Marino Formenti, ein in Italien geborener Pianist, hat vom 5. Juni bis zum 3. Juli 2021 in einer Gemeindewohnung in der Triesterstraße gelebt und mit Menschen verschiedenster Herkunft musiziert.
Also ich am Weg zu Formentis Unterkunft bin, muss ich gar nicht lange suchen, schon um die Ecke hört man lautes Klavierspielen und emotionalen Gesang. Formenti begrüßt mich und wir einigen uns auf ein Du.
Schön, dass du dir Zeit genommen hast. Das Projekt „Triesterstraße 66„, Teil des Kulturjahres 2020, läuft jetzt schon fast einen Monat. Wie ist es überhaupt dazu gekommen?
Ich mache oft Projekte wie dieses! Mich stört die Musik als „Produktionsobjekt“. Egal in welchem Bereich du bist, ob du im klassischen oder Pop, mittlerweile ist alles ein Produkt. Wenn du ein mehr oder weniger professioneller Musiker bist, droht dir einfach, dass du ein Produkt deiner selbst wirst. Du bist zwanzig, du hast noch viel Feuer, dann bist du dreißig und hast ein bisschen weniger Feuer, dann bist du vierzig und nur mehr ein Monument deiner selbst. Ich habe dann angefangen Situationen, wie diese zu etablieren und konzipieren – one to one. Dabei bin ich alleine oder mit einer Person zusammen und wir musizieren. Das habe ich zum Beispiel beim Steirischen Herbst vor einige Jahren gemacht.
Und wer sind die Mitwirkenden? Wie kommen die Menschen zu der Info, dass du hier Musik machst?
Ich mach das hier mithilfe des Stadtteilzentrums Triester. Die leisten echt tolle Arbeit. Sie bringen zum Beispiel Leuten das Lesen bei und geben gratis Nachhilfe. Sie haben mir auch geholfen und das Projekt ein bisschen hinausposaunt. Aber man kämpft auch teilweise mit Resistenz und mit Misstrauen und dann wurden einigen die Schleukappen geöffnet.
In der Ankündigung des Kulturjahres 2020 wurde stark angepriesen, dass du bei einer Familie wohnst, wer ist denn diese Familie?
Es ist keine Familie mehr. Das Projekt war für 2020 geplant. Jetzt ist ein Jahr vergangen, die Familie ist abgehauen und jetzt wohne ich bei einem jungen Mann.
Und wie bist du zu ihm gekommen?
Er fand das Projekt toll und wollte es von seiner Seite aus unterstützen.
Wie bist du auf die Triesterstraße 66 gekommen?
Das ist der praktische Teil zur Frage, wie es überhaupt erst zu dem Projekt gekommen ist. Es gibt immer entweder den Künstler, der sich was ausdenkt, oder den Festivalbetreiber. Und dann gibt es noch die glücklichen Zufälle, wenn beide mit ihren Wünschen zusammenkommen. Das ist dann so wie bei Konstellationen von zwei Planeten, plötzlich sind sie übereinander. Martin Behr, auch ein Künstler von hier, hat mir dann das Viertel gezeigt. Ich wollte immer schon in einen Gemeindebau, dann hab ich die Siedlung gesehen und ich hatte schon diese Sehnsucht, wie gesagt, eine längere Zeit in einer Umgebung zu leben und mit den Menschen dort Projekte zu machen. Ich dachte, hier kann ich Menschen mit unterschiedlicher Herkunft kennenlernen. Mit einem Österreicher ist die Differenz kleiner, weil ich hier seit 25 Jahren wohne. Das war zumindest die Voreinstellung, weil ich jetzt auch viele Österreicher kennengelernt habe, bei denen ich merke, dass es an ihnen auch viel zu entdecken und auch sehr viele Unterschiede gibt. Es kommt darauf an, wie man aufgewachsen ist, was man für ein musikalisches Bild und ein Bild vom Leben selbst hat.
Du hast schon viele Projekte dieser Art gemacht: Nowhere, Open House, I’m not your Italiano und Ich oder Wir. Das aktuelle Projekt ist doch eigentlich ziemlich ähnlich, du machst gemeinsam mit anderen Menschen Musik. Wie unterscheidet sich das jetzige Projekt für dich von den anderen?
So ein Projekt, wo ich so lange mit den Leuten zusammenlebe, habe ich noch nie gemacht. Die anderen waren Projekte, die mein Leben nicht derart infrage gestellt haben. Das hat schon angefangen mit der Art, wie ich lebe, mit wem ich esse, mit wem ich Zeit verbringe und so weiter. Die einzige Performance, die wirklich damit verwandt ist, ist Nowhere. Dort habe ich ständig Klavier gespielt. Das jetzt ist eine Performance, die fängt an in dem Moment, in dem du in die Siedlung kommst, und hört auf, wenn du weggehst.
Was war bis jetzt dein bewegendstes Erlebnis?
Ich will keine Highlights nennen, das ist blöd für mich!
Was entstand für Musik, habt ihr frei improvisiert?
Die Leute bringen ihre Musik aus ihrem Kopf und ihrem Herz – und das kann alles sein: Country, Pop, Afro, ethnisch, asiatisch und Improvisationen, ganz frei. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich auch meine Musik einbringen, meine Musik im Sinne von meinen Background. Doch die Begegnung ist so wichtig, dass ich meistens auf ihre Musik eingehe.
Was ist das Resümee, das du nach diesem Monat aus dem Projekt ziehen kannst?
Das erste Fazit ist, dass wir irgendwann einmal aufhören sollten, Leben und Kunst zu trennen. Weil, wie gesagt, im Kunstbereich neigt man dazu die Kunst als ein Objekt zu sehen und auch die Musik wird als Objekt produziert. Doch Musik und Kunst sind Teil unseres Lebens. Menschen, die nicht die große professionelle Musikkarriere verfolgen, sehen das schon so. Die nehmen das um einiges lockerer.
Auf der Seite des Kulturjahres 2020 wird davon gesprochen, dass ihr sozusagen nach der „echten“ Musik sucht. Gibt es jetzt schon eine Antwort auf diese Frage? Was ist echte Musik?
Wenn wir das wüssten, dann würden wir ja auch keine Projekte mehr brauchen.
Was sind denn deine Pläne für die Zeit danach?
Eher herkömmliche Konzerte, Solokonzerte in Belgien und Rom. Auf jeden Fall keine partizipativen Projekte. Diese Projekte sind nur ein Teil meiner Identität, denn ich bin auch eigentlich kein sehr sozialer Mensch. Ich mache das nicht aus dem sozialen Aspekt, die Musik an sich ist schon genug Verbindung. Das sind keine Projekte, die sozial gemeint sind, das sind einfach Musikprojekte.
Titelbild: Marino Formenti musiziert am Abschlussfest seines Projektes. – Foto: Daniel Kindler