Fast ein Jahr lang beschäftigte sich das partizipative Projekt “Grazer Soundscapes” mit den unbekannten Geräuschkulissen und einzigartigen Klängen der Stadt. Viele Projektteilnehmer*innen hatten dabei das Gefühl, eine bekannte Stadt fast neu kennenzulernen.
Wie klingen der stille Murbogen bei Predlitz, die Innenhöfe im Triester-Viertel, die Nacht im Stadtteil Denggenhof oder die Peripherie von Graz? Den meisten Menschen würde nicht viel mehr als “laut” oder “leise” einfallen, denn der Großteil des auditiv Wahrgenommenen geht sprichwörtlich „bei einem Ohr hinein und beim Anderen wieder hinaus“. Doch so ist es nicht.
“Ich höre inzwischen viele verschiedene Klänge vom Verkehr bis hin zur Natur und zu menschengemachten Klängen, alle unterschiedlich und einzigartig. Man muss jedoch Geduld haben und lernen, sich intensiv mit der Umgebung zu befassen, dann bekommt man einen ganz anderen Zugang zum Hinhören“, sagt Martin Rumori, Musikwissenschaftler, Informatiker und Klangkünstler und Mitglied im Team der Grazer Soundscapes. Im Rahmen des Grazer Kulturjahrs 2020 beschäftigte sich das Projekt mit dem Hinhören, um vertrauten Orten neue Klänge zu entlocken.
Ein Projekt für alle Altersgruppen
Beim Soundscapen macht man sich – mit Aufnahmegerät und Kopfhörern ausgestattet – auf, um bewusst Klänge und Geräusche zu suchen, aufzunehmen und später zu einer Reihe zusammenzufügen. Die Idee, „das Leben der Stadt hörbar“ zu machen, stammt vom ehemaligen Radio Helsinki-Geschäftsführer Malik Sharif, der mit den Grazer Soundscapes ein Projekt an der Schnittstelle zwischen Musik, Kunst, Stadtkultur und Wissenschaft realisieren wollte.
„Die Grazer Soundscapes waren von Anfang an ein partizipatives Projekt. Unser Ziel war es, mit verschiedenen Altersgruppen in der Gesellschaft die Stadt akustisch neu zu erkunden. Um möglichst viele einbinden zu können, haben wir es auch technisch bewusst einfach gehalten. Die Teilnehmer*innen konnten die verschiedenen Sounds mit dem Handy oder einem Aufnahmegerät festhalten, bearbeitet und in die Sendungen eingebettet wurden sie dann vom Team“, sagt Projektleiterin Christine Braunersreuther, die auch Gemeinderätin (KPÖ) ist.
“Diese spezielle Art, sich mit Klängen zu beschäftigen, hinzuhören und gezielt Aufnahmen zu produzieren, schafft ein ganz anderes Bewusstsein”, sagt Klangkünstler Martin Rumori. “Bewusstes Hinhören schafft im Kopf musikalische Strukturen und wirkt beruhigend, auch wenn umstritten ist, dass Soundscapes oder Klang zur Musik gehören.” Man nehme die Umgebung auf einmal viel aufmerksamer wahr und höre vielleicht nicht immer das lauteste und nervigste Geräusch, wie eine Straße oder eine Baustelle, sondern auch mal einen einzigen Vogel singen, Äste knacken oder Wasser plätschern, beobachtete Rumori.
Beiträge aus den Stadtteilzentren
Über das ganze Jahr gab es durch die Zusammenarbeit der Grazer Stadtteilzentren und dem Team der Grazer Soundscapes Klangspaziergänge, Workshops zu Aufnahmetechniken und zwei verschiedene Radioformate im Programm von Radio Helsinki. Beim “Soundscape der Woche” und der zweiwöchentlichen Sendereihe “Grazer Soundscapes” wurden Soundscapes der Teilnehmer*innen, Künstler*innen präsentiert oder über ein Thema rund ums Soundscapen mit einem Experten oder einer Expertin gesprochen. Alle Beiträge kann man im Sendungs- und Podcastarchiv von Radio Helsinki nachhören.
Eines der beteiligten Stadtteilzentren bei den Grazer Soundscapes war das Stadtteilprojekt Denggenhof. Die Leiterin des Stadtteilzentrums Elisabeth Kabelis-Lechner erinnert sich an den ersten Klangspaziergang: „In Denggenhof begleiteten uns die Künstler*innen Tobias Dankl und Adele Knall. Sie waren zuständig dafür, uns in das Aufnehmen und Auseinandersetzen mit den Klängen und Geräuschen einzuführen. Als sie das erste Mal zu uns in den südlichen Gries kamen, waren die größtenteils älteren Mitglieder*innen unseres Stadtteilzentrums schon etwas skeptisch gegenüber dem Soundscapen. Gleichzeitig aber war es für viele spannend, sich auf dem ersten Klangspaziergang durch unser Viertel mit den neuen technischen Geräten auseinander zu setzen.“
Graz klingt vielseitig
Nach den ersten Erfahrungen mit dem Soundscapen waren viele der Teilnehmer*innen hoch motiviert weiter zu machen – aber dann kam der erste Lockdown dazwischen. Kabelis-Lechner motivierte die Teilnehmer*innen, alleine ins Freie zu gehen und eigenständig Soundscapes mit ihren Smartphones zu erstellen. Dabei waren einige sehr fleißig und haben alles Mögliche dokumentiert – von Schöckl-Läufen über Kaffeemaschinen, die Stille in einem Innenhof bis hin zu verschiedenen Vogelarten. Die Aufnahmen wurden dann den begleitenden Künstler*innen übergeben, die aus den Soundscapes eine Sendung von 60 Minuten gestalteten. “Ohren auf für Stadtteilarbeit Denggenhof” war aber erst der Anfang, im Stadtteilzentrum Denggenhof entstanden später noch weitere Sendungen und Soundscapes der Woche. “Die Bürger*innen waren richtig begeistert davon, sich neu mit ihrem Stadtteil auseinanderzusetzen, und bemerkten gleichzeitig fast beschämt, wie unachtsam sie bisher waren”, schmunzelt Kabelis-Lechner.
Diese Freude, sich mit der Stadt auseinander zu setzen, hat das Team rund um Braunersreuther im Laufe des Jahres öfter festgestellt. „Genau diese Partizipation von Menschen jeder Altersklasse, aus verschiedenen Stadtteilzentren und mit unterschiedlichen Herangehensweisen war uns immens wichtig“, sagt Christine Braunersreuther.
Und in einem Punkt waren sich alle Teilnehmer*innen bei einem gemeinsamen Umtrunk im Herbst – klar, unter Einhaltung der Corona-Regeln – einig: Graz hat eine wunderbare vielseitige Klanglandschaft, man muss sich nur damit befassen und bewusster bei Alltagsgeräuschen hinhören. Dann kann man “die Stadt auch wie eine gemeinsame große Symphonie” wahrnehmen, wie es Margarethe Maierhofer-Lischka im Auftaktgespräch der Grazer Soundscapes passend formulierte.
Alle Sendungen gibt auch im Archiv von Radio Helsinki zum Nachhören.
Einige verschobene Workshops werden aufgrund Verzögerung durch die Corona-Pandemie noch nach Jahresende abgehalten, ansonsten endet das Projekt mit Jahresende 2020.
[TITELBILD: Walther Moser]