"Sexarbeit ist Arbeit", steht auf einem Schildchen. Ein roter Regenschirm ist daruntergemalt

Das Geschäft mit der Liebe: „Ich bin kein Roboter“

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Sexarbeiterinnen sind beste Freundinnen, Psychologinnen oder einfach Partnerinnen für den Geschlechtsverkehr. Vor allem sind sie aber eines: Menschen. Am internationalen Hurentag am 2. Juni wird gegen die Stigmatisierung und für die Rechte von Sexarbeiterinnen gekämpft – auch im Annenviertel.

Ein grauer Van biegt in den Innenhof des Laufhauses im Annenviertel ein. Ein Mann mittleren Alters sitzt darin. Versteckt vor Blicken von der Straße parkt er sein Auto auf einem der Parkplätze, die an diesem Dienstagvormittag bereits fast voll besetzt sind. Er steigt aus, zückt seine FFP2-Maske und tritt ein, bereit für das Liebesspiel. Im selben Moment kommt ein anderer Herr aus einer Tür heraus – ein Freier. Er hat den Akt schon hinter sich.

Körperliche Nähe in Zeiten des Abstandhaltens

Dass in dem Laufhaus Leute ein und aus gehen, ist noch nicht lange wieder so. Über sechs Monate war es aufgrund der Pandemie durchgängig geschlossen. Am 19. Mai durften Laufhäuser und Bordelle ihre Türen schließlich wieder öffnen. Damit die körperliche Nähe in Zeiten des Abstandhaltens ermöglicht werden kann, gilt: Wer das Laufhaus betritt, muss entweder getestet, genesen oder geimpft sein.

Wenn der Kunde das erfüllt, kann er Tür für Tür durch das Laufhaus spazieren – daher die Bezeichnung Laufhaus. „Wenn ihm eine Dame gefällt, bleibt er. Wenn nicht, fährt er weiter in ein anderes Haus eine Ecke weiter“, erklärt die Geschäftsführerin des Laufhauses, die anonym bleiben möchte. Zum nächsten Etablissement haben es Gäste nicht weit. Denn ein großer Teil der Grazer Laufhäuser und Bordelle befinden sich im Annenviertel.

Die 3G-Regel gilt auch für die Sexarbeiterinnen. Wer seine Impfung schon erhalten hat, gibt das gerne preis, wie sich im Inneren des Gebäudes zeigt. Mit bunten Stofftapeten überzogene Wände bilden hier einen engen Flur, von dem mehrere Türen wegführen. Im gedämpften Licht sind darauf anzügliche Fotos zu erkennen. Sie zeigen an, wer die Gäste im Zimmer erwartet. In manchen Fällen fügt sich zwischen die freizügigen Bilder ein weiteres Schild: „Ich bin geimpft!“

Auf immer mehr Türen hängt mittlerweile ein solches Täfelchen, weiß die Geschäftsführerin. Seit beinahe zehn Jahren hat sie ihren Arbeitsplatz in dem kleinen Büro im ersten Stock des Laufhauses. Leintücher und Bettwäsche stapeln sich hier neben dicken Akten und jeder Menge bunter Deko. Auf einem schmalen Schreibtisch stehen zwei Bildschirme, auf die permanent die Aufnahmen der Überwachungskameras übertragen werden. Immer wieder muss die Slowakin das Gespräch kurz unterbrechen, um die Test- oder Impfbestätigungen der Gäste zu kontrollieren. „Das machen wir wirklich bei jedem Einzelnen“, betont sie. „Wer nicht einverstanden damit ist, muss gehen.“

Wenn dem Gast keine Dame gefällt, fährt er einfach weiter in ein anderes Haus eine Ecke weiter.

