Drei Mädchen im Lerncafé

Lerncafés: „Mehr als eine reine Nachmittagsbetreuung”

Lesezeit: 3 Minuten

Besonders die Leistungen von Schüler*innen aus migrantischen Familien leiden unter dem Lockdown. Eva Hödl und die Caritas-Lerncafés versuchen, mit intensiver Fernbetreuung gegenzusteuern. 

„Durchschnittlich sind die Noten der Kinder um eine Note nach unten gerutscht.” Diesen Notenabfall hat Eva Hödl, die Leiterin der steirischen Lerncafés und Lernbars der Caritas, nach den ersten zwei Lockdowns bemerkt. Mit dieser Beobachtung ist sie nicht alleine. Aus einer Onlinestudie des Instituts für Höhere Studien, für die 4000 Lehrer*innen befragt wurden, ging hervor, dass Pädagog*innen bei allen Kindern einen Leistungsabfall befürchten. Bei drei Viertel der Schüler*innen, insbesondere aus benachteiligten Schichten, würde sich, so die Sorge, das Kompetenzniveau verschlechtern. Wenn die Lehrer*innen die Gesamtheit der Schüler*innen betrachten, egal welchen Hintergrund sie haben, sind es nur die Hälfte bei der ein Leistungsabfall vermutet wird. Bei zwei Drittel der benachteiligten Kinder hätten die Pädagog*innen sogar Angst, dass sie den Jahresstoff im Homeschooling nicht bewältigen könnten.

Für Hödl und die Lerncafés, die es seit 2007 gibt, bringt diese Situation jede Menge Herausforderungen mit sich. 56 Lerncafés gibt es in ganz Österreich, vier davon alleine im Annenviertel. Die Lerncafés fördern Kinder aus bildungsschwachen Gruppen und vor allem solche mit migrantischem Hintergrund. Dort bekommen sie kostenlose Nachhilfe und Tagesheimbetreuung. Dass dies in Zeiten von Social Distancing und Lockdowns nicht so einfach gelingt, liegt auf der Hand. Die vorübergehende Umwandlung der Lerncafés in Ferncafés, die bereits im März vergangenen Jahres auf Schiene gebracht wurde, sollte da Abhilfe schaffen.

Das Konzept der Ferncafés

Um kontinuierliche Betreuung zu garantieren, erkundigten sich die Betreuer*innen zunächst nach der technischen Ausstattung der Kinder. Dazu standen eine Reihe von Lerngesprächen – via Telefon, WhatsApp oder Videocall – am Programm, die individuell auf das Kind abgestimmt wurden. Besonders Sprachnachrichten nutzten die Kinder sehr gerne, erzählt Hödl, denn die Besucher*innen der Lerncafés können sich oft noch nicht gut schriftlich ausdrücken. Mit dem Ergebnis ist Eva Hödl zufrieden: „Wir haben nicht durchwegs negative Erfahrungen gemacht. Es hat in unserem Rahmen und mit unseren Möglichkeiten durchaus gut funktioniert.“ Im zweiten Lockdown habe das Konzept dann noch besser funktioniert, da nun auch die Schulen besser vorbereitet waren als im März. Auch jetzt, im dritten Lockdown, bieten die Lerncafés ihre online Unterstützung an.

Probleme

Die IHS-Studie fand auch heraus, dass Schüler*innen mit migrantischem Hintergrund in besonderer Weise vom Lockdown betroffen sind. Laut den befragten Lehrer*innen gelinge es nur 18,5 Prozent dieser Kinder,  ihre Aufgaben fristgerecht abzugeben – während das insgesamt aber 82,6 Prozent aller Schüler*innen schafften.

Hödl bestätigt diese Probleme. So gäbe es bei diesen Kindern zu Hause häufig Platzprobleme, die Kinder hätten meistens kein eigenes Zimmer, und in den oft kleinen Wohnungen falle es ihnen schwer, sich zu konzentrieren. Da würde ein Baby schreien, dort Geschwister laut fernschauen, während sich vielleicht daneben auch noch die Eltern unterhalten.

Ein anderes Problem sei die fehlende technische Ausstattung. Oft musste sich ein Kind mit seinen Geschwistern, manchmal auch mit den Eltern, den Laptop oder das Tablet teilen. Hier konnte die Caritas helfen, indem sie gebrauchte Tablets und Computer sammelte. Softwareprofis bereiteten diese Geräte dann technisch auf, danach wurden sie samt Begleitbrief an bedürftige Kinder verschenkt.

Besonders die Sprachkompetenz leide unter den aktuellen Bedingungen, meint Hödl, denn für die meisten Kinder der Lerncafés sei Deutsch nicht die Muttersprache. Zuhause würde oft eine andere Sprache gesprochen und es komme nicht selten vor, dass die Eltern schlechtere Deutschkenntnisse hätten als ihre Kinder. Durch den Lockdown seien die Alltagsübung in der Schule und in den Lerncafés weggefallen. Der lange Zeitraum seit März und über die Sommerferien hinweg hätte die Kinder komplett aus der Übung gebracht.

Durch den Einsatz von freiwilligen “Buddys” versuchen die Lerncafés, diesem Problem entgegenzuwirken. Diese “Buddys” telefonieren mit den Kindern, lesen ihnen vor oder helfen virtuell bei den Hausaufgaben. An Präsenzunterricht seien diese Hilfestellungen jedoch trotzdem nicht herangekommen, sagt Hödl.

Eva Hödl - Leiterin der Lerncafés
Eva Hödl war für ihre Arbeit bei den Lerncafés für den Preis “Kopf des Jahres 2020 für Soziales Gewissen” der Kleinen Zeitung nominiert – Foto: Caritas

Mehr als eine Nachmittagsbetreuung

Die Unterstützung der Schüler*innen in schwierigen Zeiten sei aber nicht nur für ihre Deutschkenntnisse wichtig gewesen, sondern auch für ihr Vertrauen. „Wir sind mehr als eine reine Nachmittagsbetreuung“, betont Hödl. Die Lerncafés bieten den Kindern eine Rundumbetreuung, die nur wegen des guten Verhältnisses zwischen Betreuer*innen und Kindern funktioniert. Die Pädagog*innen wissen Bescheid, wann Schularbeiten sind. Sie helfen, korrigieren und geben Zusatzaufgaben, wenn sie merken, dass die Kinder extra Förderung brauchen.

Lerncafés haben auch eine starke soziale Komponente: In Lernpausen wird zusammen gespielt und gelesen. Immer wieder machen die Betreuer*innen Sport mit den Kindern und täglich gibt es eine gemeinsame gesunde Jause. Außerdem versuchen die Betreuer*innen, den Kindern die österreichische Kultur näher zu bringen und gehen zugleich auf die Kulturen und Religionen der Kinder ein. Im Advent, als die Lerncafés wieder öffnen durften, konnte zum Beispiel jedes Kind erzählen, wie Weihnachten in seiner Familie gefeiert wird. Bei ihnen würden „gleich 14 Weihnachtsfeste gefeiert”, meint Eva Hödl. „In der Vielzahl der Andersheit sind die Kinder eine Gemeinschaft.“

Titelbild: Ein Eindruck aus den noch geöffneten Lerncafés vor der Pandemie – Foto: Caritas

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