Am 12. Juni 2021 fand in den verschiedensten Ecken von Graz ein Flohmarkt statt. Ob Garten, Hinterhof oder aus dem Fenster hinaus: Jeder Ort wurde genutzt, um Altes für jemand anderen Neues werden zu lassen.
Es ist ein teils sonniger, teils bewölkter Samstagmorgen, als ich mich auf den Weg zu den Hinterhofflohmärkten des Annenviertels begebe. Bewohner*innen der Bezirke Lend, Gries, Eggenberg, Wetzelsdorf, Jakomini, Waltendorf, St.Peter und Geidorf hatten vorab die Möglichkeit, sich auf einer Website namens ganzgrazflohmarkt für das Spektakel anzumelden. Nachdem sie eine kleine Mitgliedsgebühr von 15 Euro bezahlten, war ihr Hinterhof Teil eines Riesenflohmarktes. Einen Großteil der Planung übernahm Maria Reiner aus dem Verein Stadtteilprojekt Annenviertel wie auch andere Vereine und Nachbarschaftsinitiativen aus jeweiligen anderen Vierteln.
Nachhaltig zueinander finden
Im Grazer Lendviertel begann meine Reise. „Eine richtige Schnitzeljagd” war das Erste, was mir hierzu einfiel. Auf einem Plan waren die Hinterhöfe eingezeichnet und so konnte man von Ort zu Ort wandern, auf der Suche nach den nächsten Schätzen. Den Eingang dazu erkannte man an aufgehängten Luftballons, ein Anblick wie bei Kindergeburtstagsfeiern.
Ich klapperte die ersten paar Flohmärkte ab. Die Pressekundgebung des Projekts verriet, dass dieser Flohmarkt die Themen Zero-Waste, ReUse und ReCycle in den Vordergrund rücken sollte. Besonders im Annenviertel sind in zahlreichen Geschäften, Restaurants und Dienstleistungssektoren diese Bereiche weitverbreitet. Doch auch andere Bereiche sollte das gemeinsame Verkaufen fördern. Die Flohmärkte sollten es ermöglichen, die eigenen Nachbar*innen besser kennenzulernen. Es sollte eine Möglichkeit sein, unbekannte Orte zu entdecken, die Geldtasche aufzubessern oder sich durch Gebrauchtes zu bereichern. Integration und Urbanität waren weitere Stichworte. Jeder hatte die gleichen Chancen und stand auf Augenhöhe beim Verkaufen. Außerdem schafften Beteiligte Kooperation und knüpften Kontakte. Das war zum Beispiel durch die Möglichkeit gegeben, dass auch Leute, die nicht in einem der teilnehmenden Viertel wohnten, Plätze im Hinterhof anderer finden konnten.
Laut Presseaussendung war die Veranstaltung vom holländischen „Königstag“ inspiriert. Der „Koningsdag“, wie es in den Niederlanden heißt, ist ein Fest, dass jedes Jahr am 28. April, dem Geburtstag von König Willem Alexander stattfindet. An diesem Tag gibt es zahlreiche Märkte und die Niederländer*innen feiern und musizieren.
Erste Begegnungen
In einer kleinen Einfahrt in der Nähe der Annenstraße traf ich Martina. Sie wohnt schon ihr ganzes Leben im Annenviertel und erzählte mir stolz, dass sie auch 2012 am Flohmarkt in der Annenstraße teilgenommen hatte. 2018 wurde ihre Wohnung, genauso wie viele andere Annenviertler Wohnsitze, zum Verkaufsplatz umfunktioniert. Martina war Maria Reiner sehr dankbar für ihre Initiativen: „Ich finde es wichtig, dass sich Menschen im Viertel so etwas einfallen lassen. Das ist sehr vorausdenkend!” Besonders jetzt sei es schön gewesen, endlich wieder unter Leute zu kommen und sich auszutauschen, ob es nun Gegenstände oder nur Gedanken waren.
Ein weiterer verborgener Schatz des Annenviertels ist das Haus von Sabine. In der Nähe des Lendplatzes steht es. Ein kleines, uriges Einfamilienhaus, mitten zwischen hundert anderen Wohnhäusern. An diesem sonnigen Samstag wurde auch ihr Garten zum Flohmarkt umgewandelt. Zwischen Rosen und Sträuchern konnte man Schallplatten, CDs und Kleidung ersteigern. Ihr Sohn Vincent hatte Limonade gemacht und schenkte mir für ein kleines Taschengeld ein Glas ein. In ein kurzes Gespräch wurde ich mit Volker verwickelt, er hat ein großes Wissen über Schallplatten und Musik, außerdem ist er selbst ein begeisterter Sammler.
Die Frau hinter der Planung
Nachdem ich mir einige Eindrücke geholt hatte, stattete ich der Frau einen Besuch ab, der diese ganze Aktion zu verdanken ist. Viel Arbeit wäre es gewesen und ein Fehler wäre bei der Organisation gemacht worden. „Die Öffnungszeit von 8-19 Uhr hält ja niemand durch” erzählt mir Maria Reiner. Auf die Frage, ob das alles ihre Idee gewesen war, erzählte sie mir, dass es insgeheim die Idee von Thomas Wolkinger, Lehrender an der FH Joanneum, gewesen war. Er hatte ihr im Urlaub geschrieben und von der Idee berichtet. „Und jetzt sind wir da an diesem schönen Tag.“
Ein Tag voller Leben, im Überblick
Am Heimweg kam nochmal Vincent bei mir vorbei. Er fuhr mit seinem Roller durch die Straßen und machte Werbung für den Stand seiner Mutter. Wir lachten uns zu und ich verließ die Flohmärkte.
Der Tag war womöglich in fast jedem Thema ein Erfolg. Für das Viertel, das durch die unterschiedliche Platzierung der Flohmärkte neu erkundet wurde. Für die Menschen, die sehr glücklich schienen und das Annenviertel mit Leben füllten. Denn auch in den Gastronomiebetrieben und den Geschäften waren Menschenmassen aufzufinden.
Was die Qualität der zu erwerbenden Dinge betrifft, konnte man den Vergleich zu einem normalen Flohmarkt gut ziehen. Auch wenn es auf vielen Märkten hauptsächlich Ramsch und alte Kleidung gab, hatte es doch einen gewissen Reiz, zwischen all dem Wust, kleine Schätze wie Omas Lieblingsvase oder die Erinnerungskette aus Afrika zu finden.
Einzig die Einhaltung der Corona Regeln war problematisch, denn meistens trugen die Menschen ihre Masken in der Hand, statt im Gesicht und Sicherheitsabstand ist auch schwer zu halten, wenn sich acht Personen in einen Hinterhof von zehn Quadratmeter quetschen.
Ziel der Veranstalter der Grazer Hinterhofflohmärkte ist es, dieses Event zweimal im Jahr fix stattfinden zu lassen, einmal im späten Frühjahr und einmal am Herbstanfang und das in ganz Graz. Der nächste Hinterhofflohmarkt soll am 2. Oktober stattfinden. Und mit der Freude, die auf diesem Event versprühte wurde und einer besseren Corona Situation wird es bestimmt ein Erfolg.
Titelbild: Ein Flohmarkt in einem mit Graffiti bemalten Innenhof (Lend). – Foto: Alice Müller