Das „Klick“ im Kopf

Über die Jahre hinweg hat die Geschäftsführerin einen tiefen Einblick in die Branche bekommen. Die Monate der Pandemie waren für sie jedoch bisher die schwierigsten. Obwohl zwar staatliche Hilfen beim Laufhaus eingingen, sei der Lockdown „einfach zu lang“ gewesen. „Vor allem der zweite“, meint sie. Viele der Sexarbeiterinnen sind danach nicht mehr zurückgekehrt. Zum Teil haben sie eine neue Arbeit gefunden, zum Teil sind sie in ihren Heimatländern geblieben.

Manche Sexualdienstleisterinnen sind aber auch wiedergekommen. So etwa Daniela*. Während des Gesprächs mit der Geschäftsführung betritt sie das Büro. Ihr Dessous hat sie dafür gegen schwarze Leggings und ein hochgeschlossenes weißes T-Shirt eingetauscht. Einige Kunden hat sie heute bereits hinter sich, jetzt heißt es: Mittagspause. Wann sie diese macht, entscheidet sie selbst. Wen sie in der übrigen Zeit zu sich lässt, ebenso. Das sei ihr sehr wichtig, denn: „Ich bin kein Roboter. Ich habe meine Grenzen und die überschreite ich nicht. Ich bin nicht hier, um 24 Stunden lang durchzuficken.“ Seit 17 Jahren macht sie den Beruf bereits und hat in dieser Zeit gelernt, Grenzen zu ziehen: „Wenn man länger im Job ist, macht es irgendwann ,Klick‘ im Kopf. Man lernt, die Arbeit und das Privatleben zu trennen.“

Genau das sei vor allem zu Beginn jedoch schwierig, meint die Geschäftsführerin: „Es kommt oft vor, dass neue Mädchen kommen und nach dem ersten Tag abends weinen und sagen: Nein, ich schaffe das nicht!“

Geschlechtsverkehr, Gespräche und Geld

Und doch übt Daniela ihren Beruf seit bald zwei Jahrzehnten aus. Denn in ihren Augen gibt es auch gute Seiten daran. Sie kommt mit verschiedensten Leuten in Kontakt, unterhält sich mit ihnen und lernt dabei viel über unterschiedliche Kulturen, Lebenswelten und Mentalitäten. Außerdem möge sie Sex. Doch: „Es geht nicht immer nur um Sex“, sagt Daniela, „manche kommen auch, um zu reden. Der Job ist 50 Prozent Sex, 50 Prozent Psychologie. Nach all den Jahren müsste ich eigentlich schon studierte Psychologin sein“, lacht sie. Die Geschäftsführerin ergänzt: „Die Mädchen sind mal Psychologin, mal beste Freundin, mal der Ersatz für Ehefrauen und manchmal schlicht und einfach Partnerin für den Geschlechtsverkehr.“

Natürlich spielt aber noch ein weiterer Faktor mit: „Man verdient schnell und einfach gutes Geld.“ Dieses sei für viele der ausschlaggebende Grund, in die Branche zu gehen, erklärt die Geschäftsführerin. Die Damen kämen aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen heraus: „Das Leben schickt einen her.“

Mehrere Gelscheine sind zu sehen, da Geld für viele Sexarbeiterinnen eine entscheidende Rolle spielt
Das Geld spielt für viele eine ausschlaggebende Rolle, in die Sexarbeit zu gehen – Foto: pixabay (Symbolbild)

Das Verdiente sendet Daniela in regelmäßigen Abständen nach Hause nach Tschechien, wo ihre beiden Kinder die Schule besuchen. Nach einer Scheidung war sie finanziell auf sich allein gestellt, musste aber trotzdem Miete bezahlen und für ihre Familie sorgen. „Du möchtest deinen Kindern natürlich alles ermöglichen“, erzählt sie. „Du willst ihnen gute Kleidung kaufen und gutes Essen.“ Momentan spart sie, um ein Haus abzubezahlen. Wo das Geld herkommt, weiß ihre Familie jedoch nicht: „Sie denken, ich arbeite als Altenpflegerin.“

Hohe Anforderungen als Hürde für staatliche Hilfen

Tatsächlich ausgeführt hat Daniela den Job als Altenpflegerin jedoch nur einmal: während der letzten drei Monaten des Lockdowns. Obwohl sie immer wieder Geld beiseite gelegt hat, reichte es nach einigen Monaten der Pandemie nicht mehr aus. Hilfen vom Staat hat sie in dieser Zeit nicht bekommen.

