Genossenschaftswohnungen zusammen. Das Stadtteilzentrum ist ein Projekt, das sich die nachhaltige Entwicklung des Stadtteils auf die Fahne geschrieben hat.
Wer eine Gemeindewohnung beantragen darf
„Wenn jemand in das Stadtteilzentrum kommt und nach einer Wohnung fragt, schauen wir erst einmal, ob die Person die Grundvoraussetzungen erfüllt. Also in erster Linie ob die Person schon fünf Jahre in Graz gemeldet ist.“ Das war nicht immer so, erst 2017 wurde diese Regelung eingeführt.
Davor reichte es für die Beantragung eine Gemeindewohnung, wenn man ein Jahr gemeldet war oder einen Arbeitsplatz in Graz hatte. Nun müssen Beantragende entweder fünf Jahre durchgehend in Graz gemeldet, seit fünf Jahren in Graz berufstätig, oder über ihre bisherige Lebenszeit insgesamt 15 Jahre in Graz gemeldet gewesen sein. InhaberInnen eines Konventionspass, also Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, haben kein Recht mehr auf Gemeindewohnungen. Der Vizebürgermeister Mario Eustacchio, der als Stadtrat für das Wohnen in Graz zuständig ist, möchte damit mehr GrazerInnen Zugang zu Gemeindewohnungen ermöglichen. Elke Kahr (KPÖ), die das Amt zuvor innehatte, hält diese Maßnahmen für unschlüssig. „Ich sehe regelmäßig, dass diese Regelung vor allem ÖsterreicherInnen aus dem Umland trifft, die nach Graz ziehen möchten. AusländerInnen – außer EU-BürgerInnen – mussten vorher sowieso schon 5 Jahre in Graz gelebt haben, um einen Daueraufenthalt hier zu bekommen. Also die AusländerInnen zu bestrafen und ihnen das Ansuchen zu erschweren – und das ist ja in Wirklichkeit die tiefere Begründung dieser Richtlinie – dafür ist sie nicht geeignet. Man trifft die Konventionspassinhaber, aber die Daueraufenthaltsberechtigten trifft man damit nicht.“
Biskuitrouladen statt BMW
Früher stand in der Triestersiedlung eine Barackensiedlung. Die BewohnerInnen hatte kein fließendes Wasser oder Duschen, oft lebten Großfamilien in einem Zimmer mit Küche. Die SozialarbeiterInnen gingen ein und aus. Wenn man heute in einem der Höfe steht, zwischen spielenden Kindern, frischer Wäsche und liebevoll bepflanzten Balkonen, ist das schwer vorzustellen. Die Triestersiedlung ist auch heute keine Reichensiedlung mit prächtigen Villen. Statt einem BMW in der Garage macht den hohen Lebensstandard hier etwas ganz anderes aus: die Gemeinschaft. Man kennt sich. Junge Mütter aller Nationen treffen sich in großen Gruppen auf dem Spielplatz und Jugendliche spielen gemeinsam Fußball. Jeder kennt die alte Dame, die die beste Biskuitrouladen der Siedlung macht. Doch es ist gut möglich, dass sich diese Gemeinschaft bald anders zusammensetzt.
Hier wohnt niemand
Am 1. April diesen Jahres haben sich die Zugangsbeschränkungen noch einmal geändert. Das Punktesystem, das vorher die Einteilung der Wohnungen maßgeblich beeinflusste, wurde ausgesetzt. Das Jahreseinkommen, mit dem man noch berechtigt für die Beantragung einer Gemeindewohnung ist, wurde angehoben. 40.800 Euro dürfen nun verdient werden, vorher waren es 34.000 Euro. „Die Einkommensgrenze wurden angehoben, weil es mittlerweile einen Leerstand in Graz gibt. Und das obwohl wir in Graz nicht viele Gemeindewohnungen haben. Die Leerstände konnten nur entstehen, weil der Wohnungsstadtrat das Beantragen so massiv beschwert hat“, so Manuela Wutte, Gemeinderätin der Grünen. 2019 gab es laut den Grünen rund 100 leerstehende Gemeindewohnungen. Das ist teuer für die Stadt sowie für die BewohnerInnen der Gemeindebauten.
Eine Rechtssprechung des Europäische Gerichtshofs über sozial geförderte Wohnungen in München könnte die Lage nun ins Wanken bringen. Das Sozialreferat in München muss ihr Vergabesystem nun ändern. Menschen, die schon länger in München sind, dürfen nicht mehr bevorzugt werden. Dieses Urteil könnte auch auf Graz Auswirkungen haben.
Gemeindewohnungen für alle
Elke Kahr findet, dass die Tatsache, dass KonventionspassinhaberInnen kein Recht auf eine Gemeindewohnung haben, den Menschenrechten widerspricht. Was das Angebot an Wohnungen betrifft, ist ihrer Meinung nach genug Platz für MigrantInnen. „Nur der Platz, der zur Verfügung steht, ist weder für die MigrantInnen noch für einen großen Teil der ÖsterreicherInnen da. Das ist völlig befreit zu sehen, wo jemand herkommt. Menschen, die in schwierigen finanziellen Situationen sind, brauchen leistbaren Wohnraum. Der ist in Graz nicht vorhanden. Deswegen braucht es ein größeres Angebot an Kommunalwohnungen.“ Wer braucht Gemeindewohnungen am dringendsten? „Menschen, die es schwer haben, private Wohnungen zu finden, also Menschen in Notsituationen. Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind oder waren“, so Wutte.
Ich habe Mario Eustacchio um eine Stellungnahme gebeten. Auf meine Anfrage hin wurde ich gebeten, die Fragen schriftlich zukommen zu lassen. Diese Fragen wurden nicht beantwortet.