Rechtzeitig zur Sommerpause lädt das Schauspielhaus zu einem besonderen Hörspaziergang durch Graz ein – und erkundet dabei auch die eine oder andere bislang (un)sichtbare Geschichte des Lend.
Audiowalks, Hörbücher oder Podcasts erfreuen sich vor allem seit der Corona-Pandemie großer Beliebtheit. Das Schauspielhaus Graz macht sich diesen Trend unter dem Titel „(Un)sichtbare Geschichte. Ein Hörspaziergang durch Graz“ ebenfalls zu Nutze. Anstelle des Theatersaals wird diesen Sommer die ganze Stadt zur Bühne. Beim Flanieren durch die Innenstadt verwandelt sich die vertraute Umgebung vor den eigenen Augen und Ohren in ein Theaterstück.
Sebastian Klinser, Regisseur*in und Texter*in, will mit dem Programm auf Themen aufmerksam machen, die im Alltag viel zu oft vergessen werden. Er*sie sieht die Zugänglichkeit eines Hörspaziergang als klaren Pluspunkt, und hat auch in der Produktion besonderen Wert auf Barrierefreiheit gelegt. Vergangenen Samstag fand das Kick-Off Event statt, das am Hauptplatz durch eine Aktion von Catcalls of Graz eingeläutet wurde.
Ein neuer Blick auf die Stadt Graz
Ausgehend vom Schauspielhaus leitet die Stimme von Erzählerin Maximiliane Haß von Station zu Station quer durch die Grazer Innenstadt. Halt gemacht wird an Orten, die auf den ersten Blick alltäglich erscheinen, die im Normalfall kaum beachtet werden. Doch hinter den Mauern und Türen der Häuser, hinter den Sträuchern des Stadtparks oder sogar direkt am Straßenrand verbergen sich jene Geschichten, die sonst kaum jemand kennt. „Wie bei allem gibt es auch beim Blick auf unsere Geschichtsschreibung verschiedene Perspektiven. Manche werden eher hervorgehoben als andere, und manche gehen völlig unter. Um diese Geschichten, sowie auch um die Menschen, die sie erzählen, geht es mir bei diesem Projekt“, sagt Klinser.
Augen und Ohren offen halten!
Elf in Graz beheimatete Vereine und Initiativen haben an den Hörspaziergängen mitgearbeit, darunter etwa Catcalls of Graz, der Verein für Gedenkkultur in Graz, die RosaLila Pantherinnen und Fridays for Future Graz. Dementsprechend breit gefächert sind auch die Themen, die das Programm bedient. Ob Gedenken an Opfer der Judenverfolgung, Hexenprozesse oder die Verfolgung homosexueller Menschen in Graz. Bei etwa 75 Minuten Spielzeit können viele Themen leider nur oberflächlich angeschnitten werden, geben aber Denkanstöße und laden zum weiteren Diskutieren ein.
So auch jene Stationen, die durch das Annenviertel führen. Am Mohrenwirt in der Mariahilfer Straße vorbei führt die Route bis vor die Mohren Apotheke am Südtirolerplatz. Der Hörspaziergang lädt hier zum Verweilen ein und verschiedene Stimmen beziehen Stellung zur ungewöhnlichen Namensgebung. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass die beiden Namen in Graz heiß diskutiert werden. Schon zuvor gab es Debatten um eine mögliche Namensänderung. Auch in Wien hat es eine Mohren Apotheke gegeben, die auf rassistische Vorwürfe hin ihren Namen geändert hat. Graz allerdings hält am Namen fest. Mohren Apotheke sei nicht als Diskriminierung sondern als Anerkennung an die Heilpraktiker*innen zu verstehen, die ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse einst aus Mauretanien her brachten, erklärt Eigentümer Christian Müller dem ORF. (30.06.2020)
Weiter führt der Spaziergang dann zurück über die Mur in Richtung Jakomini und findet schlussendlich seinen Abschluss am Grazer Hauptplatz. Und wenn sich jemand wundern sollte, wieso da Menschen mit Kopfhörern am Congress vorbei tanzen, dann liegt das vermutlich an der musikalischen Untermalung von zwei Grazer Bands: Some Species of Fish und Candlelight Ficus.
Frequenz wechseln nicht vergessen!
Funktionieren tut das Ganze mit dem eigene Smartphone und den dazugehörigen Kopfhörern. Über einen Link öffnet sich der Hörspaziergang, der im übrigen gratis ist. Eine Internetseite im Retro-Design erscheint und nach einem Klick auf „Start” geht es schon los. Alle nötigen Anweisungen zur Route gibt die Erzählstimme, doch Achtung – nach jedem Kapitel muss durch einen weiteren Klick auf den Regler in der Mitte des Bildschirms die Frequenz gewechselt werden.
Ein besonderes Anliegen war den Produzent*innen eine einfache Zugänglichkeit des Hörspaziergangs für ein breites Publikum. Nicht nur die typischen Theaterbesucher*innen sollen damit erreicht werden. „Wir möchten die Zuhörer*innen direkt ansprechen, keinen Frontalvortrag, wie das bei Audioguides oft der Fall ist”, erzählt Klinser über den Aufbau des Hörspaziergangs. Dazu gehören interaktive Entscheidungen der Teilnehmer*innen, wie etwa die Wahl zwischen zwei verschiedenen Wegen. Auch auf Barrierefreiheit hat das Team geachtet: Mindesten eine der wählbaren Strecken ist jeweils auch für gehbehinderte Menschen oder Personen, die nicht so gut zu Fuß sind, geeignet.
Ein letzter Hinweis ist Sebastian Klinser ganz besonders wichtig: Für Menschen, die kein Smartphone besitzen, ist es möglich im Zeitraum vom 26. Juni bis zum 25. Juli in der Café-Bar Haus 4 am Freiheitsplatz kostenfrei zwei Handys und zwei Kopfhörer für den Hörspaziergang auszuleihen.
Titelbild: Catcalls of Graz