Denn als Sexarbeiterin in einem Laufhaus fällt die Tschechin in die Gruppe der Neuen Selbstständigen. Sie ist also eine freiberuflich erwerbstätige Person. Um als solche Anspruch auf Gelder aus dem Härtefallfonds zu haben, hätte sie – zumindest bis die Regelung im April 2021 geändert wurde – sowohl eine österreichische Versicherungs- und Steuernummer als auch ein inländisches Bankkonto gebraucht. Was sich in der Theorie einfach anhört, stellt in der Realität ein Problem dar. Denn etwa 90 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen und haben ihr Bankkonto im Ausland.

Dass die Bedingungen für Hilfsgelder eine große Hürde für die meisten Sexarbeiterinnen waren, weiß die Soziologin Michaela Engelmaier aus erster Hand. Sie ist Leiterin des Projekts SXA (SeXArbeit-Info), das Sexarbeiterinnen in der Steiermark seit 2009 Beratung und Informationen bietet und die Etablissements regelmäßig im Rahmen von Streetwork besucht. Angesiedelt ist das Projekt unweit des Laufhauses, im Verein Frauenservice am Lendplatz.

Michaela Engelmaier steht neben Schirmen. Sie leitet das Info-Projekt SeXArbeit für Sexarbeiterinnen
Michaela Engelmaier leitet seit 2009 das Projekt SeXArbeit-Info in Graz – Foto: Sophie Aster

Verzweiflung und Mangel an Informationen

Während des Lockdowns war die Verzweiflung unter den Sexarbeiterinnen teils groß, wie Engelmaier schildert. Den eigentlichen Job konnten sie nicht ausüben, andere Jobs zu finden gestaltete sich als schwierig. Die Leitungen blieben bei SXA in dieser Zeit deshalb nur selten still: „Der Mangel an Infos war für viele ein riesiger Belastungsfaktor.“ In weiterer Folge häuften sich die Fälle der illegalen Wohnungsprostitution in Österreich. „Es war den meisten Frauen bewusst, dass sie sich damit strafbar machen. Doch das kam aus der Not heraus“, erklärt eine Kollegin von Engelmaier.

Was in Österreich gilt, steht im Prostitutionsgesetz. Von Bundesland zu Bundesland sieht es unterschiedlich aus. Während man in genehmigten Bordellen oder Laufhäusern im ganzen Land arbeiten darf, sind Hausbesuche bei Kunden lediglich in fünf Bundesländern erlaubt, darunter die Steiermark. Die sogenannte Straßenprostitution ist auf Wien beschränkt und selbst dort zeitlich und örtlich eingeschränkt. Kunden zu sich nach Hause einzuladen, ist überall untersagt.

Broschüre, auf der "Sexwork-Info" steht
In Österreich ist Sexarbeit gesetzlich erlaubt – Foto: Sophie Aster

Zwei Fronten, zwei Meinungen

Geht es um die Frage, ob Prostitution generell verboten werden sollte, gehen Meinungen stark auseinander.

Die einen sehen Sexarbeit als unvertretbar und stimmen für die Illegalisierung. Eine österreichische Initiative, die diese Position vertritt, ist Stopp Sexkauf!. „Prostitution ist ein System, das Menschen das Recht einräumt, über den Körper anderer Menschen gegen Bezahlung zu verfügen“, steht auf ihrer Website. Frauenhandel würde dadurch Raum gegeben, ebenso Erniedrigung, Zwang und Gewalt. Sie möchten in Österreich jenes Modell durchsetzen, das bereits in Ländern wie Schweden oder Island vorherrschend ist. Das sogenannte „Nordische Modell“ verbietet Prostitution. Begleitet wird die Abschaffung hierbei von unterstützenden Maßnahmen. Bei einem Verstoß werden nicht Sexarbeitende gestraft, sondern jene, die ihre Dienste in Anspruch nehmen.

Der Überzeugung, dass dieses Modell nicht dazu beitragen würde, Probleme zu beseitigen, sondern sie nur unsichtbar machen würde, ist die Gegenseite. Dazu gehört auch Engelmaier: „Schaut man sich die Realität an, ist es der einzige Weg, die Branche zu legalisieren und die Personen, die in der Sexarbeit tätig sind, mit Rechten auszustatten. Nur so können sie sich gegen etwaige Ausbeutung und Missstände wehren.“ Natürlich gebe es zwar auch Fälle, in denen Prostitution unfreiwillig stattfindet, doch: „Zwangsprostitution gibt es nicht. Es gibt nur Selbstbestimmung. Alles andere sind Straftaten. Und die muss man auch so benennen.“ Das in der Debatte oft vorgebrachte Argument, dass Armut und Sexarbeit Hand in Hand gehen, entkräftet sie: „Armutsprostitution kann man nicht abschaffen, indem man die Tätigkeit abschafft. Man muss gegen die Armut vorgehen.“

Eine eindeutige und einfache Lösung sieht die Soziologin aber nicht. Sie vergleicht die Lage mit einem Uhrwerk: „Wenn ich nur an einem Rädchen drehe, reicht das nicht – die Uhr wird weiterhin nicht funktionieren. Ich muss immer auch bei den anderen Rädern nachjustieren.“

Internationaler Hurentag gegen Stigmatisierung

Darum, auf die Lage von Sexarbeiterinnen und auf ihre Rechte aufmerksam zu machen, geht es am internationalen Hurentag, einem inoffiziellen Gedenktag, der jährlich am 2. Juni stattfindet. Seine Wurzeln hat der Tag im Frankreich des Jahres 1975. Mehr als 100 Prostituierte besetzten damals eine Kirche in der Stadt Lyon, um ihre Situation in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Ein Faltpavillon und vier Leute sind zu sehen. Das Bild ist sehr bunt. Infostand um auf die Lage der Sexarbeiterinnen aufmerksam zu machen
Am internationalen Hurentag will SXA auf die Rechte und die Lage von Sexarbeitenden aufmerksam machen – Foto: Verein Frauenservice Graz

Viele Organisationen, die sich für Sexarbeitende einsetzen, nehmen den internationalen Hurentag als Anlass für einen Aktionstag. So auch SXA. Ein grauer Faltpavillon, jede Menge Infomaterial und einige rote Regenschirme schmückten deshalb am gestrigen Mittwoch den Mariahilferplatz im Lend. Auf kleinen Zettelchen stehen Dinge wie „Sexarbeit ist Arbeit“ oder „Respekt statt Bevormundung“. Auch darauf sind kleine rote Regenschirme zu sehen. Sie stehen als Symbol für die Anerkennung der Rechte von Sexarbeitenden und gegen deren Diskriminierung. Negative Vorurteile und Stigmatisierung der Branche durch Aufklärung zu bekämpfen, steht im Mittelpunkt: „Je mehr die Gesellschaft informiert ist, desto weniger würde sie stigmatisieren und desto mehr würde sie respektieren“, meint Engelmaier.

In diesem Punkt sind sich auch Daniela und die Geschäftsführerin des Laufhauses einig: „Respekt und Akzeptanz wären am wichtigsten. Ich würde mir wünschen, dass niemand über Prostituierte urteilen würde. Das wäre so super!“

 

*Name von der Redaktion geändert

Titelbild: Sophie Aster

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